"Denk ich an Deutschland ... "

Buchempfehlung Deutschland ist in Israel ein empfindliches Thema – das im vorliegenden Gesprächsband von zwei hochkarätigen Experten in vielen unterschiedlichen Aspekten beleuchtet wird

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Das Verhältnis Deutschlands zu Israel ist aus den uns bekannten Gründen ein ganz besonderes. Ein heikles zumal. Aus eben diesen Gründen ist Deutschland in Israel verständlicherweise ein empfindliches Thema. Nun bietet sich interessierten Leserinnen und Lesern eine Chance einen nähere Einblicke in die verschieden Problematiken zu gewinnen. Einblicke, die Politik und Medien uns so nicht vermitteln. Zwei hochkarätige Experten haben das Thema in vielen unterschiedlichen Aspekten beleuchtet. Dies sind Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv und Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Beide widmeten ihr gesamtes Forschungsleben der deutschen Geschichte. Getan haben sie dies via einer über ein Dreivierteljahr geführten E-Mail-Korrespondenz.

Das Buch in welchem diese Korrespondenz der beiden Historiker festgehalten wurde ist im Jahr 2022 zuerst auf Hebräisch in Israel erschienen.

Nun liegt es auf Deutsch vor. Herausgebracht vom Westend Verlag.

In einem WDR 5 – Interview [4] danach gefragt wer den Band lesen solle, antwortete Moshe Zimmermann, die Durchschnittsleser sollten dies tun. Diese Empfehlung teile ich unbedingt. Denn was wissen die Durchschnittsleser schon von diesem Thema?

Zimmermann sagte, in Israel dürfte die Beachtung dieses Buches nicht sonderlich hoch ausfallen. Seine Erklärung: Er und Moshe Zuckermann gehörten dem linken Flügel in Israel an, der im Übrigen stetig abnehme. Zudem täte man sie beide dort als „Spinner“ ab.

Moshe Zuckermann (zuletzt erschien von ihm im Westend Verlag sein Buch „Die Kunst ist frei?“ [1]) schrieb vor Erscheinen des hier vorzustellenden Bandes im Overton Magazin [2] zu dessen Inhalt und Anliegen des im Pingpong erfolgten E-Mail-Wechsels von ihm und Moshe Zimmermann:

«Den Schwerpunkt des Dialogs bildet die Triade Deutschland-Israel-Palästina, die historisch, soziologisch, sozial-psychologisch und kulturell beleuchtet wird. Diesem Projekt liegt die Absicht zugrunde, über die reichlich verzweigten Zusammenhänge dieser Konstellation samt diverser, sich aus ihr ergebenden thematischen Ableitungen Rechenschaft abzulegen, die sie bestimmenden Sachverhalte zu klären, mithin aufzuklären. Dass dies notwendig ist, weiß jeder, der sich mit den historischen Strukturen dieser Konstellation, mit deren ideologischen Beladungen, kollektivpsychischen Befindlichkeiten und den gewichtigen politischen wie sozialen Auswirkungen befasst hat.«

Und weiter:

«Die Koordinate Deutschland-Israel meint nicht nur die Beziehungen Deutschlands zum Staat Israel, sondern auch die damit einhergehenden Sedimentierungen des Verhältnisses zu Juden und zum Zionismus. Von selbst versteht sich dabei die beide Seiten betreffende kollektivpsychische Neuralgie angesichts des von Deutschen an Juden im 20. Jahrhundert Verbrochenen. Gleichwohl geht die Fragestellung in diesen Band übers Katastrophische hinaus und analysiert die philosophisch-ideologischen Impulse, die der Zionismus gerade aus der deutschen politischen Philosophie und den Ideologemen des deutschen Nationalismus im 19. Jahrhundert bezogen hat.«

Nicht unwichtig:

«Erörtert wird dabei auch die Triftigkeit der Behauptung einer deutsch-jüdischen Symbiose, die Gershom Scholem seinerzeit apodiktisch in Abrede stellte. Vor allem wird aber auch der Einfluss der aus diesem Diskurs gewonnenen Einsichten auf die heutigen deutsch-israelischen Beziehungen, mithin die ideologische Handhabung des Umgangs mit dem Antisemitismus kritisch unter die Lupe genommen.

