Der Künstler Rolf Dennemann ist tot

Eine Erinnerung Rolf Dennemann, Regisseur, Schauspieler und Autor hat uns verlassen. Anstelle eines Nachrufs eine Erinnerung

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Der Dortmunder Verein artscenico e.V. is a non-profit organization, founded in 1991, to realize performance art gibt bekannt:

Wir trauern um Rolf Dennemann.

Quelle: artscenico

Mein Bericht über eine von Rolf Dennemann realisierten Performances

Ich erinnere anlässlich der traurigen Nachricht an eine einer Idee Rolf Dennemanns entsprungenen Performance: „Kunsthuren im Stundenhotel“. Eine von vielen Arbeiten des verstorbenen Künstlers.

Die Gäste, die Presseleute, warteten mit gezückten Kameras oder wahlweise mit offenen Staunemündern und voll innerer Spannung. Neben dem roten Teppich wurde ein Spalier gebildet. Die Damen - die Haare verschleiert, elegant-verführerisch in Mäntel gewandet, die Augen sonnenbebrillt, wurden, wie der Regisseur der Inszenierung, Rolf Dennemann (artscenico performing arts e.V.), in Schwarz mit Hut auf dem Charakterkopf und Zigarette im Mund, zuvor angekündigt hatte, „angeliefert“. Angereist waren die Mädels aus dem „Orient“, dem „Ostblock“ und dem „Alten Europa“. Zuvor waren die „Kunsthuren“ an der Abendkasse ver- bzw. gekauft worden.

Das werte Publikum mit Lust auf Kunst hatte die Qual der Wahl. Wie sonst die Freier im Bordellnormalbetrieb. Selbiger ruhte freilich an diesem Tage im „Club Escort“ auf der Dortmunder Juliusstrasse. Per kurzem Steckbrief („Setcard“) - Blätter Papier an eine Tafel gepinnt - stellten sich die Damen kurz vor. Nicht unerwähnt blieben ihre jeweiligen Dienstleistungen. Die kunstlüsternen Gäste konnten Einzelzimmer samt „Kunsthure“ und eine jeweils ca. 15 Minuten umfassende Leistung - von dieser ausgeführt - kaufen, oder sich gleich für ein Gesamtpaket, neudeutsch „Flatrate“ genannt, entscheiden. Gekauft werden konnte freilich „Alles ausser Sex“.

Und es hieß für die Gäste: „Anfassen verboten!“ Die Dennemannsche Idee für diese Performance entstand nicht aus Jux und Dollerei. Sie hatte vielmehr einen ernsten Hintergrund. Wir leben (noch) in einem System, wo Geld alles ist. Die Kommerzialisierung von allem und jedem macht längst auch vor den Künsten und den Künstlern keinen Halt mehr. Auch Künstler müssen sich und ihre Kunst anpreisen. Und in gewisser Hinsicht prostituieren sie sich auf diese Weise auch mehr oder weniger.

Diesen Gedanken aufnehmend, muss Rolf Dennemanns Idee genial genannt werden, sein neuestes, sich mit dieser Thematik befassende Projekt gleich in einem Bordell spielen zu lassen.

Premiere war am 29. Oktober 2011 in Dortmund: Gegen 20 Uhr rauschten, dem milden Abendwetter durchaus angemessen, die „Kunsthuren“ im offenen Coupé durch das von zwei Security-Leuten bewachte Eingangstor auf den Parkplatz des Dortmunder Hotel Escort. Der rote Teppich war ausgerollt. Nicht weniger genial der Titel: „Kunsthuren im Stundenhotel“.

Venus - wie in tausend und einer Nacht

Als Gast musste man sich ganz schön ranhalten. Schließlich sollten auf die jeweiligen Zimmer zu den jeweiligen „Kunsthuren“ immer nur jeweils acht Gäste kommen. Viel mehr Menschen hätten ehrlich gesagt auch gar nicht in die Zimmer hinein gepasst. Selbst zu acht wurde es schon verdammt eng.

Rolf Dennemann kündigte unten am Aufgang zu den Zimmern an, welche Dame wo zu finden sein würde. Dann ging es - einer hinter dem anderen her tappend - die engen Treppen hinauf in die noch engeren Zimmer. Mich zog es zu Venus. Venus, die Dennemann als „aus dem Iran“ vorstellte, die sich selbst jedoch als Perserin bezeichnete. Herzlich begrüßt fanden die Gäste auf dem wichtigsten Möbelstück eines jeden, so also auch diesen Zimmers, dem Bett, Platz. Anderen blieb nur, sich an die Wand zu drücken.

