Putin - Herr des Geschehens?

Buchempfehlung Gute Analysen zum Ukraine-Krieg von Jacques Baud. Er findet: „Politik sollte auf Fakten, nicht auf Vorurteile gründen.“ Endlich Fakten jenseits westlicher Propaganda

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Noch immer ist eine Beendigung des Ukraine-Kriegs nicht in Sicht. Diplomatie, Friedensverhandlungen? Null, nada, niente …

Stattdessen pumpt „Natostan“ (Oberstleutnant a. D. Jürgen Rose) immer mehr Waffen in die Ukraine. Schon wird seitens der USA die Lieferung und der Einsatz von Streubomben mit Uran-Munition in der Ukraine erwogen. Weil normale Munition gewissermaßen erschöpft ist. Unser Bundespräsident Steinmeier befürwortet im Sommerinterview des ZDF offenbar den Einsatz dieser Streubomben. Man könne in der gegenwärtigen Situation den USA nicht in den Arm fallen“, man müsse „Verständnis dafür haben, dass die Ukraine die russischen Truppen zurückzudrängen versucht“. Aha.

Wahrheit unter Beschuss“

Die Eskalation dieses Krieges geht immer weiter. In der Sendung„Wahrheit unter Beschuss“(mit Jacques Baud, Dirk Pohlmann, Jürgen Rose & Walter van Rossum) gab sich Journalist Dirk Pohlmann in hohe Maße alarmiert, bestürzt und ratlos. Er könne sich beim besten Wissen nicht vorstellen wie man aus dieser momentanen Situation im Ukraine-Krieg wieder herauskommen wolle.

An der Gesprächsrunde nahm auch ehemaligen Oberst der Schweizer Armee Jacques Baud teil.

Dessen Buch „Putin – Herr des Geschehens“ – welches heute erscheint – sei von mir unbedingt zur Lektüre empfohlen.

Das Buch war eigentlich als Antwort auf die französische Fernsehsendung „Putin Herr des Geschehens“ am 17.10.2021 gedacht. Die „Experten“, welche darin diskutierten, bezeichnet Jacques Baud als „ignorant und empathielos“ und sie hätten eine Denkweise symbolisiert, welche 1945 ausgestorben geglaubt schien.

Geht es in unseren Fernsehdiskussionsrunden viel anders zu? Eher vielleicht noch schlimmer. Wir bekommen ja allein in ARD und ZDF fast nur noch Propaganda aufgetischt. Westliche Propaganda und Propaganda des Kiewer Regimes. Wenn wir „Glück“ haben ist eine Person mit abweichender, differenzierter Meinung vertreten. Nehmen wir als eine solche Person beispielsweise Sahra Wagenknecht. Die wird dann von den anderen Gästen sowie der Moderatorin/dem Moderator versucht erbarmungslos niederzumachen.

Seit erwähnter Sendung im französischen Fernsehen haben sich die Spannungen zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen verschärft und schließlich zu einem bewaffneten Konflikt geführt.

Was am 17.10.2021 noch ein Einzelfall gewesen sei, so Baud, wurde am 24. Februar 2022 zur Denkweise des Westens. Der Inhalt des Buches wurde an die veränderte Situation angepasst.

Baud: „Politik sollte auf Fakten, nicht auf Vorurteile gründen.“

Diejenigen, die glaubten, dass man Russland nur negativ bewerten darf, hätten die Ukraine in die Katastrophe gestürzt.

Überzogene Erwartungen wurden geweckt, die die ukrainischen und europäischen Bürger nun teuer bezahlen müssten. Letztendlich für nichts.