Der diesbezügliche Wirkzusammenhang ergibt sich aus den Strukturen der Koordinate Israel-Palästina. Denn während sich die politische Kultur Deutschlands infolge der Shoah mit Israel als der “nationalen Zufluchtsstätte der Juden” identifiziert, erhebt sich immer mehr die Frage, mit was für einem Israel sich Deutschland solidarisiert. Kann Deutschland es sich leisten, sich unabdingbar mit einem Land zu solidarisieren, das ein Jahrzehnte währendes, verbrecherisches Okkupationsregime betreibt, sich dabei zunehmend als Apartheidstaat entpuppt, und sich durch eine von Rassismus, Fremdenhass und faschistoiden Elementen durchwirkten politischen Kultur auszeichnet?«

In Zuckermanns Antwort auf eine E-Mail Zimmermanns schreibt dieser am 30. April 2021:

„Es sei dabei, so besehen, hervorzuheben, dass der Zionismus von Anbeginn vom Antisemitismus «abhing«, es lässt sich gar behaupten, dass er eine objektives Interesse an dessen Bestehen hatte. Ich habe mal (ich weiß nicht mehr, wo) eine Ausspruch Ben Gurions gelesen, demzufolge der Antisemitismus dem Zionismus nütze, wenn er sich zuweilen, abschwäche, müsse er belebt werden.“ (S.22)

Überdies bekäme (…) „die israelische Bevölkerung kaum je Zugang zu Forschungen, die die soziologischen, psychologischen, politischen Dimensionen des Phänomens beleuchten, geschweige denn zu Untersuchungen dazu, inwiefern Israel selbst mit seiner Politik Rechtfertigungen für latente antisemitische Ressentiments produziert. Hinzu kommt, dass Israel auch im Rest der Welt keinesfalls Antisemitismus bekämpft; es bietet allenfalls den von ihm betroffenen Juden an, nach Israel zu emigrieren.“

Moshe Zuckermann skeptisch: „Es lässt sich natürlich fragen, ob der bestehende Antisemitismus überhaupt bekämpft werden kann.“

Moshe Zuckermann erklärt, als er „1970 (nach einem Jahrzehnt der Abwesenheit) nach Israel zurückkehrte“, dass „dies aus dezidiert zionistischen Gründen geschah“.

„Heute bin ich kein Zionist mehr, weil mir klar geworden ist, dass der Weg, den das zionistische Israel, in das ich, wie gesagt, als Zionist remigrierte, beschritten hat, ein schlechter, ein verbrecherischer und abstoßender Weg ist. Über das melancholische Gefühl hinaus, das mich zunehmend erfasst bei der Erkenntnis, dass ich die letzte Phase meines Lebens in einem Land zubringe, das sich beschleunigt faschisiert, einem Land, das von einem staatlichen Rassismus wie auch von einem grassierenden Alltagsrassismus durchwirkt ist, den nur noch die wenigsten Bürger dieses Staates zu bekämpfen bereit sind, einem Land, das es seit seinem Bestehen nicht geschafft hat, seine ethnischen, klassenmäßigen, politischen und ideologischen Konflikte und Zerrissenheiten zu bewältigen, und über die sich anhaltend verdichtende Überzeugung hinaus, dass es keinen Weg zurück mehr gibt von dem, was sich hier vor meinen Augen ereignet, bin ich vom erniedrigenden Gefühl beherrscht, besiegt worden zu sein, dem Gefühl, dass alles, wofür ich jahrzehntelang stand und gekämpft habe, eine erschütternde Niederlage erlitten habe.“

Zuckermann stellt sich auf den Standpunkt, an dem er sich sagt, „dass ein anständiger Mensch nicht mehr Zionist sein kann, wenn Zionismus das ist, was sich im Staat Israel in den Jahrzehnten seines Bestehens, besonders ab 1967, verwirklicht hat“. (S177/178)

Zimmermann, so Zuckermann, stelle dagegen fest, „dass die historischen Entwicklung des Zionismus nicht zwangsläufig so hätte verlaufen müssen, der Zionismus also in seinen Anfängen auch andere ideologischen Ansätze und alternative Potentiale enthalten habe“.

Zimmermann gibt sich bedrückt. Und schreibt in seiner Antwort-Mail: „Ich selbst habe ja auch eine Bedingung gestellt, nämlich: nur wenn Zionismus das ist, was die aufgeklärten Zionisten vor der Staatsgründung verwirklicht haben. Ich aber gehe (anders als Du) davon aus, dass diese Ideale auch heute noch umsetzbar sind. Als realistischer Beobachter ist mir gleichwohl klar, dass diese Alternative unter den heutigen Umständen nur eine geringe Chance hat.“

Weshalb, das sagte Moshe Zimmermann im weiter oben erwähntem Radiointerview. Die derzeitig ins Amt gelangte rechte Regierungskoalition in Israel, in welcher auch rechtsradikale bis rechtsextreme Minister sitzen, lässt natürlich diese Chance letztlich bei Null liegen.

Zimmermann erinnerte an die Weimarer Republik, wo auch die radikalen Kräfte erstarkten.

Noch einmal sei aus Moshe Zuckermanns Ausführungen im Overton Magazin zitiert: „Als Historiker behandeln wir diese Probleme nicht in polemischer Absicht, sondern im Bestreben, ihre sachliche Analyse zu fördern – etwa herauszufinden, wie der israelische Militarismus (über das Selbstverständliche der “Sicherheitsfrage” hinaus) mit langzeitlichen ideologischen Einflüssen aus dem 19. Jahrhundert zusammenhängt.

