Oskar Lafontaine: Europaweiter Generalstreik

Politischer Streik Oskar Lafontaine ruft zum europaweiten Generalstreik. Welche Chancen hat der politische Streik in Deutschland? Noch immer haftet ihm der Ruch des Umstürzlerischen an.

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Oskar Lafontaine ist bereits deslängeren für den Generalstreik. Am 14. November wird es politische Streiks in mehreren europäischen Ländern geben. In Deutschland sind Solidaritätsaktionen geplant.

„Ein europaweiter Generalstreik ist notwendig”, schreibt der frühere Linkspartei-Vorsitzende Oskar Lafontaine, der numehrige Fraktionsvorsitzende seiner Partei im Saarländischen Landtag, in der „taz”. Hinsichtlich der für den 14. November in Portugal, Spanien und womöglich auch in Griechenland und anderwo in Europa geplanten Generalstreiks und den in mehreren Ländern ins Auge gefassten, begleitenden Solidaritätsaktionen und Protesten “fordert” Lafontaine": Alle Europäer sollten am kommenden Mittwoch die Arbeit niederzulegen. Eine solche, sozusagen konzertierte Aktion böte die Chance die brutale Politik der Umverteilung von unten nach oben, die volkswirtschaftlich letztlich schädlichen Austeritätsbeschlüsse allerorten zu stoppen und die Fehlentscheidungen von Parlamenten rückgängig zu machen.

Generalstreik also auch in Deutschland?

Zumindest kann man im Netz schon Hinweise auf geplante Soliaktionen betreffs der in Südeuropa vorgesehenen Generalstreiks finden. So auf eine in Dortmund. Für den 14. November ruft das Occupy Dortmund mit der Losunge “Für ein solidarisches Europa! Nein zum Europa der Banken und Konzerne!” 15.00 Uhr zu einem Trefffen in der Betenstraße auf. Das Thema Politischer Streik ist in Deutschland ein schwieriges, vielleicht sogar ein tabuisiertes Thema. So schrieb etwa Wolfgang Lieb vor längerer Zeit auf den NachDenkSeiten: “Ängste bis ins Gewerkschaftslager hinein löst auch die Forderung nach der Zulassung von „politischen Streiks“ oder sogar die Möglichkeit zum „Generalstreik“ aus. Man mag das vor allem durch die deutsche Rechtsprechung eingeschränkte Streikrecht hierzulande als eine gefestigte Tradition verteidigen, aber in durchaus demokratischen Staaten wie Frankreich oder Italien ist der Streik organisationsunabhängig als individuelles Recht von der Verfassung garantiert und anerkannter Ausdruck der politischen Willensäußerung auch gegen Parlament und Regierung.” Und auf Labournet steht unter der Überschrift "Das politische Streikrecht: Wie wir es verloren haben und warum wir es gerade jetzt brauchen - Der Forderung nach politischem Streikrecht oder Streiks haftet in der deutschen politischen Diskussion etwas Verruchtes, Illegales, Umstürzlerisches an, während dies in anderen Ländern Teil wirtschaftlicher Normalität ist. Auch wenn die Bundeskongresse von ver.di und jüngst der IG BAU sich zum politischen Streikrecht bekannt haben, gilt der politische, also nicht gegen Arbeitgeber oder Arbeitgeberverbände, sondern gegen den Staat bzw. den Gesetzgeber gerichtete, Streik bis tief ins gewerkschaftliche Denken hinein als illegitim. Woher kommt diese Einschränkung unserer Handlungsmöglichkeiten, und warum müssen wir uns gerade jetzt von ihr befreien?”

Deutschland hat das weltweit restriktivste Streikrecht

Auf der Portal “Politischer-streik.de” erfahren wir: “Die Bundesrepublik Deutschland hat weltweit das rückständigste und restriktivste Streikrecht. Das Streikrecht in Deutschland ist lediglich Richterrecht. Im Grundgesetz (GG) findet sich außer der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 kein konkreter Hinweis. Daraus ist keinesfalls abzuleiten, dass dieses Recht nicht vorhanden ist oder irgendeiner Einschränkung unterliegt. In sieben Bundesländern ist das Streikrecht in den Landesverfassungen verankert.