Der Westend Verlag zum Buch:

«Es zeichnet sich keine Lösung ab, das Sterben in der Ukraine schreitet voran. Obwohl dieser Krieg täglich in den Traditionsmedien präsent ist, bleibt vieles unterbelichtet, denn seine Vorgeschichte wird lediglich unvollständig dargestellt oder sogar ignoriert. Eine zu einfache Schuldzuweisung hat sich etabliert und verringert die Chancen auf eine Verhandlungslösung. Jacques Baud hat für den Schweizer Strategischen Nachrichtendienst, die NATO und die Vereinten Nationen gearbeitet. Mit seinem Buch liefert er auf der Grundlage von Dokumenten, die hauptsächlich von den USA, der Ukraine, der russischen Opposition und internationalen Organisationen stammen, einen sachlichen Blick auf die Realität dar und öffnet die Tür für eine unvoreingenommene Einschätzung des Kriegs in der Ukraine. Für Baud ist es Zeit, zurück zu den Fakten und vor allem zum Dialog zu kommen.«

Das Buch verfolgt zwei Ziele:

dass unsere Vorurteile nicht der Realität entsprechen;

dass Entscheidungen, die auf unseren Vorurteilen beruhen, das Gegenteil bewirken, was wir eigentlich wollen.

Kritik an den sogenannten Faktencheckern

Baud analysierte die Lage genau. So wie es strategische Nachrichtendienste tun, die sich zu 95 Prozent offener Nachrichtenquellen bedienen.

Im Unterschied zu den sogenannten Faktencheckern, die keine genauen Definitionen von „Verschwörungstheorien“ als Grundlage hätten (damit sie solche Begriffe zum Zweck von Zensur und Desinformation benutzen können), verwenden wir hier eine feste Terminologie, stellt Baud klar. „Im Gegensatz zu ihnen benutzen wir das «Faktenchecken« (das Prüfen von Tatsachen), um zu zeigen, dass es ehrliche Journalisten gibt, die mit Sorgfalt arbeiten. Dafür werden wir die Zustände ohne politische Voreingenommenheit untersuchen.“ Faktenchecker verwechselten allzu oft ihre Weltsicht mit den Fakten und seien alles andere als unparteilich

Was ihnen nicht gefällt – nicht dem bestimmten Narrativ entspricht – sind Verschwörungstheorien

Baud beklagt: Viele Journalisten arbeiten nicht nach derMünchner Charta! Und: Es müssten immer auch Fragen nach der moralischen und strafrechtlichen Verantwortung der Medien gestellt werden.

Stattdessen verfahre man nach der Devise: Der Zweck heiligt die Mittel.

Aufräumen mit Vorurteilen

Jacques Baud geht viele Vorurteile an, die von den Medien ständig wiederholt und unter die Leute gebracht werden. Baud räumt damit gründlich auf.

Die Frage etwa „Versucht Wladimir Putin die UdSSR wiederherzustellen?“ (S.17) beantwortet Baud mit nein. Er erklärt:

Die UdSSR sei ein marxistischer Staat gewesen, der den Klassenkampf in der Welt fördern wollte.

„Putins Russland ist ein wirtschaftsliberaler Staat, grundverschieden von der UdSSR in Bezug auf seine Ideologie und sein Funktionieren.“

Des Weiteren bringe man immer wieder Putins Satz, „Die Zerstörung der UdSSR war die größte Katastrophe in der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ und deute ihn immer wieder falsch. «Um Putins angebliche Sowjetnostalgie und seine Ambitionen zu verdeutlichen, zur „Größe“ der UdSSR zurückzufinden. Das ist faktisch und politisch gelogen.«

In Wahrheit stamme dieser Satz Putins aus einer Rede vom 25.5.2005 in der Wladimir Putin die chaotische Weise bedauert, in der sich der Übergang in die Demokratie vollzog.

Einer weiteren seitens des Westens in den Raum gestellten Behauptung tritt Baud entgegen: Putin trauere dem kommunistischen System nicht nach.

Auch bei der von Putin angeblich angestrebten Wiederherstellung des „Russischen Reichs“ handelt es sich nach Bauds Meinung um ein dezidiert westliches Hirngespinst, das weder die russische Regierung noch Putin jemals für sich in Anspruch genommen habe.

„Putin möchte lediglich Russland auf der internationalen Bühne eine gewichtige Stimme geben, um seine Interessen zu verteidigen“, schreibt Baud.

Und er habe dass Bestreben gehabt die Minsker Vereinbarungen umzusetzen. Die die westlichen Akteure – wie sie selbst bekannten – überhaupt nie gedachten umzusetzen.

Putin habe zu Recht festgestellt, dass der Westen seit 1990 von einer schlechten Entscheidung zur nächsten gestolpert sei und dabei Probleme schaffe, die er nicht zu lösen vermag. Und Europa strukturell unfähig sei gegen die Vereinigten Staaten zu handeln.