Es erwartete einen Zimmertheater vom Feinsten. Die Situation verschaffte eine ungewohnte Nähe zur Künstlerin. Wo - wann - erleben wir schon so etwas? Venus Hosseini, die ihren vielleicht für manchen der Anwesenden nicht mit dem Iran in Verbindung zu bringenden Vornamen mit einer rührenden, geradezu märchenhaften, Geschichte erklärte: Ihre Mutter habe, als sie mit ihr schwanger ging, in einem Teheraner Park damals eine Frau - offenbar ihr Kind - „Venus, Venus, wo bist du denn?“ rufen hören. Doch als ihre Mutter dann nach dieser Venus Ausschau hielt, fand sie niemand. Sie entschied sich, ihre, damals noch im Mutterleib befindliche, Tochter Venus zu nennen. Und wir erfuhren: Damals sei es im Iran durchaus noch üblich gewesen, Kindern auch westliche Namen zu geben. Dann berührte Venus ihre Gäste mit Zarathustras Versen tief. Dazu durften sich unsere Nasen an einer hingehaltenen Schale Rosenwassers gütlich tun. Ach, das hatte etwas von tausend und einer Nacht. Ein paar Bibelverse noch und himmlisch zu nennende Gesänge, vorgetragen von Venus, und schon war's vorbei. Wir mussten (leider) von dannen. Unsere Zeit war abgelaufen! So ist das eben. Auch eine „Kunsthure“ hat, wie die richtigen Huren nicht ewig Zeit. Zeit ist Geld.

Unten an der Bar drängten sich schon die nächsten Gäste. Man geht und fühlt sich fast wie ein Freier: Nach der Befriedigung setzt erst einmal Leere ein. Ein wenig traurig stolpert man die Stufen wieder herab. Doch Trost: spätestens nach dem zweiten Zimmer kommt man damit zurecht, dass der künstlerische Funke zwischen den Kunststückchen erst einmal abreisst. Was ohnehin ja auch zu dieser Performance passt. In der Bar wirkt womöglich ein (geistiges?) Getränk gegen den Funkenabriss. Des Weiteren treibt dort - ich will ihn mal „Kunsthurerich“ (der einzige Mann unter den angereisten Damen) nennen -, Matthias Hecht, sein schauspielerisches Wesen. Später im gastronomischen „Zwischendeck“ des zum Lust-Spiel-Haus umgewidmeten Bordell-Hotels ist er dann wechselweise Beuys, Malerfürst Markus Lüpertz und ein fahrig-verrückter Kinski.

Denitsa. Eine traurig-schöne Zeit

Nächster Aufruf, andere Dame: Diesmal rücken wir zu acht „Kunsthure“ Denitsa Christo (Bulgarien) förmlich auf den Leib. Es knarzt das Bett, der Rücken schmerzt. Brennende Kerzen reihen sich am Boden des Zimmers an der Wand entlang. Und heizen ein! Doch man will und hängt der Künstlerin deshalb mit schierer Lust an den sich beim Vortrag öffnenden und schließenden Lippen. Lieder von und über Herz und Liebesschmerz stechen einen, klangvoll von Denitsa ausgebracht wie Nadeln in die eigne „Pumpe“. Darein - ich denke an eignes Liebesleid und anderes Weh und Ach - das Pling: Der Kochzeitmesser. Vorbei die traurig-schöne Zeit! Ich wische mir den Schweiß, verursacht von der unbarmherzigen Kerzenwärme, vom Gesicht. Absteigen war nun abermals angesagt. Ab vom weichen Knarzebett, runter in den rot ausgeleuchteten Warteraum der Bar. Durst: Ein Weizen, um herunterzuspülen die erneute Trauer.

Alexandra: „Ich glaube und alles ist nicht mehr so schwer.“

Was sich dann oben bei Alexandra Lowygina (Russin) auf dem Zimmer unterm Stalin-Bild fortsetzt: Das Trinken. Aber auch Wodka-Trinken will gelernt sein. Beim Entrée kann jeder ein Stück Stollen nehmen. Was einen wenig russisch anmutet. Dann gibt es Salzgurken und praktische Winke, wie Wodka zu trinken sei. Mit Nasenscheidewand kurzeitig voll sperren und Luft holen, damit das Kopfweh am nächsten Tage unterbleibt. Ich melde mich - von der bezauberndselbstbewussten Alexandra befragt - mutig als „fortgeschrittener (Wodka-) Trinker“ und erhalte, wie meine Trinker-Kameradinnen und Kameraden, in diesem Sinne ein Pinnchen, später dann noch ein weiteres, „Wässerchen“, der Rest - die Abstinenzler? - Wasser: Gänsewein.

Dann geht es hinein ins volle Russenleben! Die russische Seele zittert durch das kleine Zimmerchen. muss plötzlich daran denken, bzw. frage mich, was dieses Bett, worauf ich wie die andern sitze, schon für Lust erlebt/ erduldet (von wem wohl alles?) haben mag. Der Blick fällt auf den in jedem der Zimmer obligatorisch vorhandenen Papierspender. Für danach oder zwischendurch... Und Alexandra raunzt mit tiefdunkler Seele in der Stimme und mit einem Blick in uns hinein, wie in den Baikalsee: „Ich glaube, und alles ist nicht mehr so schwer.“

