Erlesene Türkei

Türkische Literatur Die Türkei - das unbekannte Wesen. Stimmt dieser Satz, bezogen auf Deutschland und die Deutschen?

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Ansicht der modernen Ägäis-Metropole Izmir (Karsiyaka, nähe Fähranleger) Photo: Autor

Millionen Deutsche machen jährlich Urlaub in Antalya und anderen schönen Stränden der Türkei. Kennt aber der Deutsche den Türken? Viele Deutsche gehen täglich "zum Türken", um sich mit leckerem Döner zu versorgen. Wir Deutsche gehen schon mal zum türkischen Gemüsehändler. Oder inzwischen gar in türkischen Supermärkten einkaufen.
Und nicht wenige Deutsche hatten oder haben türkische oder türkischstämmige Arbeitskollegen oder Nachbarn.
Was einen nicht wunder nehmen kann: schließlich leben über 2,5 Millionen Türken in Deutschland.

Und doch, hört man sich einmal um, wissen die Deutschen herzlich wenig über ihre türkischen Mitbürger. Geschweige denn über die Türkische Republik, Land, Leute und das dortige Leben selbst.
Nein, so traurig es auch ist, viel mehr als die Stichworte KOPFTUCH und DÖNER ist da in all den Jahrzehnten bei den meisten Deutschen nicht hängen geblieben.
Nicht nur aufs Essen bezogen ist das einfach zu mager. Denn die türkische Küche ist äußerst reichhaltig und sehr schmackhaft.. Ich glaube international betrachtet hat sie sogar eine ausgezeichnete siebte Stelle inne.
Aber das nur am Rande...

Oftmals bleiben uns über die Türkei nichts als Klischees. Klischees, die jahrelang auch die deutschen Medien reichlich bedient und verbreitet haben. Und teils heute noch verbreiten, indem sie über die Türken und die Türkei nicht selten nur äußerst verkürzt, bzw. schablonenhaft berichten.
So werden Vorurteile – ob nun gewollt oder nicht – betoniert. Und wieder und wieder bei nachfolgenden Generationen in den Hirnen geweckt und neuerlich in Umlauf gesetzt.


Geht es gar um türkische Kultur, wird es – so vermute ich – in vielen (nicht nur) deutschen Köpfen gleich ganz zappenduster.
Auf eine erst recht große Leere dürften wir bei näherer Beleuchtung stoßen, unterzögen wir uns der Mühe in Deutschland außerhalb von Expertenkreisen nämlich einmal nach Türkischer Literatur zu fragen.
Vielleicht fiele dem einen oder anderen – das möchte ich zwecks Ehrenrettung von uns Deutschen wenigstens einmal vage annehmen - da allenfalls noch der große Yasar Kemal ein. Aber dann?
Dann dürfte aber auch schon peinliches Schweigen einsetzen.

Jenen sicherlich nicht befriedigenden Ist-Zustand hat sich die ROBERT BOSCH STIFTUNG dankenswerterweise vorgenommen zu verändern. Sozusagen Licht ins Dunkel des Unbekannten zu bringen.
Sicherlich trug nicht zuletzt das Streben und der Wunsch (inzwischen nicht zuletzt wegen der Eurokrise zwar sehr leise geworden) der Türkei in die Europäische Union aufgenommen zu werden nicht unwesentlich dazu bei, dass viele Menschen deutscher Zunge nun auch mehr über das Land am Bosporus wissen und erfahren wollen.


Es bietet sich eigentlich an, jenes Wissen über das Befassen mit Türkischer Kultur zu erwerben.
Weil es sicher noch am ehesten möglich ist mehr über ein Land und seine Bewohner zu erfahren, indem man es sich über dessen Literatur erschließt .

Man denke da etwa nur einmal an die Klassiker der Russischen Literatur, die uns bei näherer Betrachtung äußerst viel in Bezug auf die Gegenwart zu Sagen haben, um dieses riesige Land und dessen Entwicklung etwas mehr zu verstehen.

Die ROBERT BOSCH STIFTUNG hat es unternommen, die Herausgabe einer Türkischen Bibliothek – TÜRKIYE KITAPLIGI
zu unterstützen.
Die Initiatoren wollten auf diese Weise ein Fenster öffnen und über eine Auswahl an türkischer Literatur „eine Vorstellung vermitteln von den gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Umbrüchen, die das Land seit vielen Jahrzehnten prägen.“


Die TÜRKISCHE BIBLIOTHEK sollten einer interessierten Leserschaft eine „Bandbreite schriftstellerischen Schaffens an herausragenden Beispielen und in exzellenten Übersetzungen präsentieren. Dabei sollen“, laut Presseinformation, „ Schätze gehoben werden, die in Deutschland bisher völlig unbekannt sind.“

Die ROBERT BOSCH STIFTUNG hat Erfahrung damit vorzuweisen. Zuvor hat sie nämlich mit der Herausgabe einer POLNISCHEN und einer TSCHECHISCHEN BIBLIOTHEK bereits dem deutschsprachigen Raum die Literatur zweier europäischer Nachbarländer näher gebracht.