„Er möchte wieder ein Gegengewicht zur sperrigen Omnipräsenz der USA schaffen, die nur für die eigenen Interessen, zum Nachteil der Alliierten und der übrigen Welt handeln.“

Auch den auf France 5 von Jean-Dominique Giuliani, Präsident der Robert-Schuman-Stiftung, erhobenen Vorwurf Putin wolle in Polen und den baltischen Ländern einen Einflussbereich besitzen, bezeichnet Baud als falsch.

Nach dem Kalten Krieg habe sich Russland zunächst von den neuen NATO-Staaten nicht bedroht gesehen, meint Baud.

Jacques Baud erinnert u.a. daran, dass der US-amerikanische Diplomat George F. Kennan 1997 vor der NATO-Erweiterung gewarnt habe.

Dies, so Kennan, sei ein „verhängnisvoller Fehler amerikanischer Politik in der gesamten Periode nach dem Kalten Krieg“.

Baud bekräftigt auch, dass Russland nie Anspruch auf die Ukraine erhoben hat. Moskau haben nur nicht gewollt, dass sich die NATO Russland nähert und möchte sich selbst nicht der NATO nähern. Es forderte die Neutralität der Ukraine. Selbst Selenskyj sei bereit gewesen Ende März 2022 in Istanbul darüber zu diskutieren. Boris Johnson habe das vereitelte. Ein Frieden sei quasi greifbar gewesen. Johnson jedoch habe Kiew aufgefordert weiter zu kämpfen.

Alles Geschehnisse die westliche Medien gerne verdrängen oder geflissentlich unerwähnt lassen.

Zusicherungen die NATO nicht zu erweitern seien dokumentiert. Und von freigegebenen Dokumenten belegt. Üblichen Einwänden tritt der Autor entgegen: Es gebe keine Verträge – das stimme – was aber nicht heiße, dass die Zusagen nicht ausgesprochen worden sind. Ein Fehler allerdings war, dass Gorbatschow nicht auf etwas Schriftlichem bestand.

Nach dem Ende der Sowjetunion, der die USA – nebenbei bemert – gerne auch schon 1945 den Garaus gemacht hätten, sah Washington eine neue Chance: Dick Cheney wollte 1991 die Zerschlagung Russlands.

Man tat alles, dass Russland ja nicht erstarke. An der Zerschlagung Russland hielten die USA immer fest. Nun wittern sie eine neue Chance. Und dazu nutzen sie den Ukraine-Krieg. So kann man diesen Krieg durchaus als Stellvertreterkrieg bezeichnen: USA gegen Russland.

USA haben sich Länder „gekauft“. Währung: Beteiligung an Kriegen Irak usw.

Ungeschriebene Regel: NATO-Mitgliedschaft ging dem Beitritt zur EU systematisch voraus

Russland wollte ja sogar selbst einmal der NATO beitreten. (S.39)

Jacques Baud erinnert an Gorbatschows Idee vom Haus Europa. Dazu habe auch Putins Russland gestanden. Russland habe auch nie die Auflösung der NATO gefordert. Was ja letztlich nahe an der von General de Gaulle immer wieder propagierten Idee eines „Europas vom Atlantik bis zum Ural“ gelegen war. Die Chancen dazu wurden 1990 vertan.

Etwa sei Bill Clinton dafür gewesen Versprechungen gegenüber Russland nicht umzusetzen.

Ein Seite für Seite interessantes Buch. Hier wird Geschichte nachgezeichnet. Und auch die Vorgeschichte zum Ukraine-Krieg scheint gut beleuchtet auf. Dazu gehört auch der von den USA finanzierte und unterstützte Maidan-Putsch 2014 in Kiew mit den bekannten Folgen. Abspaltung der Krim via einer Volksabstimmung. Letztlich habe Moskau so gehandelt wie der Westen bezüglich des Kosovo. Nur, dass es beim Kosovo keine Volksabstimmung gegeben habe.

Angriff der Ukraine auf den Donbass. In neun Jahren starben dort mehr als 10.000 Menschen durch Beschuss und an Minen. Darunter viele Kinder.

