Dortmund: 8000 Warnstreikten

Öffentlicher Dienst Frank Bsirske zum Arbeitgeberangebot: „ein Akt der Missachtung, ein Akt der Geringschätzung und ein Akt der Ignoranz der Leistungen des öffentlichen Dienstes“.

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Heute morgen gingen in Dortmund zirka 8000 GewerkschafterInnen aus der Ruhrgebietsmetropole, sowie aus den ver.di-Bezirken Siegen/Olpe, Südwestfalen und des ver.di-Bezirks Lünen, Unna und aus Castrop-Rauxel auf die Straße, um ihren Forderungen in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes 2016 kräftig Ausdruck zu verleihen. Hintergrund des ver.di-Warnstreiks: Die Arbeitgeber hatten ein völlig inakzeptables Angebot auf den Tisch gelegt. In mehreren Demonstrationszügen marschierten die GewerkschafterInnen bei kaltem Wetter, wobei sich Nieselregen Hagelschauer und Sonnenschein abwechselten, zum Friedensplatz vor das Dortmunder Rathaus. Vornweg des vom Remydamm kommenden Demozuges fuhr ein Wagens, worauf die ver.di-Jugend, musikalisch ordentlich einheizend, Stimmung zu machen verstand.

Christine Behle (ver.di) zur derzeitigen Situation

Christine Behle, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes sprach zu den auf dem Friedensplatz Versammelten. Sie legte noch einmal dar, dass man in diese Tarifrunde mit einer Vergütungsforderung in Höhe von 6 Prozent gegangen war. Hundert Euro mehr sollten die Auszubildenden bekommen. Wie erwartbar gewesen sei, so Behle, hätten die Arbeitgeber diese Forderung sogleich abgewehrt. Der Verhandlungsführer für den Bund, Innenminister Thomas de Maizére, habe die Gewerkschaft bereits im Vorfeld zur Mäßigung aufgerufen. „Thomas Böhle, Verhandlungsführer für die Kommunen, nennt unsere Forderung maßlos und überzogen vor den Hintergrund der finanziellen Spielräume der Kommunen“, berichtete Christine Behle.

Öffentlicher Dienst betreffs Reallohnentwicklung abgehängt

Das ver.di-Vorstandsmitglied sieht das anders. Sie sprach auf die Reallohnentwicklung an. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes seien in den letzten zwanzig Jahren regelrecht abgehängt worden. Um die Inflationsrate bereinigt, hätten die Reallöhne lange Zeit stagniert. Ein leichter Anstieg sei nur durch die guten Abschlüsse in der letzten Lohnrunde und die Einführung des Mindestlohnes zu verzeichnen. „Ganz anders die Einkommen aus Unternehmen und Vermögen. Die sind nämlich im gleichen Zeitraum um rund dreißig Prozent gestiegen. Deutschland ist so reich wie nie zuvor.“

Zehn Prozent unserer Bevölkerung verfügt über zwei Drittel des Vermögens

Das gesamte Vermögen der privaten Haushalte belaufe sich auf etwa 9 Billionen Euro. Statistisch gesehen müsse jeder von uns über hunderttausend Euro auf der hohen Kante haben.

In Wirklichkeit jedoch liege das Vermögen nur in den Händen weniger Menschen. Zehn Prozent unserer Bevölkerung verfügt über zwei Drittel des Vermögens. Die Hälfte der Bevölkerung hat fast gar nichts. Christine Behle verdeutlichte das Auseinanderlaufen der Einkommen: „2012 bekamen die Vorstandsvorsitzenden der börsennotierten Unternehmen im Schnitt 5,3 Millionen Euro ausgezahlt.“ „Jetzt“, so Behle, „sind wir mal dran mit deutlichen Einkommenssteigerungen!“

Damit die Arbeit überhaupt noch funktioniert, arbeiten viele KollegInnen über ihre Grenzen hinaus.

Allein um keinen Reallohnverlust zu haben, sei ein Plus von 4 Prozent erforderlich. Die momentane Forderung von sechs Prozent mehr Lohn und hundert Euro für die Auszubildenden bezeichnete Behle als „absolut berechtigt“. Seit Jahren finde im öffentlichen Dienst ein Personalabbau statt. Seit 1991 seien rund 33 Prozent der Stellen abgebaut worden. Bei den Kommunen sogar 38 Prozent. „Damit die Arbeit überhaupt noch funktioniert, arbeiten viele KollegInnen über ihre Grenzen hinaus. Immer mehr zusätzliche Aufgaben müssen von immer weniger KollegInnen erfüllt werden. Ein Mangel an Fachkräften sei zu verzeichnen. Überdies gebe es eine Überalterung. „Fast jeder fünfte Beschäftigte im öffentlichen Dienst wird im kommunalen Bereich in den kommenden Jahren ausscheiden.“

Leistungskürzungen in der betrieblichen Altersversorgung ist mit uns nicht zu machen

