"Der neue Mensch" von Cyril Moog

Rezension Die spannende Geschichte zweier Menschen. Eingebettet in Weltgeschichte von 1917-1923. 7 Jahre hat Moog dafür recherchiert. Keinen Moment langweilg. Chapeau!

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Das Buch ist ein Brummer. Es brummt darin nur so von Geschichte. Erzählt wird sie innerhalb des interessanten historischen Zeitraums von 1917 bis 1923 in dem vierhundert Seiten umfassendem Wälzer – welcher, dies sei schon mal verraten und von mir verbürgt: an keiner Stelle auch nur im Ansatz langweilig wird – anhand der unterschiedlichen Lebenswege zweier aber doch immer irgendwie verbundener junger Menschen namens Anna und Heinrich.

Apropos Geschichte: Potentielle LeserInnen dieses glänzenden, fesselnden Romans, die meinen, die Geschichte in- und auswendig zu kennen, sich ein bestimmtes Weltbild gezimmert haben oder selbiges sich auf die eine oder andere Weise haben zimmern lassen, seien vorgewarnt: Ihr Welt(Geschichts-)bild könnte Kratzer bekommen oder im schlimmsten Falle sogar einstürzen.

Bevor dieser Roman mit seiner brisanten Story völlig unerwartet in mein Leben trat (zugegeben: ich hatte weder von dem Buch selbst, noch seinem Autoren Cyril Moog zuvor je etwas gehört), kam der kürzlich im Westend Verlag als Nachdruck des vor über 100 Jahren von Halford John Mackinder gehaltene Vortragstext „Der Schlüssel zur Weltherrschaft. Die Heartland-Theorie“ (mit einem Lagebericht von Willy Wimmer) zur Rezension auf meinen Schreibtisch.

Das Brisante, das hinter der Herzland-Theorie („The Geographical Pivot of History“), vorgetragen von Mackinder am 25. Januar 1904 vor der Royal Geographical Society in London) steckt und auf durchaus erschreckende Weise heute bei geostrategischen Überlegungen bestimmter Mächte noch immer eine üble Rolle spielt, verarbeitete auch Cyril Moog in seinem Roman! Dahinter steht nämlich die nicht von der Hand zu weisende Überlegung: Wer dieses Herzland beherrscht, beherrscht die Welt. Und George Friedman sagte es ja vor ein paare Jahren frei heraus: Die USA ist sein hundert Jahren bestrebt zu verhindern, dass Russland und Deutschland gute Beziehungen haben.

Auch die Frage, ob Deutschland der einzige Schuldige am Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist, lässt sich nach der Lektüre nicht mehr so sozusagen wie aus der Pistole geschossen beantworten. Geschichte ist auch hier immer ein wenig komplexer, als es manches Geschichtsbuch – oft verkürzt und interessengeleitet - uns erzählt.

Heinrich von Trott kommt aus eben diesem Ersten Weltkrieg. Dort hat er Schlimmes erlebt, dass ihn in immer wieder auch Alpträumen verfolgt. Geradewegs sozusagen stolpert dieser junge Mann aus dem Welt- in einen aufziehenden Bürgerkrieg. In die Münchner Revolution. Die Räterepublik. Wieder gerät er ins Gefecht. Auf der Seite der Freikorps geht es gegen die „Novemberverbrecher“. Heinricht trifft auf Personen der Zeitgeschichte, die später auch in der Zeit des heraufziehenden Faschismus in Deutschland eine Rolle spielten. Unter anderen auf Adolf Hitler. Erlebt, wie dieser von manchem nicht ernst genommene Mann zum Führer aufgebaut wird. Revanchismus zieht herauf. Dahinein gerät der Kriegsheimkehrer Heinrich und erlebte die Vorgeschichte des Faschismus beim bayerischen Militärgeheimdienst.