Was viele Leser überraschen wird: Baud meint, die Ukraine wusste, dass Russland nicht angreifen wollte. Letztlich habe aber der Westen Russland zum Eingreifen verleitet. Man kann auch sagen: Der Angriff wurde herbei provoziert. Der Autor sieht es so: Westen brauchte den Angriff. Und Putin hatte nichts mehr zu verlieren.

Für Jacques Baud steht fest: Der Westen konnte wissen, dass sein Tun nicht den Ukrainern hilft. Er fragt: Westliche Werte? Recht? Nein. Es herrsche eine Amerikanische Denkweise.

Es gibt keine Regeln mehr. Es gilt das Recht des Stärkeren.

Doppelte Standards würden angewendet. Und was man unterstreichen muss:

Nur wenige Kommentatoren verstünden Russland und verwechselten es mit der UdSSR.

Es würde absurder Hass gegen Putin geschürt.

Ebenso gingen die Hitler-Vergleiche (wie auch betreffs früherer Personen wie Saddam Hussein oder Milosevic) auch hinsichtlich der Person Putin fehl.

Wir urteilten zu oft aus dem Bauch statt aus dem Kopf.

In Wirklichkeit schwächten wir uns

Waffenlieferungen und die NATO-Ausdehnung seien unverantwortlich.

Was hätten wir erreicht? Weißrussland sei wieder näher an Russland gerückt. Russland und China seien festere Partner wie noch vor Jahren.

Schlussfolgerungen

«Die „Experten“ haben durch ihr Unwissen unsere Wahrnehmung von Russland, der Ukraine und der Ereignisse so sehr verformt, dass wir zu keiner unaufgeregten Deutung der Lage gekommen sind, die erlaubt hätte, das Desaster zu vermeiden. Stattdessen in einen Strudel aus Unverständnis und Voreingenommenheit gerieten. Nachrichtendienste glänzten durch Abwesenheit. Diplomatie sei nicht zu erkennen.

Der Autor aufgewachsen in einer Gesellschaft, die Gewalt ablehnt, sowohl was das Handeln als auch des Denkens anbetrifft, verurteilt Krieg. Als Schweizer aber ist ercitoyen-soldat(etwa Bürger in Uniform) und akzeptiert Gewalt nur, wenn sie rechtmäßig und erforderlich ist.

Baud zeigt sich weit davon entfernt Putins Einmarsch zu rechtfertigen.

Zugleich weißt er auf die Heuchelei des Westens hin: Die selben Leute die Luftschläge auf Libyen gutgeheißen haben kritisieren Putin.

Am Ende bringt Baud ein Zitat vo Henry Kissinger aus derWashingtonPost: « […] die Verteufelung von Wladimir Putin ist keine Politik; sie ist ein Alibi, dafür, keine Politik zu haben.« (S.254)

Und Jacques Baud lässt uns mit diesem Satz zurück: „Ob uns das nun gefällt oder nicht, am Ende heißt er große Sieger … Wladimir Putin.“

Unbedingte Leseempfehlung! In unseren Mainstream-Medien finden wir meistens leider immer nur eine unvollständige Geschichte des Ukraine-Kriegs und dessen Vorgeschichte. Stattdessen werden wir mit Vorurteilen und westlicher Propaganda bombardiert. Jacques Baud kommt das Verdienst zu einen sehr guten Überblick über die Geschehnisse und Ereignisse rund um das Thema abgeliefert zu haben. Alles aufgrund von unvoreingenommenen vorurteilsfrei durchgeführten Analysen. Das Buch hat gefehlt!

Zum Autor

Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein abgeschlossenes Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit und internationalen Beziehungen. Er arbeitete als für die Ostblockstaaten und den Warschauer Pakt zuständiger Analyst für den Schweizer Strategischen Nachrichtendienst und leitete die Doktrin für friedenserhaltende Operationen der Vereinten Nationen New York. Dort war er zuständig für die Bekämpfung der Proliferation von Kleinwaffen bei der NATO und beteiligt an den NATO-Missionen in der Ukraine.

Das Buch

Jacques Baud

Erscheinungstermin:

10.07.2023

Seitenzahl:

320

Ausstattung:

Klappenbroschur

Artikelnummer:

9783864894268



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asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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