CDU/CSU-Geheimdienst vs. Willy Brandt

Spionage Es muss für die Rechtskonservativen in der BRD ein GAU gewesen sein, als 1969 mit Willy Brandt erstmalig ein Sozialdemokrat Bundeskanzler wurde.

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Zugeben, der Fall ist äußerst unwahrscheinlich. Aber nehmen wir einmal an DIE LINKE erreichte bei Bundestagswahlen die Mehrheit und würde den Bundeskanzler stellen. Nehmen wir weiter an, dieser Bundeskanzler wäre Gregor Gysi. Wie fiele die Reaktion rechtskonservativer Kreise in der Bundesrepublik Deutschland aus? Begriffen die dieses Faktum nicht als GAU? Erst recht alarmiert wären gewiss die wirklich Mächtigen hinter den sie "naturgemäß" vertretenden Politikern aus CDU, CSU und FDP. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt liefe gewiss Amok, bellte unentwegt, sähe Deutschland auf Wegen zum Kommunismus. Ein Schreck, der einigen gehörig in die bislang gut geschmierten Glieder führe.

Ein Sozi an der Spitze des Staates!

Ähnlich muss es der bis dato herrschenden Klasse der BRD und ihren politischen Vertretern in der Politik im Jahre 1969 gegangen sein, als mit Willy Brandt erstmals ein Sozialdemokrat Bundeskanzler wurde. Bei den Rechtskonservativen dürften die Alarmglocken geschrillt haben. In der Politik geht es um Interessen. Und die sahen die Vertreter von Kapital und Wirtschaft damals gewiss ziemlich in Gefahr. Ein Sozi an der Spitze des Staates! Verständlich, dass da mancheiner bestimmte Felle den Rhein oder sonstwo hinunter- und wegschwimmen sah. Am liebsten hätten die rechtskonservativen bundesrepublikanischen Kreise wohl diese Bundestagswahl ungeschehen gemacht.

Linken Kräften schlägt stets das Misstrauen des Kapitals entgegen

In diesem Kontext betrachtet wird klar, dass es linke Kräfte - egal wo auf der Welt - immer schwerer haben die Macht zu erringen. Und haben sie es dann doch einmal geschafft, schlägt ihnen sofort Misstrauen und ein eisiger Wind entgegen. Denn das Kapital ängstigt sich um das größte Stück am Kuchen. Es teilt nur mit Widerwillen. Wenn es dazu gezwungen wird. Und geschieht das dann doch einmal, sinnt es sogleich darüber nach, wie das am besten rückgängig zu machen wäre. Mit ohnehin reichlich vorhandenem Geld wird nicht selten übergangslos eine Propagandamaschinerie angeworfen, die eine linke Regierung mit teils übler Hetze oder eher diffus eingesetzen "Giftspritzen" in Misskredit bringen soll. Nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Der Sturz der Regierung Allende in Chile

So erging es auch der demokratisch gewählten Regierung von Salvador Allende in Chile. Letztlich wurde sie durch General Augusto Pinochet unter mehr oder weniger tatkräftiger Unterstützung der USA und dem Geheimdienst Washingtons, der CIA, gewaltsam gestürzt. Chile taumelte in eine blutige Diktatur, die sich an den Sozialisten und Gewerkschaftern des Landes bitter rächte. Hernach wurde Chile zu einem Laboratarium des Neoliberalismus. Später lieferte jenes Labor gar Blaupausen für ähnliche Entwicklungen, die uns mittlerweile hier in Europa das Leben schwer machen.

Der Sturz der Regierung der Unidad Popular unter Allende liegt zwar zeitlich nach dem Machtantritt der Regierung Brandt. Gleichwohl gab es sowohl vorher und auch danach überall auf der Welt immer wieder Beispiele dafür, wie Unliebsame von der Macht entfernt wurden, die den Interessen des Kapitals zu stark im Wege waren. Es dürfte deshalb auch kein Zweifel daran bestehen, dass rechtskonservative Kreise der BRD vom ersten Tage da Willy Brandt und die SPD ihren Platz am Regierungsruder in Bonn eingenommen (wahrscheinlich sogar schon am Wahltag) hatten, eifrig nachsonnen, wie sie ihn und die Sozipartei wohl rasch wieder loswerden konnten.

Wundern darüber wird sich ein politisch real denkender Mensch bestimmt nicht. Ein Wolf macht ja auch keine Luftsprünge, wenn der Bauer es ihm schwer macht dessen Hühner zu reißen.

Kopfschütteln in Sachen "Aufklärung" des NSU-Terrors

Ebensowenig wundern wir uns anno 2012 kaum noch über die stümperhaften Ermittlungen und Vertuschungen im Falle des Terrors des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Beinahe jeden Tag kommen betreffs der "Aufklärung" seitens unserer Geheimdienste neue Indizien und nachweislicher Unterlassungen sowie gröbste Verfehlungen ans Licht. Man kommt mit dem Kopfschütteln kaum noch hinterher.