In den allermeisten Staaten ist das Recht auf Streik durch die Verfassungen und/oder durch Gesetze garantiert und geregelt. In einigen Ländern haben Gewerkschaften dieses Recht durch Tarifverträge zusätzlich abgesichert und zum Teil noch über den Verfassungs- und/oder Gesetzesstatus hinaus verbessert.

Im Jahr 2010 war in der Bundesrepublik Deutschland lediglich nur in einem einzigen Tarifvertrag eine Regelung enthalten, die das Streikrecht ausgeweitet hat. In allen weiteren registrierten 73.958 Tarifverträgen finden sich keine Regelungen zum Streikrecht.”

Dabei gibt es in Deutschland durchaus Stimmen, die die Meinung äußern, das politische Streikrecht hätte manch unsoziale Maßnahme womöglich verhindern können. Orlando Pascheit schreibt ebenfalls auf den NachDenkSeiten mit dem Verweis auf das kämpferische Engagement z. B. unserer französischen Nachbarn: “Da wird einem verständlich, warum viele von der französischen Lebensqualität schwärmen. Aber im Ernst, worauf wir wirklich neidisch sein sollten", sei "die Möglichkeit, besser die Fähigkeit zum politischen Streik. So Manches wäre in unserem Land unter Umständen anders abgelaufen, wenn unsere Gewerkschaften zu diesen Mittel gegriffen hätten. "Dabei soll die Rechtssprechung dazu auf ziemlich wackeligen Füssen stehen. Wir warten auf den heißen Herbst, den uns die Gewerkschaften z.B. zur Rente 67 versprochen haben.”

Veit Wilhelmy bezeichnet in einem Beitrag auf der nrhz das Streikrecht der “Bananenrepublik Deutschland” gar als “vordemokratisch”.

Sahra Wagenknecht: Der politische Streik als Notwehr

Vielleicht hat der Mann ja recht damit? Womöglich erfordern andere (schlechtere) Zeiten ja nun auch andere (wirksamere) Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Dies bedenkend notierte Sahra Wagenknecht eigentlich folgerichtig: “Die Entwicklung in Südeuropa zeigt, dass der politische Streik als Instrument der Notwehr unersetzlich ist. Was die EU und der Internationale Währungsfonds von Staaten wie Griechenland oder Portugal verlangen, hat mit neutralem Krisenmanagement nichts zu tun, sondern ist brutaler Klassenkampf von oben. Gekürzt und gestrichen wird nur bei der einfachen Bevölkerung, erhöht werden lediglich die Verbrauchssteuern, während hohe Einkommen und Vermögen verschont, Unternehmen sogar entlastet werden. Damit nicht genug: Um noch drastischere Lohnkürzungen durchzusetzen, sollen die Beschäftigten und ihre Organisationen geschwächt und entrechtet werden. In einer solchen Situation können politische Streiks das letzte Mittel zur Selbstverteidigung sein.”

Frank Bsirske (Vorsitzender von ver.di): Wir brauchen ein politisches Streikrecht

Gedanken dazu machen sich durchaus die besonders von linker Seite her zu Recht geschmähten deutschen Gewerkschaften, welche nicht selten schon einen “Heißen Herbst” ankündigten. Der jedoch in praxi dann kaum mehr als ein laues Lüftchen war. Verdi-Chef Frank Bsirske gehört eher zu den zupackenderen deutschen Gewerkschaftsbossen. Bsirkse hat einmal gesagt, dass er „finde, dass wir auch in Deutschland ein politisches Streikrecht brauchen”. Es macht sogar ein “Wiesbadener Appell” für ein politisches Streikrecht die Runde. Nur was wird daraus werden? Mit einem politischen Streik macht man sich schnell lächerlich, wenn es nicht gelingt die entsprechenden Massen auf die Beine, respektive die Straße zu bringen. Ist der deutsche Michel dazu bereit? Kann er es sich überhaupt leisten? Ist nicht die Angst vor arbeitsrechtlichen bzw. gar vor drohender Entlassung und die trübe Aussicht auf Hartz-IV in Konsequenz des Protestes berechtigt? Die Zeiten da Gewerkschaften drohen konnten “Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will!” sind leider vorbei. Zweifelsohne wäre dieser starker Arm heute nötiger denn je. Schließlich dürften die Herrschenden nur in die Schranken gewiesen werden können, wenn alle Räder wirklich still stehen.

