Ausnahmezustand

Rezension Wolfgang Bittner ist nicht nur ein hervorragender Schriftsteller, sondern auch genauer und kritischer Beobachter geostrategischer politischer Entwicklungen und dementsprechend mit Kenntnisreichtum ausgestattet ein glänzender Analyst

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Wolfgang Bittner ist nicht nur ein hervorragender Schriftsteller, sondern auch genauer und kritischer Beobachter geostrategischer politischer Entwicklungen und dementsprechend mit Kenntnisreichtum ausgestattet ein glänzender Analyst.

Was er u.a. in seinem Buch „Der neue West-Ost-Konflikt. Inszenierung einer Krise“ faktenreich untermauern unter Beweis gestellt hat.

Nun ist ein weiteres interessantes Buch von ihm mit dem Titel „Ausnahmezustand“ und dem Untertitel „Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts“ erschienen.

Was waren wir zuversichtlich um 1989 herum und gingen in die 1990er Jahre hinein mit der Überzeugung, nun würde alles gut! Vorbei die Konfrontation der Blöcke. In der DDR war es zur sogenannten Wende gekommen. Und auch die anderen Staaten des Ostblocks, die sich wie die DDR als sozialistisch verstanden hatten (heute wissen wir: einen Sozialismus hat es es bislang nicht gegeben) gingen quasi von der Fahne.

Das gemeinsame Haus Europa, von dem Michail Gorbatschow gesprochen hatte, würde anscheinend in Kürze Realität werden (können). Dachten wir! Dann zerbrach die Sowjetunion. Der Warschauer Vertrag löste sich auf. Die NATO nicht. Der erste große Fehler. Damals verständlicherweise freudetrunken, wissen wir heute warum. Der Westen hatte gesiegt, konnte aber ganz offenbar nicht aufhören zu siegen. Denn die NATO ist ja im Grunde gleichzusetzen mit der USA – deren Werkzeug sie ist, um ihre Macht auf der ganzen Welt sichern zu helfen und mögliche abtrünnig werden wollende Staaten jederzeit einhegen zu können. Und sei es mit Bomben.

Ja, die Hoffnungen von 1989 und 1990 waren nicht abwegig. Sie wären zu erfüllen gewesen. Ein Fenster entsprechender Möglichkeiten hatte sich geöffnet. Die Verantwortlichen im Westen haben es sich wieder schließen lassen. Man könnte auch die Meinung vertreten: Sie haben es zugeschlagen.

Fehler NATO-Osterweiterung

Einer der größten Fehler war, immer mehr Länder Osteuropas in die NATO aufzunehmen. Sogar westliche Politiker – auch aus den USA – warnten früh, auf diese Weise immer näher an Russland heranzurücken. Als absolute rote Linie galt vor allem Russland das Vorhaben auch noch das Nachbarland Ukraine in die NATO zu ziehen. Wir kennen die Vorgeschichte von 2014 mit dem von den USA („Fuck the EU“, Victoria Nuland) finanzierten Putsch in Kiew. Sowie dem Angriff der Putsch-Regierung mit dem Ansinnen, den russischsprachigen Ukrainern ihre Sprache zu verbieten und dem militärischem Angriff (als Antiterror-Einsatz verbrämt; mündete in einen Bürgerkrieg) auf die Donbass-Oblaste Lugansk und Donezk, wo sich die Menschen gegen die Vorhaben dieser Regierung sträubten. Etwa 14 000 Tote forderte das in acht Jahren im Donbass. In der Folge des Maidan-Putsches löste sich auch die Krim von der Ukraine und trat nach einem Referendum Russland bei.

Wolfgang Bittner macht klar, dass unverantwortliche, geschichtsvergessene und im Grunde als Vasallen der USA handelnde Politikerinnen und Politiker ohne jegliches Format die Chancen, welche uns 1990 – nicht zuletzt durch große Zugeständnisse der Sowjetunion (u.a. Abzug von 500.000 Soldaten) gegeben waren, verspielt haben.

Aus dem Klappentext

Doch damit nicht genug, wie wir im Klappentext lesen: „Die Chancen, die sich aufgrund von Willy Brandts Entspannungspolitik für ein friedliches Miteinander in Europa und darüber hinaus ergaben, wurden verspielt. Besonnenheit, Anstand und diplomatisches Fingerspitzengefühl scheinen gänzlich abhandengekommen zu sein. Dagegen wurden die Möglichkeiten obrigkeitlicher Überwachung und Reglementierung radikal erweitert und verfestigt. In jüngerer Zeit erlebte die Bevölkerung während der von der WHO ausgerufenen Corona-Pandemie einschneidende Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte. So wurden die Friedensbemühungen früherer Generationen verraten und vergessen, viele der mühevoll erkämpften Rechte der arbeitenden Bevölkerung nach und nach abgebaut.