Hieraus ergibt sich auch die ideologische Grundstruktur der Koordinate Deutschland-Palästina. Denn da Deutschland sich als Israel (mithin den mitkodierten “Juden”) gegenüber verantwortlich sieht, und die Palästinenser Israels Feinde sind, beschränkt sich Deutschland inadäquaterweise in seiner Kritik an Israels Repressionspolitik. Die Palästinenser, die sich als “Opfer der Opfer” sehen – Israel gebraucht(e) in der Tat oft genug die Shoah-Erinnerung als Rechtfertigung seiner repressiven Maßnahmen gegen die Palästinenser –, haben dabei das Nachsehen.“

Da kommt einen natürlich auch Angela Merkels 2008 getätigte Äußerung vor dem israelischen Parlament, der Knesset, in den Sinn, wonach Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson sei. [5]

Moshe Zuckermann hat diese Äußerung seinerzeit etwas irritiert.

Zuckermann verweist in diesem Beitrag auch darauf: «Nicht zuletzt, um die Kritik daran abzuwehren, hat Deutschland die Antisemitismus-Definition für sich in Anspruch genommen, die den sogenannten “israelbezogenen Antisemitismus” mit einbezieht, mithin jede (von Palästinensern) an Israels Politik erhobene Kritik als “antisemitisch” stempelt. Das an den Palästinensern durch Juden verübte historische Unrecht wird so durch den Bezug auf die von Deutschen an Juden verübten Verbrechen zwangsläufig perpetuiert.

Im Buch wird auch die den israelischen Diskurs besonders in den letzten Jahren umtreibende Frage erörtert, ob man “vergleichen darf”, d.h. ob man die strukturellen Entwicklungen in Israel mit Entwicklungen, die zum deutschen Nazismus führten, dem Vergleich aussetzen darf. Wo die Grenzen eines solchen Vergleichs liegen, dürfte auf der Hand liegen. Warum man aber um den Vergleich gar nicht herumkommen kann, ist in diesem Band zu lesen.«

Über die Antisemitismus-Definition (IHRA) lesen Sie hier etwas: [3]

Mögen viele Menschen diesen Band lesen. Mit unserem Eintritt in das Buch betreten wir ein weites Feld. Er enthält wichtige historische und politische Informationen, die unserer Wissen – das hinsichtlich des im Dialog der beiden Autoren ins Auge gefassten und beackerten Themas. Moshe Zuckermann und Moshe Zimmermann haben interessante Aspekte nicht nur angetönt, sondern bestmöglich beleuchtet und aus ihrer eigenen Biografie heraus mit Erinnerungen in Verbindung gebracht.

Beide Historiker trennt in betreffs ihrer Ansichten kaum etwas. Sie führen einen angeregten und uns Leser gewiss anregenden kollegialen Dialog, welcher uns sehr viel zu geben vermag und so manchen zum Nach- und Weiterdenken bringen kann.

Moshe Zuckermann, Moshe Zimmermann

Erscheinungstermin:25.09.2023Seitenzahl:260Ausstattung:Hardcover mit SchutzumschlagArtikelnummer:9783864894022

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Über das Buch

Deutschland aus israelischer Perspektive.

Deutschland ist in Israel ein empfindliches Thema – das im vorliegenden Gesprächsband von zwei hochkarätigen Experten in vielen unterschiedlichen Aspekten beleuchtet wird. Moshe Zuckermann von der Universität Tel Aviv und Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität in Jerusalem, widmeten ihr gesamtes Forschungsleben der deutschen Geschichte. Ihr Buch ist ein profunder Dialog zu den Themen: Die Shoah der europäischen Juden, der israelisch-palästinensische Konflikt, der Antisemitismus und seine Instrumentalisierung zu politischen Zwecken, die zionistische politische Kultur Israels und ihre deutschen Wurzeln, und vieles mehr. Die Gespräche eint der Versuch, die Themen auf gemeinsamer Basis tiefergehend zu ergründen und auch Nuancen zu erörtern, die der öffentliche Diskurs oft in grober Eindimensionalität rezipiert.

Moshe Zuckermann wuchs als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv auf. Seine Eltern emigrierten 1960 nach Frankfurt am Main. Nach seiner Rückkehr nach Israel im Jahr 1970 studierte er an der Universität Tel Aviv, wo er am Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas lehrte und das Institut für deutsche Geschichte leitete. Im Westend Verlag erschien von ihm zuletzt „Die Kunst ist frei?“ (2022).

Moshe Zimmermann, geb. 1943 in Jerusalem, Professor emeritus für deutsche Geschichte der Hebräischen Universität Jerusalem; nach dem Studium der Geschichte und Politologie in Jerusalem und Hamburg Promotion über die Emanzipation der Hamburger Juden an der HU Jerusalem (1977); von 1986 bis 2012 Direktor des Richard-Koebner-Minerva-Zentrums für Deutsche Geschichte und Professor am Fachbereich für Geschichte der Hebräischen Universität. Mehrere Gastprofessuren an deutschen Universitäten.

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asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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