Beide – Anna wie Heinrich – triggert sozusagen diese Münchner Räterepublik. Allerdings auf ganz unterschiedliche Weise. Heinrich ist voller Wut auf die „Bolschewisten“, die seiner Meinung nach ein Sowjetdeutschland offenbar nach dem Vorbild der Sowjetunion schaffen wollen und marschiert diesbezüglich angestachelt mit den Freikorps in den Häuserkampf.

Unter den Aufständischen trifft Heinrich auf einmal wieder auf Anna, an die er im Krieg stets hatte denken müssen. Beide kennen sich von Kindesbeinen an.

Anna ist ganz anders unterwegs. Sie glaubt, emotionalisiert in den Tagen Revolution, an einen Aufbruch in eine neue, bessere Zeit, ist begeistert von Anarchie und Avantgarde. Bald trennen sich Annas und Heinrichs Wege wieder.

Anna trifft mit den Revolutionären Ernst Toller und Gustav Landauer zusammen. Später am Lago Maggiore und anderswo trifft sie auf Künstler und lernt freie Lebensformen, sowie Frauen, die selbstbewusst ihre Rechte einfordern, kennen. Alles was mit Kunst und Literatur in Zusammenhang steht, saugt Anna begierig auf.

Der Verlag Zeitgeist fast kurz und bündig zusammen: „Auf ihrem Weg von München über Berlin nach New York, Detroit“ (wo Heinrich auf Henry Ford trifft; C.S) und zurück kommt es zu überraschenden Wendungen, zudem begegnen ihnen zahllose Größen jener Zeit, etwa im Café Größenwahn, bei konspirativen Treffen diverse Bruderschaften, auf der 2. Internationalen Eugenik-Konferenz, im Harlemer Jazzclub oder auf dem Monte Veritá. Und langsam wächst bei beiden ein tieferes Verständnis von den Wirkmächten hinter dem Weltgeschehen, die auch ihre Geschicke zu lenken suchen ...“

Apropos Eugenik! Beim Lesen der entsprechenden Stellen im Buch fiel mit Hermann Ploppas Buch „Hitlers amerikanische Lehrer“ ein. Dazu findet man – ohne freilich die einzigartigen Gräueltaten des faschistischen Hitler-Regimes in irgendeiner Weise damit entschuldigenn zu können zum Buch Folgendes:

Ist tatsächlich der Nationalsozialismus mit all seinen schrecklichen Auswüchsen ein rein deutsches Produkt? Der Autor weist anhand von bislang unbekannten Dokumenten nach, dass viele Elemente des Nationalsozialismus aus Bestrebungen hervorgingen, die in den USA bereits seit der Wende zum 20. Jahrhundert Mainstream waren: z.B. die Ideologie der nordischen Herrenrasse oder die »Eliminierung Minderwertiger«. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurden in vielen Staaten der USA Gesetze zur Sterilisierung oder Kastration »Minderwertiger« in Kraft gesetzt.

Und nicht nur das: Im Jahre 1914 erarbeiteten US-Regierung, angesehene Stiftungen wie Carnegie oder Rockefeller sowie die besten Wissenschaftler amerikanischer Universitäten ein detailliertes Rassenaufartungsprogramm nicht nur für die USA, sondern für die gesamte Menschheit. Nach diesem Plan sollten bis zum Jahre 1985 allein in den USA 45 Millionen »Minderwertige« »eliminiert« werden.

Adolf Hitler hat dieses Programm in Mein Kampf mit Eifer propagiert. Hitler hat auch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er den US-Amerikanern Henry Ford, Madison Grant und Lothrop Stoddard entscheidende Anregungen verdankt.