Dass es den USA mit ihrer Aggressions- und Sanktionspolitik gelungen ist, Russland von Westeuropa zu trennen, noch dazu unter Mitwirkung der europäischen NATO-Staaten, ist eine Jahrhunderttragödie. Bekanntlich hat der russische Präsident Wladimir Putin jahrzehntelang intensiv für eine Kooperation und einen einheitlichen Wirtschafts- und Kulturraum von Wladiwostok bis Lissabon geworben, zum Beispiel 2001 in seiner denkwürdigen Rede im Deutschen Bundestag. Aber jede Annäherung wurde strikt unterbunden und Russland mehr und mehr von der NATO eingekreist. Die Folgen dieser verantwortungslosen Politik, die allein den Interessen der USA dient, trägt die Bevölkerung Europas diesseits und jenseits der neu geschaffenen Frontlinie.“

Deutschland auf gefährlicher Rutschbahn – Weltuntergangsuhr ist auf 90 Sekunden vor Zwölf gestellt

Nicht nur das: Deutschland hat sich – nicht zuletzt noch zusätzlich mit der Zusage der Ukraine Leopard-Panzer zu liefern – Stück für Stück auf eine gefährliche Rutschbahn manövrieren lassen. Sind wir womöglich bereits im dritten Weltkrieg, fragte sich letztlich Sevim Dagdelen (MdB DIE LINKE). Zu denken sollte uns darüber hinaus geben, dass das Bulletin of the Atomic Scientists seine berühmte Weltuntergangsuhr unterdessen auf 90 Sekunden vor Mitternacht vorgestellt hat.

Kurzbeschreibung von der Buchrückseite:

„Die Welt steht kopf. Wohin man blickt, Krisen, Konflikte, Kriege. Der Autor geht der Frage nach, ob es für diesen entsetzlichen Zustand Verantwortliche gibt, und findet dazu deutliche Worte. Er hat zuvorderst die USA im Blick, die ihren Anspruch auf Weltherrschaft mit aller Macht zu erhalten suchen. Dazu nutzen sie die NATO und ihre subversiven Netzwerke. Während Japan im Pazifik als Frontstaat gegen China aufgerüstet wird, dient Deutschland im Westen als „Speerspitze“ gegen Russland. Die Bevölkerung wird nicht gefragt, vielmehr fehlinformiert und indoktriniert. Das trifft auch auf den Krieg in der Ukraine zu, dessen Vorgeschichte schlicht unterschlagen wird.

Wolfgang Bittner gibt Auskunft über die geopolitische Situation und stellt dar, warum Deutschland nach wie vor unter Vormundschaft der USA steht und wie die eigene Souveränität zurückerlangt werden könnte.“

Ein Buch, das allen zu empfehlen ist

Dieses Buch ist allen zu empfehlen, die verstehen wollen, wie es zum Ukraine-Krieg kommen konnte. Ja, wie er sozusagen (im Grunde genommen von Kreisen in den USA lange geplant und letztlich herbei provoziert wurde) zwangsläufig dazu kommen musste. Allerdings lässt Bittner auch aufscheinen, dass der Krieg vermeidbar gewesen wäre. Nicht zuletzt sollten Journalisten das Buch in die Hand nehmen. Doch diesbezüglich, dass sie es täten, hege ich erhebliche Zweifel. Sie werden es höchstens mit spitzen Fingern anfassen und zerreißen. Denn es handelt sich bei ihnen heutzutage fast durch die Bank um Gesinnungs- bzw. Haltungsjournalisten, die ihr Narrativ ideologisch (noch dazu wohl zumeist freiwillig!) betoniert haben und nicht daran denken, über die gezogene Abgrenzung auch nur zu blicken – geschweige denn sie zu überschreiten.

Zum Kapitel: Die Entwicklung zur „Speerspitze“ gegen Russland

Wie die Weichen gestellt wurden (S.23), Feindbild Russland (S.26), Deutschland schwächen, die USA stärken (S.31)

Der Ukraine-Konflikt (S.37) wird von Wolfgang Bittner ausführlich erörtert. Ebenso die Kriegsvorbereitungen (S.73).