Antje - Spielfreudig mit tränenreicher Dramatik

Zum Schluss - die Zeit war weit fortgeschritten - musste ich unbedingt noch Antje Hamer (Deutschland) „haben“. So landete ich bei ihr auf'm Zimmer. Besser: sie mit ihrem Spiel bei mir! Antje, das Mädel, die „Schauspülerin“ vom Friesenlande, und ihr großer Traum von der Filmschauspielerinnen-Karriere. Eine Geschichte von in den Weg gelegten Stolpersteinen und Jammervollem. Einzig der Drang nach oben, fort vom einsam-langweiligen Landleben, hilft all die harten Castings und nervigen ersten Filmdrehs zu ertragen. Das Publikum wurde ins Spiel einbezogen. „Klappe!, Ton und Maz läuft! Bitte!“

Schauspielerinnen-Anfangsjahre sind keine Herrenjahre! Oder doch. Nur andersrum? Antje will doch nur spielen! Was heißt da nur?! Sie spielte durch und durch, mit allem was aus ihr heraus zu holen war. Wenn's sein müsste auch einen Baum, oder sonstwas! Hauptsache (Schau-) Spielen! Antje, das Mädel vom Lande stellte im kleinen Kabinett großes Drama her. Sogar Tränen nässen des Friesenmädels Augen, ihre Wangen. Welch Talent! Ebenbürtig mit den wie aus der Pistole weinen könnenden großen Film-Kolleginnen der Filmgeschichte. Doch bums: Schon kracht die Zeit mit ihrer Sense wieder dazwischen! Vorbei. Alles nur Spiel. Und das war nun aus. Mir würgte es im Halse. Bei Antjes zum Abschied hingehauchtem „Tschüss!“ musste ich selbst mir eine Träne aus dem Augenwinkel drücken. So berührt, tappte, schlich ich die Treppen wieder hinunter zum Ausgangspunkt des Abends, der Bar.

Dennemanns Idee hatte Pfiff

Welch außergewöhnlicher Abend an ungewöhnlichem Ort! Daran hatte man zu schlucken, aber auch seine helle Freude. Denen, die diesen Abend - wie die Geschaftsführung des Hotel Escort - ermöglichten, ist, wie Rolf Dennemann es nach der Premiere von Herzen tat („Das ist ja keine Selbstverständlichkeit“), wirklich Danke zu sagen. Nebenbei bemerkt: Wo nur mögen die Stammgäste des Etablissements sich eigentlich an diesem Abend verlustiert haben? Zum Ende blieb dem heimwärts streben müssenden Gäste - hochgebrüllt vom nahegehenden Spiel der „Kunsthuren“ nur noch geheimnisvoll elektrisiert und etwas traurig, angefasst, über den Parkplatz hinaus auf die Strasse und zur U-Bahn-Haltestelle zu schleichen, zu schweben.

Um nun selbst den Abgang von dieser Bühne zu machen. Man lernte etwas über und von Kunst. Aber auch - will ich anmerken - über Huren und Das-sich-Verkaufen. Anrührend. Bestechend. Traurig. Schön... Es lohnte sich für ein paar Stunden in diese Welt einzutauchen. Dennemanns Idee hatte wirklich Pfiff und funktionierte in der Praxis. Wo sonst hätte man diese Performance besser darbieten können, als in diesem Hotel-Bordell! In einem Theaterraum wären diese Kabinett-Stückchen verpufft (!!!).

Stattdessen erlebten wir Zimmertheater mit Hintersinn und Seele an authentischem Orte, das diese Bezeichnung im wahrsten Sinne des Wortes mit Leben erfüllte.

artscenico e.V. ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung internationaler kultureller Begegnungen. Der gemeinnützige Verein ist seit 1991 im In- und Ausland tätig. Die Arbeit des Vereins konzentriert sich auf Aktivitäten, die Bereiche der Darstellenden Kunst miteinander zu konfrontieren und in einen neuen Kontext zu stellen, und den theatralischen Dialog zu internationalisieren. artscenico performing arts ist ein nomadisierendes Label ohne festes Haus, das sich auf die Durchführung und Organisation von überwiegend ortsspezifischen Projekten mit meist internationaler Beteiligung spezialisiert, wodurch zahlreiche Kooperationen entstanden sind. Poetische und spektakulär außergewöhnliche Projekte im Bereich der darstellenden Künste die teilweise an Orten wie Friedhöfen und Parks, in Kirchen und Hotels, einer Kleingartenanlage, innerhalb eines Geschäfts- und Wohnblocks stattfanden.

Künstlerischer Leiter ist der Regisseur, Autor, Schauspieler und Festivalleiter Rolf Dennemann, Mitglied des Vorstandes des Verbands Freie Darstellende Künste in NRW. Rolf Dennemann, Regisseur, Schauspieler und Autor. • Spezialist für orts-spezifische Inszenierungen, u.a. auf und in ehemaligen Industrieanlagen, Zechen, Kokereien, historischen Altstädten, Friedhöfen in Liverpool und Dortmund, Parkanlagen, Zoo Dortmund, Kleingartenanlagen, Schrottplätzen und Turnhallen, urbanen Wohn- und Geschäftsblöcken, sakralen Räumen etc. • Seit 1982 ca. 40 Bühnen-Inszenierungen • Kurzfilme: „Fahrerflucht“ und „Sieben Frauen und Elvis“ • Hörspiele, zuletzt für WDR5 (2010)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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