»Wenn Amerika grundsätzlich dem Niedergang der Nationen entgehen will, muss es gute Amerikaner züchten. Eugenik muss unsere religiösen und moralischen Werte durchdringen.« Eugenics Record Office

»Die Gesetze der Natur verlangen die Auslöschung der Ungeeigneten. Und menschliches Leben ist nur dann wertvoll, wenn es für die Gemeinschaft oder die Rasse von Nutzen ist.« Madison Grant
»Entartung beeinträchtigt nicht bloß die Gesellschaft, sie bedroht ihre Existenz als Ganze . Entartung kann nur durch die Beseitigung der Entarteten ausgetilgt werden.«
Lothrop Stoddard

»So wie die Natur das schädliche Element im Fleisch in eine Zyste einbindet, indem sie eine Mauer drumherum baut; so haben es auch die Nationen passend gefunden, mit dem Juden zu verfahren. In der modernen Zeit jedoch fand der Jude Mittel, um die Mauer niederzureißen und das ganze nationale Gebäude in Verwirrung zu stürzen und in der Dunkelheit und dem Gerangel, das folgte, den Platz zu ergattern, den er schon so lange begehrte.« Henry Ford

»Ein Teil der eugenischen Politik würde uns endlich zu einem ausgiebigen Gebrauch der Tötungskammer führen. Eine große Anzahl Menschen müsste aus dem Leben gebracht werden, ganz einfach, weil es die Zeit von anderen Menschen vergeudet, sich um sie zu kümmern.« George Bernard Shaw“

Annas und Heinrichs Leben sind auf bestimmte Weise über ein unsichtbares Band verbunden. Ganz anders als sie es lange selbst vermutet hätten. Die Spannung wird aufrechterhalten. Mit Anna und Heinrich zusammen wird den LeserInnen klar, ob es wirklich Zufälle waren, die die beiden an unterschiedlichen Orte diesseits und jenseits der Großen Teichs zusammenführten.

Der Roman ist spannend von der ersten bis zu letzten Zeile. Die Kapitel sind meist nicht allzu lang. Doch nach jedem will man wissen wie es weiter geht und es fällt einen äußerst schwer die Buchdeckel zuzuklappen und die Lektüre längere Zeit zu beenden.

Cyril Moog hat nicht nur eine spannende, brisante und einen als Leser wirklich bis zum Romanende aufwühlende Geschichte geschrieben, sondern Historie, - in ihrer Tragweite bis ins Heute nachwirkend-, gekonnt in die mitreißende Handlung eingebettet, vor unseren Augen aufscheinen lassen.

Eine unglaublich umfassende Arbeit hat Moog da vorgelegt. Für „Der neue Mensch“, der Auftakt zu einer Romanreihe (es sollen noch weitere vier Bücher folgen), hat der Autor sieben Jahre recherchiert. Und er hat zu diesem Behufe unfassbar viele Quellen (sie alle sind nachvollziehbar auf mehreren Seite am Ende des Buches aufgeführt) studiert. Cyril Moog hatte die klug zu nennende Idee die Geschichte in einem Roman zu verpacken. Durchaus vorstellbar ist, diesen Roman eines Tages zu verfilmen.

Für uns LeserInnen hat sich das gelohnt. Entstanden ist sozusagen (auch) ein wahres (in keiner Weise trockenes) Geschichtsbuch mit einer gekonnt erzählten, uns mitfühlen und mitleiden lassenden Lebensgeschichte zweier junger Menschen darin, inmitten der damaligen Wirren. Der Mantel der Geschichte umflattert uns mit den Buchseiten, die wir begierig umblättern. Wir müssen auch überlegen, ob Teile der Geschichtsschreibung nicht überdacht und hier und da neu erforscht werden muss. Und nach der Lektüre blicken wir hinaus ins Heute: und müssen uns eigentlich fragen, geschieht gegenwärtig schon wieder Ähnliches? Geschichte mag sich nicht wiederholen. Dennoch kann man man sich durchaus an Egon Bahr erinnert fühlen. Zu SchülerInnen sagte der Sozialdemokrat 2013: "Ich, ein alter Mann, sage euch, dass wir in einer Vorkriegszeit leben." (Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung)

Titel:

Der neue Mensch

Untertitel:

1917–1923

Autor:

Cyril Moog

Genre:

Roman

Umschlag:

Broschiert (mit Klappen)

Seiten:

504, mit 3 Abb.

Format:

13 x 21 cm

Erscheint am:

15. Feb. 2018

ISBN:

978-3-943007-13-8

Preis:

19,80 €

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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