Magst ruhig sein, deutscher Michel?

Geheimdienstaffäre Kanzleramtsminister Ronald Pofalla: "Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung." Ist die Geheimdienstaffäre nun vom Tisch? Mitnichten.

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Schon klingt bei manchen Medien an, die Geheimdienstaffäre klinge ab. Hier und da wird schon der Eindruck verbreitet, alles sei quasi gut. Jedenfalls seit Kanzleramtschef Ronald Pofalla gestern nach seiner Aussage im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestags im rheinländisch gefärbtem Stakkato und im Brustton der Überzeugung vor auf ihn gerichtete Kameras und in die ihm entgegen gehaltene hingehaltene Mikrofone hinein verkündete: "Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung", sagte Pofalla.

Noch besser dieser Schenkelklopfer: US-Geheimdienst NSA als auch der britische Geheimdienst hätten schriftlich erklärt, dass sie sich in Deutschland an "Recht und Gesetz" hielten und keine massenhafte Ausspähung betrieben. Na klar, Ronald Pofalla, Muttis 007 für ganz Naive im Bundeskanzleramt! Und die Erde ist eine Scheibe, ist eine Scheibe. Was von dieser schriftlichen Erklärung der britischen und US-Schlapphüte zu halten ist, kann sich ein jeder selbst ausmalen. Von den Geheimdienst wissen wir, obwohl sie ja - wie es der Name schon sagt - geheim sind, dass deren Tätigkeit ein oft ganz schmutziges Geschäft ist. Manches, mag es auch noch so fein gesponne sein, kommt halt doch hin und wieder an das Licht der Sonnen. Zumeist dreckige Geschäfte erledigen die Geheimdienste. Nicht nur wegen bestimmter "nasser Sachen" (sh. "Das ABC der Geheimdienste"; via Abendblatt.de), die die Schlapphüte (die CIA vornweg) mal eben in politischen oder Kapitalinteressen (hängt ja meist dicht zusammen) erledigen.

Pofalla hat seine Sache gut gemacht

Aber da ist nichts zu machen: Pofalla sieht die Vorwürfe gegen britische und US-Geheimdienste vom Tisch. Und wenn auch die SPD noch nicht ganz zufrieden ist mit den Beschwichtigungen von Merkels 007, die Befürchtung via vom BND etwa an US-Geheimdienste gelieferte Handydaten könnten auch Deutsche getötet werden, sieht Herr Oppermann sozusagen zerstreut. Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom sah das heute in seinem Interview mit WDR-Funkhaus Europa ein wenig differenzierter. Pofalla, der James Bond der Gurkentruppe, genannt Bundesregierung, muss weiter lügen. Wir wissen nicht was Mutter Pofalla ihrem Ronald da gestern morgen auf die Stullen geschmiert hat, die er mit auf dem Weg ins Parlamentarische Kontrollgremium genommen hat - er hat seine Sache ganz gut gemacht. Da kann sie stolz auf ihn sein. Jedoch, was uns da Pofalla zu verklickern hatte, war eben nicht die Wahrheit. Die Staatsräson muss gewahrt bleiben, koste es was es wolle. Was es wolle? Auch den letzten Rest an Vertrauen, das wir, der Souverän, noch in diesen Staat, diese Bundesregierung und gewisse "Organe" haben?

Zehn Strategien zur Manipulation der Gesellschaft

Um dieses Vertrauen zu erhalten wurde bis jetzt so einiges versucht. Gewiss hat man sich da auch desöfteren der "10 Strategien die Gesellschaft zu manipulieren" (Autor: Sylvain Timsit; Originalquelle:Découvrez l’Alchimiste en Vous / und in einer Übersetzung von Noam Chomsky) bedient. Liebe Leserinnen und Leser, denken Sie einmal zurück und überprüfen sie, ob es so ist. Ronald Pofalla, Mutters und "Muttis" Bester mag da besonders Punkt 5 "Sprich zur Masse, wie zu kleinen Kindern" liegen. Darin heißt es:

"Die Mehrheit der Inhalte, die an die Öffentlichkeit gerichtet werden, werden durch Art und Weise der Verkündung mißbraucht; Sie sind manipuliert durch Argumente oder sogar durch einen gönnerhaften Ton, den man normalerweise in einer Unterhaltung mit Kindern oder geistig behinderten Menschen verwendet. Je mehr man seinem Gesprächspartner das Bild vor den Augen vernebeln will, umso lieber greift man auf diese Technik zurück. Warum? Wenn du zu einer Person sprichst, als ob sie 12 Jahre alt wäre, dann weil du ihr genau das suggerieren möchtest. Sie wird mit höchster Wahrscheinlichkeit kritiklos reagieren oder antworten, als ob sie tatsächlich 12 Jahre alt wäre."