Vehement wies Behle die Forderung der öffentlichen Arbeitgeber nach Einschnitten ins Leistungsrecht der betrieblichen Altersversorgung zurück. „Wenn man wisse, dass Deutschland in eine tiefe Rentenkrise zusteuert“ und Vielen Altersarmut drohe, „wir wissen, dass aufgrund politischer Fehlentscheidungen das Rentenniveau schrittweise bis auf 43 Prozent abgesenkt wird und aktuell nur noch bei 47,5 Prozent liegt, „dann werden wir zu keinem Zeitpunkt und unter keinen Umständen einer Forderung nach Leistungskürzungen in der betriebliche Altersversorgung nachkommen: das ist mit uns nicht zu machen!“

Die von den Arbeitergebern angebotene Dreiprozenterhöhung - eine Farce

Das nach ihren Worten „faire Angebot“ der Arbeitgeber schaut so aus: Sie hätten drei Prozent mehr geboten. Dies habe ver.di-Verhandlungsführer Frank Bsirske als „ein Akt der Missachtung, ein Akt der Geringschätzung und ein Akt der Ignoranz der Leistungen des öffentlichen Dienstes“ bezeichnet. Näher angeschaut, bedeute das Angebot, ab März drei Null-Monate, ab 1. Juni soll dann das Tabellenentgelt um ein Prozent erhöht werden. Für 2016 mache das eine Erhöhung von 0,6 Prozent! Das Gleiche soll für 2017 gelten. Auch hier soll es die angebotenen 2 Prozent erst ab 1. Juni geben. So, dass das Angebot tatsächlich nur 1,2 Prozent ist. Für den Zeitraum von zwei Jahren bedeute dies eine Erhörung von 1,8 Prozent!

Lohnverbesserungen nötig, um Binnenwirtschaft anzukurbeln

Man wisse um die kommunale Finanzsituation. Aber das sei nicht Schuld der Gewerkschaft, sondern Resultate politischer Entscheidungen. Andererseits gehe man momentan von hohen Steuerüberschüssen des Staates in Höhe von knapp 30 Milliarden Euro aus. Nicht nur im öffentlichen Dienst würden hohe Lohnsteigerungen gebraucht. Allein um die Binnenwirtschaft anzukurbeln sei dies nötig, erklärte Behle.

Sahra Maiwald: „ Auszubildende benötigen eine Perspektive“ - Eine Rede mit Knalleffekt

Für die Auszubildenden sprach Sahra Maiwald, Betriebsrätin beim Klinikum Dortmund und Mitglied der ver.di-Verhandlungskommission bei den Tarifverhandlungen in Potsdam. Sie setzte an den Anfang ihrer Rede ein Zitat von Rosa Luxemburg: „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren“. Für die Auszubildenden bedeute das Arbeitgeberangebot unterm Strich nicht einmal zehn Euro mehr im Monat. Dieses Angebot sei „eine Frechheit“. „Wir verdienen mehr!“, rief Sahra Maiwald unter lautem Beifall ihrer MitstreiterInnen. „Das Geld ist da, es muss nur richtig verteilt werden.“ Die Auszubildenden wünschten auf eignen Beinen zu stehen, ohne von anderen abhängig zu sein. „Wir sind gerne unbequem!“ Auszubildende benötigten eine Perspektive und die Übernahme in den Dienst. Maiwald schloss wieder mit einem Zitat: „Tarifverhandlungen, ohne das Recht zu streiken, wäre nichts anderes als kollektives Betteln“ (Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurteil aus dem Jahre 10.6.1980). „Lasst uns gemeinsam unerhört bleiben und den Arbeitgebern zeigen wie unbezahlbar wir sind!“ Dann stürmten Auszubildende die Bühne. Sie zogen eine wahre Knallaktion ab mit Luftschlangenkanonen und Trockeneispistole.

DGB-Vorsitzende Jutta Reiter: „Wir haben kein Geld, um es nach Panama zu bringen. Deshalb steht ihr hier zu Recht, um eurer Forderung Nachdruck zu verleihen“

Jutta Reiter (DGB-Vorsitzende Bezirk Dortmund-Hellweg) dazu: „Wer so eine Jugend hat, der braucht garantiert keine Angst zu haben, dass er seiner Forderung nicht Nachdruck verleihen kann!“

Momentan habe man den Eindruck, dass viele Arbeitergeber meinen, wir würden für Nippes arbeiten: „0,9 Prozent bei der Metall- und Elektroindustrie und 3 Prozent bei euch! Das ist eine Unverschämtheit und eine nackte Provokation!“ Die Gewerkschaften fordern gute Löhne für gute Arbeit. „Und die leistet ihr im öffentlichen Dienst.“ Geld genug sei da. „Wir haben kein Geld, um es nach Panama zu bringen. Deshalb steht ihr hier zu Recht, um eurer Forderung Nachdruck zu verleihen.“ Der DGB wünsche viel Erfolg dabei.

Nächste Verhandlungsrunde morgen in Potsdam

Michael Bürger schloss dann die Kundgebung. Die kurzzeitig durchgebrochene Sonne verschwand wieder und die Streikende gingen um sich in die Streikgeldlisten einzutragen. Eine machtvolle Demonstration war das heute in Dortmund. Dass trotz widrigem Wetter 8000 ver.di-Gewerkschafter bereit waren Flagge für ihre berechtigten Forderungen zu zeigen verdient Resept. Ürigens wird ein Teil der Jugendlichen, die heute an der Knallaktion beteiligt waren morgen in Potsdam zugegen sein, wenn die nächsten Verhandlung stattfindet.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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