Vom "Menschenbagger" zum Asansör

Auf und ab Als ich zur freitag-community stieß, gab ich mir den Namen asansörpress35. Was es damit auf sich hat, lesen Sie hier.

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In dem roten Turm (rechts im Bild) befinden sich zwei Aufzüge. Diese verbinden zwei Straßen von unterschiedlichem Niveau; Photo via Vikipedia.tr

Fahrstuhl? Aufzug

Die meisten Leute sagen ja gemeinhin Fahrstuhl, wenn sie Aufzug meinen. Selbst die meisten Journalisten verwenden diesen Ausdruck für diesen "Menschenbagger". Keineswegs schlimm: Was sie damit meinen, verstehet sicherlich auch jeder. Natürlich war auch mir das Wort in Fleisch und Blut übergegangen. Hingegen seit ungefähr dreißig Jahren benutze ich das Wort Fahrstuhl nun schon nicht mehr. Und zwar genau von dem Tage an, da meine Kollegen und ich am damaligen Landestheater Halle einen Lehrgang zur Erlangung eines Berechtigungsscheines zum Führen von Aufzügen begannen. Beginnen mussten. Denn dieser war plötzlich zur Pflicht erhoben worden. Zwar hatten wir alle schon über Jahre hinweg die verschiedensten "Fahrstühle" - kleine und großen Lastenfahrstühle - im Hause ohne Probleme erfolgreich und fast ohne Pannen "geführt"; aber: Vorschrift ist nun einmal Vorschrift. Und Schnaps ist Schnaps. Auch in der DDR wurde ja bekanntlich Deutsch gesprochen bzw. auf unterschiedlichsten Papieren bürokratisch exakt vorgeschrieben.

Gleich am ersten Lehrgangstag machte uns der Technischer Direktor klar, warum der umgangssprachlich Fahrstuhl genannte "Menschenbagger" richtig Aufzug genannt gehörte: Es habe einmal einen Handwerker gegeben, der ein langes Teil mit dem Aufzug befördern musste. Da es nun weder der Breite, noch der Höhe nach da hineinpasste, hatte der Mann kurzerhand eine Klappe in der Decke des Aufzugs geöffnet und das überlange Teil durch diese Öffnung gesteckt. Fertig ist die Laube! Dann sei der Mann arglos bis zur letzten Etage gefahren. Oben krachte es. Unser Technische Direktor damals staubtrocken: "Der Mann fährt jetzt Fahrstuhl." Er meinte einen Krankenfahrstuhl. Einen der mit Handkraft vorwärts bewegt werden musste. So etwas prägt sich ein. Seither benutze ich nur noch das Wort Aufzug oder Lift, wenn ich von einem "Menschenbagger" rede, der seine Insassen hinauf bzw. hinab befördert. Etwas anderes geziemte sich ja auch nicht für einen betriebsintern geprüften Aufzugsführer. Schwimm-Meister - zwar mag der Vergleich etwas hinken, dennoch: werden nachvollziehen können, was dich damit meine. Die werden ja auch meistens Bademeister genannt. Obwohl ein Bademeister Dienst an der Kurbadewanne und eben nicht am Schwimmbecken versieht. Punktum!

Abwärts mit mehrfacher Sicherheit

Vielleicht kennt noch jemand den Film "Abwärts" mit Götz George? Seitdem dürfte mancheiner etwas ängstlicher Aufzug gefahren sein. Aber keine Angst: In der Regel können die Seile, die die Aufzugskabine halten, nicht reißen. Es gibt eine fast mehrfache Sicherheit betreffs der Seile. Die ist vorgeschrieben. Das walte Hugo! Und selbst wenn die alle auf einmal reißen sollten, dann sorgten andere Sicherheitseinrichtungen dafür, dass der Aufzug nicht in die Tiefe stürzt.

