Bürgerliche Brandstifter

Klassisch konservativ Nach dem Eklat in der Kölner Philharmonie: Was AfD-Ohren hören wollen und warum die neue Rechte moderne Kunst hasst
Ausgabe 10/2016

Echte Skandale hat es auf unseren Bühnen schon lange nicht mehr gegeben. Weil der Eklat gewissermaßen erwartet oder einkalkuliert wird, weil er zum Teil der bürgerlichen Unterhaltungskultur geworden ist. Da ist zum einen das Regietheater, das noch immer gern auf Blut-Schweiß-und-Sperma-Inszenierungen setzt. Und da ist das bürgerliche Publikum, das kommt, um sich genau darüber aufzuregen. Das Kotzen über eine Inszenierung gehört heute zu einem Opernbesuch wie der Prosecco in der Pause.

Umso ekelhafter, was jetzt tatsächlich zu einem handfesten Skandal führte: Vergangene Woche wurden bei einem Konzert des iranischen Cembalisten Mahan Esfahani in der Kölner Philharmonie neben Werken von Bach auch Kompositionen der Neuen Musik gespielt, etwa von Fred Frith und Steve Reich. Bei Reichs Stück Piano Phase (von 1967) kam es zum Eklat: Das Publikum begann zu pfeifen und zu rufen, und das so aggressiv und laut, dass das Ensemble sich gezwungen sah, das Konzert abzubrechen. All das hatte sich schon angekündigt, als Esfahani zuvor auf Englisch in das Werk einführte und Zwischenrufer ihn ankeiften: „Reden Sie doch gefälligst deutsch!“

Das Konzert wurde zum Ventil für eine hochgefährlichen Bürgerlichkeit, für jenen Typus Biedermeier, der nur einen Anlass zur Brandstifterei sucht. Für ein Publikum, das die Schnauze voll hat von einem Konzert- und Opernbetrieb, der experimentiert und das Alte aus der Gegenwart heraus befragt. Für Zuhörer, nach deren Auffassung Bach auch heute noch eine Puderperücke zu tragen hat. Es gibt Menschen (und es scheinen mehr zu werden), die das Konzert als eine musikalische Penisvergrößerung verstehen und schon deshalb auf dicke Hose machen, weil sie zufällig aus dem gleichen Land wie Bach, Beethoven oder Wagner kommen.

Menschen, die Künstler beleidigen und anschreien, wie jetzt in Köln, sind potenziell Menschen, die sogenannten Ausländerkindern mit besoffenem Atem „Wir sind das Volk!“ entgegenkeifen. Bislang haben wir sie eher mit dem Horst-Wessel-Lied in Verbindung gebracht, nun ziehen sie auch Beethoven und Co. in den Schmutz. Ja, es gibt ein wachsendes bürgerliches Publikum, das gern mit AfD-Ohren hören will.

Das klingt wie an den Haaren herbeigezogen? Ist es nicht! Auf der Seite des WDR postete nun eine „Annette“: „Weltoffenheit bedeutet nicht, dass man jeden x-beliebigen peruanischen Panflötenspieler in der Kölner Philharmonie auftreten lassen muss.“ Und ein „Christian“ schreibt im Forum der Klassik-Zeitschrift crescendo: „Ich liebe Musik, aber nur melodische, so einfach ist das. Und ich will nicht, dass man mir quasi ungefragt mehr oder weniger experimentelle Musik vorsetzt und versucht, meinen Horizont zu erweitern.“ In Köln standen die Stücke von Steve Reich klar auf dem Programm. Wer eine Klangtapete wollte, hätte zu Hause bleiben sollen. Wer störte, tat dies bewusst.

Kürzlich hat das Theater in Bonn seine Zuschauer befragt. Das Ergebnis war erschreckend: So links viele Regisseure und Intendanten sind, so rechts ist ihr Publikum geworden. Und doch – oder eben darum – bleibt der Dialog die einzige Lösung. Es wäre falsch, vermeintliche Bildungsbürger wie diejenigen, die in Köln als verbale Brandstifter aufgetreten sind, auszusperren. Wir müssen weiterhin versuchen, ihnen die Positionen der Künstler und unsere Sicht der Kunst zu erklären. Wenn sie es auf Englisch partout nicht verstehen, dann eben irgendwie auf Deutsch.

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Geschrieben von

Axel Brüggemann

Journalist und Autor in Wien und Bremen.

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