Das Buch ist Ausfluss einer akribischen Beschäftigung des Autors mit den verschiedenen Themen rund um die jeweiligen Konflikte und einer Analyse von deren Ursachen. Leider erfahren wir über die auch anderen zur Verfügung stehenden Informationen in den Mainstream-Medien nichts. Weshalb dieses Buch m. E. in jeden Haushalt gehört. Nimmt man es genau, dann müsste vorgeschlagen werden, dass Buch auch im Schulunterricht beizuziehen.

Sie werden im Buch kein einziges Kapitel finden, dass nicht von höchster Wichtigkeit ist, als dass es zu vernachlässigen wäre.

Im Kapitel Resümee und Schlussfolgerungen (S.187) erinnert der Autor daran, dass Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Brückenkopf der USA gegen die Sowjetunion Stellung gebracht wurde. Und nach dem Untergang gegen Russland.

Man sollte dabei im Kopf haben, dass die USA seit gut hundert Jahren eine Strategie verfolgen, Deutschland (wegen seiner hohen Technologie) und Russland (seiner Bodenschätze wegen) auseinanderzuhalten. George Friedman (Stratfor) hat das 2015 offen so formuliert: hier.

Überdies spielt freilich bei der Politik Washingtons der Kampf um das Herzland (Der Schlüssel zur Weltherrschaft) eine Rolle, wie es der Brite Halford John Mackinder 1904 ausgeführt hat: hier.

So wie es ist, kann es nicht bleiben

Einem klugen Analyst und wachen Beobachter, der Bittner ist, ist klar, dass „die deutsche Regierung ihre destruktive Politik [wird] nicht ewig weiterführen können“. Er zeigt sich sicher: „So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das Grundbedürfnis der Menschen ist, in Frieden zu leben. Und er wachsende Leidensdruck könnte ein Übriges tun.“

„Nach wie vor“, findet der Autor, „sind die bahnbrechenden programmatischen Postulate der Französischen Revolution «Liberté, Egalité, Fraternité« nicht verwirklicht, sie müssen ins kollektive Gedächtnis zurückgerufen werden: Freiheit, Gleichheit, Mitmenschlichkeit!“

Und Bittner schließt: „Zu hoffen ist – wie auch immer die Geschichte sich entwickelt -, dass diese Vorstellungen dauerhaft durchgesetzt werden können. Sonst ist unsere Zivilisation, die schon länger nicht mehr Kultur genannt werden kann, am Ende.“

D’accord! Sie erinnern sich, lieber Leserinnen und Leser, dass die Weltuntergangsuhr inzwischen auf 90 Sekunden vor Zwölf gestellt worden ist …

Unbedingt zu empfehlen sind die Texte im abschließenden Kapitel „Dokumentation“ (S.193)

Sie finden dort Reden des russischen Präsidenten Putin, den Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage am 27. Februar 2022, einen Auszug einer Rede des US-Präsidenten Joseph Biden vom März 2022 in Warschau, den «Neuen Krefelder Appell« vom November 2021 sowie eine Rede des russischen Außenministers Sergei Lawrow vor dem UN-Sicherheitsrat vom 22.September 2022.

Zum Autor

Wolfgang Bittner lebt als Schriftsteller und Publizist in Göttingen. Der promovierte Jurist schreibt Bücher für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Er erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen und ist Mitglied im PEN. Von 1996 bis 1998 gehörte er dem Rundfunkrat des WDR an, von 1997 bis 2002 dem Bundesvorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller. Ausgedehnte Reisen führten ihn nach Vorderasien, Mexiko, Kanada und Neuseeland, Gastprofessuren 2004 und 2006 nach Polen. Wolfgang Bittner war freier Mitarbeiter bei Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen und hat mehr als 70 Bücher veröffentlicht, unter anderem die Sachbücher „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise“ und „Deutschland – verraten und verkauft“ sowie den Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.

→ Wolfgang Bittner steht für Vorträge zur Verfügung. Veranstalter wenden sich bitte direkt an den Verlag.

Titel:AusnahmezustandUntertitel:Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-KonfliktsAutor:Wolfgang BittnerGenre:SachbuchAufmachung:Broschiert (mit Klappen)Umfang:288 S., mit 37 Abb.Format:13 x 21 cmErscheint am:16. Januar 2023ISBN:978-3-943007-47-3 (gedruckte Ausgabe)Preis19,90 € (gedruckte Ausgabe)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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