Mit "Bild" hoch, aber auch wieder herunter

Vorsehen sollten sich dagegen diverse sogenannte Promis und bestimmte Politiker, wenn sie sich auf eine Art von Beförderungsmittel einlassen. Als solches bietet sich - freilich nicht ohne Eigennutz - bekanntlich die Bildzeitung an. Offenbar allzu trunken von der Höhenluft mussten zuletzt die Herren von und zu Guttenberg und Wulff, Christian die sicher nicht sehr angenehme Erfahrung machen, dass einem auf dem Gipfel ziemlich schneidend kalte Luft erwischen kann. Der Vorstandsvorsitzende der Springer AG, Mathias Döpfner beschrieb schon 2006 das „Prinzip Bild“ so: „Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten“

Auch seriöser Journalismus funktioniert, sehr sehr vorsichtig ausgedrückt, gewissermaßen so ähnlich: Indem man über etwas schreibt, kann man es hoch befördern, zu Glanz und Ansehen verhelfen oder aber eben auch vom Sockel stoßen. Weshalb gute Recherche und Sorgfalt und Fingerspitzengefühl sowieso angebracht sind. So einiges und einige hat ja bereits auch das einst als "Sturmgeschütz der Demokratie" hoch angesehene Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" erst hoch und dann wieder herunter geschrieben. Sturmgeschütz der Demokratie? Heute nennen manche den Spiegel Bildzeitung für Intellektuelle. Nicht übel, was? Dennoch: bei "Bild" ging und geht es schon immer ein wenig unterirdischer, quietschiger, schiefer, ja, nennen wir es ruhig beim Namen: verbotener, zu. Der Wissenschaftler Hans-Jürgen Arlt und der Journalist Wolfgang Storz entwickelten auf Grund einer Studie das Theorem, "Bild" sei gar keine richtige Zeitung, sondern inszeniere sich nur so, um Geschäfte machen zu können. - Lohnt sich mal genauer darüber nachzudenken!

Namensgeber Asansör

Als ich zur freitag-community stieß, gab ich mir - ohne bewußt an den Döpfner-Satz gedacht zu haben - den Namen asansörpress35. Was u.a. mit einer starken Türkei-Affinität meinerseits zusammengehangen haben mochte. Holperig übersetzt hieße das: Aufzugspresse. Nun ja. Im Türkischen heißt Aufzug ansansör. Und 35 steht für das Autokennzeichen von Izmir. Press dürfte sich von selbst erklären. Es fiel mir damals einfach nichts anderes ein. Ich hatte kurz zuvor erst diesen asansör in Izmir besucht. Und war von ihm, sowohl von dem Panoramablick, zu welchem dieser Aufzug einen hinauf befördert, tief beeindruckt. Wer den "Ansansör" besucht, kommt an Dario Moreno nicht vorbei.

Dario Moreno

Dario Moreno wurde als David Arugete im türkischen Aydin geboren. Später wohnte der Künstler in Karatas, einem Stadtteil von Izmir. Moreno war Sänger. 1948 ging er nach Paris. Dort erfolgten erste Schallplattenaufnahmen. In Frankreich dreht Moreno auch. In den Filmen spielte er meist exotische Charaktere (Wikpedia).

Sein Haus befindet sich in der steil ansteigenden ehmaligen Asansör Straße. Heute heißt sie zu Ehren des Künstlers Dario-Moreno-Straße.

Sie führt direkt zu einem imposant aufragendem Turm (siehe Photo oben) aus roten Ziegelstein: dem Asansör.

Asansör ist wie so manches Wort im Türkischen dem Französischen entlehnt. Es leitet sich nämlich von ascenseur (Aufzug) ab.

Asansör

Der Asansör steht in einem der ältesten Viertel Izmirs namens Karataş. Einem, von jüdischen Bürgern bevorzugtem Wohngebiet.

Anders als zu Zeiten Dario Morenos (und früher) wohnen heute nicht mehr sehr viele Bürger mosaischen Glaubens da. Unweit der Dario-Moreno-Straße befindet sich die größte Synagoge der Stadt Izmir. Sie kann auch besichtigt werden. Allerdings ist es erforderlich sich vorher anzumelden.

Seine Errichtung im Jahre 1907 verdankt das Bauwerk Asansör dem jüdischen Geschäftsmann Nesim Levi Bayraklioglu. Er ließ die Ziegelsteine für den Bau eigens aus Marseille kommen. Darin tun zwei Aufzüge ihren Dienst. Zur Zeit der Einweihung war einer von ihnen dampfgetrieben, der andere wurde elektrisch bewegt. Das vielleicht Außergewöhnlichste an diesen Aufzügen ist, dass sie ein eigenes Gebäude umschließt, das nur diesem Zweck dient.