Es gibt jedoch auch Bedenken hinsichtlich des Erfolgs politischer Streiks

Es gilt also das Für und Wider in Sachen politischer Streik genau abzuwägen. Florian Wilde hat dies in einem Buch, aus dem „neues deutschland” einen Vorabdruck brachte mit dem Generalstreik als politisches Mittel eingehend befasst: „In den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um Sozialstaatlichkeit und Demokratie nimmt der Einsatz von außerparlamentarischen Instrumenten wie politischen Streiks auch deshalb zu, weil auf rein parlamentarischem Wege keine Abkehr vom Neoliberalismus zu erwarten ist, seit die Sozialdemokratie als früher dominierende Interessenvertretung der Lohnabhängigen in den meisten europäischen Ländern Teil eines neoliberalen Parteienkartells geworden ist und den Austeritätskurs mitträgt.” Wilde gibt jedoch auch zu bedenken, dass „der Einsatz von politischen und Generalstreiks keineswegs automatisch zu Erfolgen der Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften” führe. Es sei denn es gelinge eine „Verbindung von Gewerkschaften, linken Parteien und sozialen Bewegungen in einem Projekt des gemeinsamen Kampfes” ins Werk zu setzen. Die sozialen Bewegungen sind anscheinend dazu bereit. Aber sind es auch die deutschen Gewerkschaften und vor allem ihr Dachverband, der DGB? Gewiss: auch die rufen nun zu solidarischen Aktionen am 14. November auf. Allerdings befürchten Kritiker, dass sie, wenn es denn zum Schwure kommt, wieder einmal mehr auf der Bremse stehen bis es qualmt, statt ordentlich Gas zu geben, damit es gesellschaftlich wieder vorwärts statt noch weiter zurück ins sozialpolitische Mittelalter geht.

Lafontaines Aufruf geht in die richtige Richtung

Will sagen, Oskar Lafontaines Aufruf zum europaweiten Generalstreik geht durchaus in die richtige Richtung, weil er dazu motivieren will, aus dem katastrophalen Ist-Zustand des Sozialen in Europa die richtigen Schlüsse zu ziehen: Nämlich sich solidarisch Hand in Hand gegen die Zumutungen der Herrschenden, die Machenschaften der Zockerbanken, gegen zerstörende Sparpolitiken, gegen die schleichende Zerstörung der Demokratie und die zunehmende Umverteilung von unten nach oben zur Wehr zu setzen. Damit das Mittel des politisches Streiks jedoch einmal entsprechende Wirkmächtigkeit in einem Land wie Deutschland mit stark unterentwickelter Widerstandskultur zu entfalten kann, braucht es ein Mehr an Diskussion und an gesellschaftlicher Übereinkunft. Auf einer gewerkschaftspolitischen Konferenz in Bochum sagte der damalige Linkspartei-Vorsitzende Lafontaine einmal, die Menschen müssten wieder Denken und Fühlen lernen. Dieser Prozess dürfte sich – wenn überhaupt schon begonnen – noch in der Aufwärmphase befinden. Dennoch: Bundesweite, solidarische Aktionen am kommenden Mittwoch könnten die Südeuropäer bei ihren Generalstreiks unterstützen und auch ein aufrüttelndes Signal ins Landesinnere senden. Mit dem Tenor: Ein neoliberales Weiter-so bringt unsere Gesellschaften Abgrund, Chaos und dem Verderben näher.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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