Politischer Machtverlust war eine Schmach für CDU und CSU

Doch kehren wir wieder ins Jahr 1969 zurück. Die Rechtskonservativen wollten also Brandt und die SPD loswerden. Man mag sich darüber noch nachträglich empören. Erinnert man sich doch an die Hetze der Unionsparteien gegen Willy Brandt vor dessen Wahl. Und danach mit Grausen an die des Oppositionsführers Rainer Barzel. Da ging zuweilen sehr unappetitlich zur Sache. So weit, so schlecht. So verständlich angesichts der seitens der Unionsparteien erlittenen Schmach in Folge des mit der an Brandt verlorenen Wahl und des damit verbundenen politischen Machtverlusts sowie des in Reaktion auf sie zurückschlagenden Einflussverlusts und des bislang von CDU und CSU am Regierungshebel vertretenen Klientels.

Willy Brandts Politik erregte den Argwohn der Unionsparteien

Dem Fass schlägt es nun allerdings mit lautem Knall den Boden aus, wenn wir im Zeit-Magazin vom 29. November unter der Überschrift „Die Verschwörung gegen Brandt“ (Autorin: Stefanie Waske) erfahren, dass CDU- und CSU-Anhänger einen eigenen Nachrichtendienst aufbauten und in Stellung gegen die Regierung Brandt brachten. Offenbar fürchteten sie denn Verlust des Zugriffs und ihres Einflusses auf die offiziellen Dienste. Mit besonderem Argwohn betrachteten die Unionsparteien offenbar Willy Brandts außenpolitisches Konzept "Wandel durch Annäherung", welches er in der Regierung nun in die Tat umzusetzen gedachte.

Unglaublicher Spionagefall als ein Skandal, der tief blicken läßt

In Briefen von CDU-Abgeordneten, die die Autorin des Berichtes, Stefanie Waske, studiert hat, ist laut Zeit-Magazin hinsichtlich des Parteigeheimdienstes von CDU- und CSU-Anhängern etwas verniedlichend von einem "kleinen Dienst" die Rede. Waske trifft dagegen eher den Nagel auf den Kopf, wenn sie die damaligen Vorgänge als unglaublichen Spionagefall bezeichnet. Ein unglaublicher und unverschämter Spionagefall möcht man hinzufügen, der eines demokratischen Staates unwürdig ist. Umso verwunderliches ist es, dass dieser zum Himmel stinkender Skandal heutzutage medial wie in der gegenwärtigen politischen Diskussion so wenig Staub aufwirbelt. Was ein weiterer Skandal ist und tief blicken läßt.

Albrecht Müller: "Wenn etwas Ähnliches auf der linken Seite des politischen Spektrums passiert wäre, dann hätten sich die Medien von Springer bis zum ZDF wochenlang damit beschäftigt."

Albrecht Müller, einst enger Mitarbeiter von Willy Brandt und heute einer der Herausgeber der NachDenkSeiten, schrieb gestern dazu: "Überrascht hat mich dieser Bericht nicht. Es überrascht mich auch nicht, wie wenig dieser Beitrag von anderen Medien aufgenommen wurde. CDU und CSU gelten heute wie damals als Staatspartei, der quasi alles erlaubt ist. Wenn etwas Ähnliches auf der linken Seite des politischen Spektrums passiert wäre, dann hätten sich die Medien von Springer bis zum ZDF wochenlang damit beschäftigt."

Genau! Wie liefe da CSU-Wadenbeißer Alexander Dobrindt und Markus Söder zur Hochform auf! Gesetzt den Fall, Gregor Gysi wäre Bundeskanzler und DIE LINKE Regierungspartei mit angeschlossenem "kleinen Dienst". Zugeben, der Fall ist äußerst unwahrscheinlich. Wetten, dass, wenn - was wie bereits bemerkt , ziemlich unwahrscheinlich ist - DIE LINKE nach den Bundestagswahlen stärkste Partei wäre und den Bundeskanzler stellte, recht schnell von den Unionisten und deren Klientel so ein "kleiner Dienst" installiert werden würde? Und wie da die regulären staatlichen Geheimdienste spurten. Immerhin haben sie ja schon Vorlauf. Schließlich wird DIE LINKE ja schon jetzt bis in den Bundestag hinein geheimdienstlich beobachet.

Übrigens der CDU-CSU-Geheimdienst stellte seine Arbeit nach zwölf Jahren Tätigkeit 1982 wieder ein. Da war die Union wieder am Ruder und Helmut Kohl Bundeskanzler. Der "kleine Dienst" war überflüssig geworden. Die rechtskonservative Welt war wieder in Ordnung...

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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