Ab 1985 nur noch elektrisch

Im Zuge von Sanierungen des Asansör im Jahre 1985 wurde auch der bis dato per Dampf betrieben gewesene Lift auf Elektrobetrieb umgestellt. Der Asansör prägte das Viertel so stark, dass man es bis heute eigentlich nur noch „Asansör“ nennt.

Dank des Asansör blieb den Anwohnern erspart, 155 Treppenstufen hinauf zu kraxeln, um von der knapp über den Meeresspiegel gelegenen Mithatpasa Caddesi zur 51 Meter höher befindlichen Halil Rifat Pasa Caddesi zu gelangen. Wer oben angekommen aus dem Aufzug tritt, gelangt über eine Brücke direkt zur dortigen Restauration mit Außen- und Innengastronomie. Abends gibt es dort oben auch Life-Musik.

Neben dem Ansansör existiert auch heute noch eine Treppe, die nehmen kann, wer die Kondition dafür besitzt. Die wunderbare Aussicht entschädigt einen in jedem Fall für die Strapazen. Mit dem Taxi mag hinauf fahren, wer auf den schwindelerregend ansteigenden Gassen Vertrauen in dessen Bremsen hat.

Morenos Tod in Istanbul

Dario Moreno starb am 1. Dezember 1968. Just da er im Begriff war, mit einem Taxi zum Flughafen zu fahren, nach einem Herzanfall in Istanbul. Entgegen seinem innigsten Wunsch, in Izmir – der Stadt, welcher er mit „CANIM Izmir“ (Mein Schatz Izmir; siehe Nachtrag mit Link zum You Tube Video) eine musikalische Liebeserklärung hinterlassen hat - begraben zu werden, bestattete man ihn in Holon, Israel...

Moreno, ein früher Europäer?

Vom Restaurant oberhalb des Asansör-Turms blickt man in der zunehmenden Abenddämmerung nach einem guten Abendessen, vom Kribbeln des Raki im Magen angenehm beruhigt über die Stadt Izmir und ihre vielen Lichter hinweg. Bis auf den körfez, den Golf von Izmir. Um mit seinem Blick eventuell gedanklich leicht abschweifend, 51 Meter tiefer in der Dario-Moreno-Straße zu landen. War nicht Moreno ein früher Europäer? Einer der Welten, Kulturen überbrückte? Wie würde er heute denken, lebte er noch unter uns? Wäre er für einen Beitritt seines Heimatlandes zur EU?

EU-Beitrittsdiskussion hoch über Morenos Haus

Für die gemischte Runde aus Türken und Deutschen hoch über Morenos einstigem Wohnhaus gab es zur Zeit meines damaligen Besuches reichlich Gesprächsstoff nach dem Essen.

Manche waren angesteckt vom damals forsch erscheinendem Reformeifer der Türkei unter der AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdogan. Mit Skepsis und nicht ohne Bitternis dachten wohl jedoch auch nicht wenige Türkinnen und Türken an den schon einmal anscheinend greifbar nahe gewesenen EU-Beitritt ihres Landes vor nunmehr zirka vierzig Jahren. Zu dieser Zeit hatte das Land am Bosporus wirtschaftlich sehr gut dagestanden. Und ebenso an die damit verbundenen Enttäuschungen, wenn jeweils das westliche Europa die Türkei mit immer neuen Begründungen von sich stieß.

Natürlich war den Realisten unter ihenn immer klar: die Bedingungen für den EU-Beitritt mussten vorher erfüllt sein.

Atatürk richtete sein Land schon früh gen Westen aus

Eigentlich strebte die Türkei mindestens seit Mustafa Kemal Atatürk gen Westen! Als nun in neuerer Zeit wieder möglich schien, was doch stets immer gescheitert war, hielten viele türkische Menschen das Unmögliche - den Beitritt zur EU - für doch bald erreichbar.

Hoffnung auf einen EU-Beitritt der Türkei weicht Pessimismus

Nicht erst seit den schmerzlichen Abweisungen des inzwischen abgewählten französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und den überhaupt nicht als Trostpflaster geeignetem - und deshalb von den Türken zu Recht abgelehnten - Ideen-Konstrukts Angela Merkels, einer Ankara hingeworfenen "Priviligierten Partnerschaft" (die doch de facto bereits besteht), macht sich unterdessen bezüglich eines EU-Beitritts der Türkei zunehmend Pessimismus breit.