Vertrauenskrise

Nichts ist gut. Man will uns das nur weismachen. Wir befinden uns (nicht nur wegen der NSA-Affäre) in einer Vertrauenskrise, der - Punkt Souveräniät Deutschlands - sogar die Zutaten zu einer Staats- und Identitätskrise innewohnen. Von da ist es auch nicht weit bis zu einer die Gesellschaft tief erschütternden Demokratiekrise. Staatsräson, so falsch auch die Auffassungen darüber letztlich sein mögen, jedoch - auch betreffs alter Lügen, in die Staatsorgane und diverse bisherige Bundesregierungen mehr oder weniger involviert waren und sind - verlangen oder ziehen weitere Lügen oder fortgesetztes Schweigen nach sich. Sachzwänge. Staatsräson. Punkt! Punkt?

Der Politologe Hajo Funke warnt vor einer massiven Unterwanderung der Demokratie

Wir erleben eine Vertrauenskrise. Punktum. Dies machten auch die Antworten des Politologen Hajo Funke (FU Berlin) gestern Abend auf die Fragen der 3sat-Kulturzeit-Moderatorin Cecile Schortmann deutlich. Als besonders fragwürdig beschied Funke die Benutzung des autoritären Begriffs "Staatswohl", wie es Volker Bouffier und der Staatssekretär im Innenministerium, Fritsche getan hatten. Dies künde von einem "absolutistischen Verständnis von Staat". Und er hat Recht: Mit einer "rechtsstaatlichen Demokratie" sei das nicht vereinbar. Eher mit einer autoritären Auffassung von einem Staatswesen. Funke warnt vor einer massiven Unterwanderung der Demokratie. Vor so etwas, das hinsichtlich türkischer Verhältnisse (Ergenekon, via Istanbul Post, Dr. Stefan Hibbler) mit "tiefer Staat" bezeichnet werden könne. Auf die Frage von Cecile Schortmann, dass die Bundestagswahl bevorstünden, wozu Lügen und Verschleierung quasi dazu gehörten - und darin konnte der Anklang von Normalität herausgehört werden - widersprach Hajo Funke dankenwerter Weise vehement: Lügen und Verschleierung gehörten nicht dazu. Der Souverän darf das keinesfalls hinnehmen.

Transparenz!

Eben dies und eine unbedingte Transparenz muss allerdings n nicht nur seitens des Souveräns sonder auch von der so genannten "Vierten Gewalt", den Medien, eingefordert werden. Nicht zuletzt die Geheimdienste tragen massiv dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger ihr Vertrauen in Staat, dessen Sicherheitsorgan und die Regierung verlieren. Das Vertrauen der Bürger ist bereits durch die Auswüchse und Folgen der von der "Diktatur der Finanzmärkte" (Stéphane Hessel) entfesselten Finanzkrise, von deren willfährigen oder ökonomisch unfähigen Handlangern in den neoliberalen Regierungen unvorteilhaft für die Masse der Menschen begleitetet, schwer erschüttert. Allmählich geht es an die Substanz. Lädiertes Vertrauen zerstört zunehmend Gesellschaft und Demokratie. Dann geht es alsbald ans Eingemachte.

Ver- statt Erklärung

Eingedenk dessen sollte wir, der Souverän, uns mit diesem Persilschein, welchen Kanzleramtschef Ronald Pofalla gestern den Geheimdiensten via seiner Erklärung quasi ausstellte, ganz und gar nicht abfinden. Wir sollten solche und ähnliche Erklärungen, die in Wirklichkeit doch wohl eher Verklärungen sind und uns als Beruhigungspillen verabreicht werden als schwere Beleidigung unseres intellektuellen Verstandes heftigst zurückweisen und stattdessen wirkliche Aufklärung verlangen. Schon lassen manche Medien Druck vom Kessel. Die Geheimdienstaffäre erledigt, aufgeklärt? Nach dem Motto, das auch die deutsche Bundesregierung sehnlichst in Erfüllung zu gehen erhofft: Magst ruhig sein, deutscher Michel. Alles ist gut? Mitnichten: Das Gegenteil ist richtig. Zeigen wir es ihnen. Seien wir weder ruhig, noch ein Abbild des deutschen Michel. Seien wir Verfechter einer wehrhaften Demokratie.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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