"Das Licht vermehrt die Finsternis" Lyrik von Jan David Zimmermann

Rezension Der Wiener Jan David Zimmermann besticht mit feinfühligen Gedichten

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Jan David Zimmermann hat einen fesselnden, tief beeindruckenden, weil tief lotenden Lyrikband vorgelegt. Im Oktober ist er bei ars vobiscum erschienen. Der Titel: „Das Licht vermehrt die Finsternis“. Der Titel nimmt Bezug auf eine Szene aus Franz Kafkas „Der Prozess“:

„Als sich K. zufällig umdrehte, sah er nicht weit hinter sich eine hohe, starke, an einer Säule befestigte Kerze gleichfalls brennen. So schön das war, zur Beleuchtung der Altarbilder, die meistens in der Finsternis der Seitenaltäre hingen, war das gänzlich unzureichend, es vermehrte vielmehr die Finsternis.“ – Franz Kafka, Der Prozess

Zimmermanns sensible Dichtung schafft es ganz besondere Stimmungen in unterschiedlichen Szenerien aufglimmen zu lassen. Als Leser ist man sofort aus der eigenen momentanen Welt in eine ganz andere gerissen. Und gleich wieder – etwa in Kindheiten – zurückgeworfen auf die eigne Kindheit. Lassen an sie zumindest denken. Und die Wörter, die Zimmermann da zuweilen kreiert hat, lassen ein ums andere Mal staunen! Um nur einige aus dem Gedicht „Wechselbälger“ zu nennen: „Lachhälse“, „Rüpelrotzer“ und „Dunkelhunde“. Und es hat wahrlich mehr davon!

Der Gedichtband ist dreigegliedert. In I: Kindheiten, II: Müdigkeiten und III: Weisheiten. Vieles rankt sich um Biografisches, Zwischenmenschliches und im Leben erlangte Erkenntnisse und schildert tiefgreifende Gefühle, Beängstigungen und Traurigkeiten vielleicht.

Immer wieder ist man als Leser von Zeile zu Zeile verblüfft und überrascht. Welch eine Sprache, wie unabgenutzt – ja aus dem Gefühl heraus klug und feinsinnig komponiert. Das amüsiert, man hat seine Freude daran. Oder berührt einen tief. Es fordert einen geradezu auf, sich einmal wieder mehr mit sich selbst und seinem Leben – dem Leben überhaupt – zu befassen.

Sehr schön auch das von Zimmermann auf Island geschriebene Gedicht „Dimmuborgir“. Tiefgründig vor fabelhafter Natur.

Wollen wir ehrlich sein: Lyrik wird oft als fünftes Rad am Wagen gesehen. Und nicht selten auch so behandelt oder gar links liegen gelassen. Wer liest noch Gedichte – wer schreibt gar selber noch welche? Ich selbst hatte lange keine Gedichte mehr gelesen. Bis mir vor einiger Zeit ein Gedichtband von Wolfgang Bittner unter die Augen kam. Ich war begeistert! Was doch in noch so kleinen Gedichten für Geschichten stecken können! Hatte ich das vergessen? Ich nahm mir vor, ab und an wieder Gedichte zu lesen.

Nun also Jan David Zimmermanns Gedichtband. Es hat sich für mich gelohnt. Tun Sie es mir gleich, liebe Leserinnen und Leser: Wagen Sie es, nehmen Sie mal wieder Gedichte zur Hand und tauchen in sie ein! Es macht etwas mit einen. Gedichte sind nicht out. Sie gehören fest zum großen Kreis der Literatur. Zimmermanns Lyrikband sei den Leserinnen und Lesern wärmstens ans Herz gelegt.

Gut der Bezug auf Kafka betreffs des für den Gedichtband gewählten Titel: „Das Licht vermehrt die Finsternis“. Ebenso gut könnten wir dabei auch an das geflügelte Wort aus der Antike „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ denken.

Produktinformationen „»Das Licht vermehrt die Finsternis« Gedichte von Jan David Zimmermann“

Jan David Zimmermann
Das Licht vermehrt die Finsternis. Gedichte

„Als sich K. zufällig umdrehte, sah er nicht weit hinter sich eine hohe, starke, an einer Säule befestigte Kerze gleichfalls brennen. So schön das war, zur Beleuchtung der Altarbilder, die meistens in der Finsternis der Seitenaltäre hingen, war das gänzlich unzureichend, es vermehrte vielmehr die Finsternis.“-Franz Kafka, Der Prozess

Menschen neigen dazu, im Kampf für das Gute erst das Abgründige zu produzieren. Der fanatische Kampf für das vermeintlich Richtige wird schneller als man denkt zu einem Irrweg, oder wie es frei nach Hannah Arendt (mit Verweis auf Brecht) heißt: Es gibt beim Menschen eine Verführung zum Guten, keine satanische Verführung zum Bösen. Demgemäß versteht Jan David Zimmermann auch das Zitat von Kafka und fordert ein, sich dem Dunklen zu stellen und hinzusehen. Es zu benennen, sich so möglicherweise damit zu versöhnen, Trost zu finden und vielleicht sogar Hoffnung; andernfalls vermehrt das Licht nur die Finsternis.

"Das Licht vermehrt die Finsternis« Gedichte von Jan David Zimmermann

ars vobiscum Media e. U.

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Zum Autor Jan David Zimmermann

Lebenslauf von Jan David Zimmermann

geboren 1988 in Wien, lebt ebendort. Bachelor-Abschluss in Sprachkunst (Universität für angewandte Kunst) und Master-Abschluss in Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte (Universität Wien). Seit 2009 literarische Lesungen, umfassende wissenschaftliche Tätigkeit (Publikationen, Konferenzen, Stipendien) sowie Textveröffentlichungen in Literaturzeitschriften. Homepage: http://www.jandavidzimmermann.com

Quelle: Verlag / vlb

Hinweis: Erscheint auch im Stichpunkt Magazin.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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