Bestätigt sehen sich nun diejenigen Türkinnen und Türken, die immer schon behaupteten: Die EU will uns doch gar nicht! Und die, die wußten, die EU ist nun einmal ein Christen-Club, die uns Muslime nicht wollen.

Die mit Angela Merkel verwechselte Claudia Roth machte Mut

Wir mussten damals, hoch über Izmir laut lachen: Die Grünen-Politikerin Claudia Roth war zu der Zeit übrigens auf Istanbuls Straßen öfter für Angela Merkel gehalten worden. Sie hatte sich dafür ausgesprochen, die Türkei in die EU zu integrieren. Weil der EU-Prozess „tatsächlich eine Reformdynamik ausgelöst hat, die die Menschenrechte hier stärkt.“ Die Türkei sei keine perfekte Demokratie, so Roth damals, aber eine Demokratie, die weiter zu stärken sei.

Beim EU-Beitritt gehe es um die Kopenhagener Kriterien. Man müsse sagen, dass diese Kriterien auch im türkischen Interesse sind. Daraus leite sich der Anspruch der Türkei ab, gleichberechtigtes Mitglied der EU zu werden.

Unglaubwürdig dagegen sei es, die Latte immer höher zu hängen und der Türkei das Gefühl vermitteln, man wolle sie nicht in unserem Abendland. Auch das meinte Roth in dieser Zeit. Nun sieht mancher manches nüchterner. Die Reformdynamik Ankaras ist längst erlahmt. Die Zahl der EU-Befürworter in der türkischen Bevölkerung sinkt laut Umfragen. Wenn nicht, dann stagniert sie. Was sicher mit der Finanzkrise von 2008 und der Euro-Krise derzeit in Zusammenhang steht. Ich selbst schrieb lange zuvor in der alten Istanbul Post: Vielleicht ist die Türkei noch einmal froh, dass man sie nicht in die EU aufnehmen wollte. Obgleich ich von der Sache her noch immer überzeugt bin, dass die Türkische Republik - bei Erfüllung der Aufnahmekriterien - in die EU gehört...

Hoch droben über Izmir lässt es sich gut sitzen. Essen und Trinken bei Kerzenschein. Und ein EU-Beitritt der Türkei wird sicher noch oft Diskussionsthema auf der Restaurantterrasse nahe des Asansör-Turms sein. Womöglich noch viele Jahre lang. Über den flimmernden Lichtern des nächtlichen Izmir den Traum zu träumen, zukünftig zur EU zu gehören und dort auch von Herzen willkommen zu sein, ist nur zu natürlich. Aber der Weg dahin ist äußerst steinig bis unmöglich geworden. Und wenn Ankara tatsächlich einmal an der EU-Pforte in Brüssel angekommen sein sollte, dann macht möglicherweise da schon der Letzte das Licht aus. Die Türkei indes unternimmt alles, um eine sehr wichtige Regionalmacht zu werden. Verliert Europa gar die Türkei? Und, ob sie sich mit ihrem fragwürdigen, weil einseitigen, Engagement im Syrien-Konflikt einen großen Gefallen getan hat, wird sich in näherer Zukunft vielleicht schon zeigen.

Auch dann wird die Mehrheit hierzulande gewiss jede Form von "Menschenbaggern" noch Fahrstuhl nennen, statt fachmännisch Aufzug oder Lift zu sagen. Aber warum päpstlicher sein als der Papst? Wichtiger ist indes die Frage: Wo bringt uns der Aufzug der noch zu schreibenden Geschichte hin? Wenn er bloß nicht der Fahrstuhl zum Schafott wird!

Näheres über Asansör hier auf Türkisch (Wikipedia) und

hier auf Englisch (Wikipedia).

Hier eine Seite mit weiteren Aufnahmen vom Asansör.

Ein Filmausschnitt (Quelle: You Tube): Brigitte Bardot mit Dario Moreno.

CANIM iZMIR...

In diesem Film (Quelle: You Tube) können Sie die von Moreno gesungenen Lieder "CANIM Izmir" u. "Deniz ve Mehtap" hören, sowie Bilder aus seinem Leben und Schaffen sehen. In dem Film werden auch die zum Asansör führende Dario-Moreno-Straße, sein Wohnhaus, der Asansör-Turm und Ansichten von Izmir gezeigt.



Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

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