Mit ihrer Türkischen Bibliothek möchte die Stiftung der Literatur der Türkei einem größeren Leserkreis erschließen. Dabei ist auch an die Nachkommen türkischer Einwanderer gedacht, die vielfach die türkische Literatur bereits nicht mehr im Original lesen können.
Es war angedacht, dass Autoren und Übersetzer ausgedehnte Lesereisen in Deutschland unternehmen. Hier und da ist das geschehen.
Auch waren begleitende Unterrichtsmaterialien zu den einzelnen Bänden der Türkischen Bibliothek geplant.

Bei der ROBERT BOSCH STIFTUNG handelt es sich um eine der großen mit Unternehmen verbundenen Stiftungen Deutschlands.
Sie ist im Besitz von 92% des Stammkapitals der Robert Bosch GmbH und wurde im Jahr 1964 gegründet. Mit ihr werden die gemeinnützigen Bestrebungen des Firmengründers und Stifters Robert Bosch (1861-1942) fortgesetzt.

Die Türkei fühlt sich schon lange zum Westen und Europa hingezogen. Erst recht hat der Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk die Modernisierung des Landes vorangetrieben und den Weg des türkischen Volkes dorthin maßgeblich beschleunigt.
Längst fühlt sich eine nicht unbeträchtliche Mehrheit der türkischen Bevölkerung als Europäer.
So fand es die ROBERT BOSCH STIFTUNG also mehr als an der Zeit, „die türkische Literatur, die sich im 20. Jahrhundert aus der islamischen Kulturgemeinschaft gelöst und mit der Tradition ihrer höfischen Hochliteratur gebrochen hat und gestützt auf Elemente aus der ehemals mündlichen Überlieferung in Anlehnung an die westlichen Strömungen eigene Wege gefunden hat, als Ganzes zu betrachten.“

Entstanden ist eine Auswahl, die sicherlich nicht die gesamte türkische Literatur erfasst, weil man sich auf 20 Bände - die ab 2005 erschienen - beschränken musste, welche aber wohl dennoch einen guten Überblick von den geistigen Prozessen liefern dürfte, die die neue Türkei geformt und deren Menschen bewegt haben und weiterhin noch bewegen.
Enthalten sind große Prosawerke, aktuelle Romane oder solche, welche in den letzten fünfzehn Jahren in der türkischen literarischen Öffentlichkeit Aufsehen erregt haben. Sowie sechs Anthologien mit anderen Genres wie Gedichten, Essays, Erzählbänden aus der frühen Republikzeit bis in die Gegenwart und zwei Bänden mit kulturhistorischen und literaturhistorischen Texten.
Eingang finden auch Biografien und politische Texte. Beispielsweise Reden Atatürks.

Darüber hinaus befasst sich ein Band auch mit türkischer Volksliteratur.
Betreut wird die Türkische Bibliothek vom Unionsverlag Zürich.
Das Verlagshaus hat sich mit der Pflege Internationaler Literatur auch aus hierzulande oft nur spärlich bekannten Regionen Meriten erworben.

Zu dessen Autoren gehören etwa so hervorragende Schriftsteller wie der ägyptische Literaturnobelpreisträger von 1988, Nagib Machfus, und Tschingis Aitmatow.
Türkische Literatur gehört seit Verlagsgründung fest zum Programm. Darin enthalten sind Werke von Yasar Kemal, Fazil Hüsnü Daglarca, Ferit Edgü, Zülfü Livaneli,
Aziz Nesin, Celil Oker, Latife Tekin und der führende kurdische Autor Mehmed Uzun.

Die Türkische Bibliothek wird uns über die schon auf Deutsch veröffentlichten Werke Nazim Hikmets, Yasar Kemals und Orhan Pamuks hinaus mit weiteren übersetzungswürdigen Perlen der türkischer Literatur vertraut machen.

Und ich denke, viele deutschsprachige Leserinnen und Leser werden von der Breite und der Vielfalt der in einzelnen Werken abgehandelten Themen durchaus überrascht, wenn nicht gar überwältigt sein. Was Appetit auf mehr machen dürfte.
Unter den ersten drei heraus gebrachten Titeln dürfte sicherlich besonders der erste Roman der türkischen Frauenliteratur von Leyla Erbil „Eine seltsame Frau“ ein sehr interessanter gewesen sein.
Sehr aussagekräftig und deshalb äußerst empfehlenswert, was die verschiedenen Regionen, Völkerschaften und Lebensformen der Türkei anlangt, ist die Anthologie „Von Istanbul nach Hakkari“.

Das Projekt TÜRKISCHE BIBLIOTHEK kann sicherlich als ein Markstein auf dem Weg hin zu einem besseren deutsch-türkischem Verständnis bezeichnet werden. Es hilft, Land und Leute besser verstehen zu lernen und hoffentlich auch dazu beizutragen, Hemmnisse und Vorurteile, die zu Irritationen führen, beiseite zu räumen.

Wer also möchte, kann auch künftighin anhand auf Deutsch übersetzter türkischer Literatur sein Wissen über das ihm vielleicht bis dato unbekannte oder verschleierte Wesen Türkei nicht unerheblich auf hier und da fesselnde Weise auffrischen und seinen vielleicht bislang düstren (verstellten?) Blick auf das Land am Bosporus erhellen lassen.

Pressestimmen zur Türkischen Bibliothek (Robert-Bosch-Stiftung)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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