Die Finanzkrise hat Besseres verdient

Neu im Kino David Cronenberg hat sich Don DeLillos Roman "Cosmopolis" angenommen. Ein Jungbanker verzockt darin sein erspekuliertes Vermögen. 2003 war das prophetisch. Und heute?

Der erhabenste und zugleich banalste Trick, um ein Werk aus der Masse hervorzuheben, besteht darin, es zur Prophezeiung zu erklären. In Don DeLillos 2003 erschienenem und im Jahr 2000 spielenden Roman Cosmopolis fährt ein milliardenschwerer Finanzmakler in einer Stretchlimousine durch New York und sieht sich mit „antikapitalistischen Protesten“ konfrontiert. Heute heißt es, DeLillo habe damit die Occupy-Wall-Street-Bewegung vorausgesehen. Erste Meldungen über eine Leinwandadaption erschienen im Februar 2009, da war das, was wir heute als die Finanzkrise kennen, erst wenige Monate alt – weshalb auch dieser Schritt als äußerst vorausschauend gilt. Wenn nun wieder spitze „Er hat’s gewusst“-Schreie ertönen, dann auch, weil David Cronenberg in seiner Verfilmung – für die er selbst das Drehbuch schrieb – ein paar Details zurechtrückt: Statt des japanischen Yens ist es nun der chinesische Yuan, mit dessen Spekulation die Hauptfigur ihren eigenen Ruin herbeiführt. Es ist eine völlig zulässige, ja nötige Aktualisierung, denn eine Winzigkeit wie der Unterschied von Yen und Yuan kann Hellsichtigkeit plötzlich wie Zukunftsblindheit aussehen lassen. Womit wir bei der entscheidenden Frage wären: Was sagt uns Cosmopolis wirklich über die Finanzkrise und Occupy Wall Street?

Ein durch Finanzmakelei zu viel Geld gekommener junger Mann fährt also in seiner Stretchlimousine durch New York. Ziel von Eric Packers (gespielt von Robert Pattinson) Reise ist ein Haarschnitt. So eitel und harmlos sich das Vorhaben anhört, wird es doch augenblicklich aufgeladen durch die düsteren Einwände und Vorhersagen eines Bodyguards (Kevin Durand), der vor Staus und „glaubwürdigen“ Anschlagsdrohungen warnt. Unterwegs steigen eine Reihe von Menschen zum Jungmilliardär ins Auto: Seine Kunsthändlerin (Juliette Binoche), die ihm während eines anstrengenden Sexakts zum Kauf einer Rothko-Kapelle rät, sein Finanzguru (Samantha Morton), die davon spricht, „dass bald etwas passieren wird“, ein Rapper (K’naan), der ihm seine Trauer um einen Kollegen mitteilt, sein Leibarzt, der ihn der täglichen Prostata-Untersuchung unterzieht.

Vom Todeswunsch beseelt

Ab und an verlässt Packer die schallisolierte Limousine. Unter anderem trifft er mehrfach seine Angetraute (Sarah Gadon), wobei sich mit jedem sexlosen Date größere Entfremdung einstellt. An anderer Stelle erwischt ihn der „Torten-Attentäter“ Andre Petrescu (Mathieu Amalric). Und während die Ereignisse draußen immer blutiger werden, halten Monitore Packer drinnen darüber auf dem Laufenden, dass sein Vermögen den Bach runtergeht. Doch der Mann, der zwecks Vorsorge so willig die Unannehmlichkeiten einer täglichen Prostatauntersuchung über sich ergehen lässt, scheint gleichzeitig vom Todeswunsch beseelt. Wie der Film endet, kann spätestens eine halbe Stunde vor Schluss jeder Zuschauer vorhersagen.

Wenn Cosmopolis eine Offenbarung beinhaltet, dann die, dass weder DeLillo noch Cronenberg mehr von der aktuellen Finanzkrise verstehen als der ratlose Rest. Mit seiner gefühlt endlosen Folge von Redeschwällen, in denen stets die richtigen Stichworte Kapitalismus, Kälte, Wall Street, Untergang und ähnliches untergebracht sind ohne dabei je zu diskutierbaren Erkenntnissen geformt zu sein, wirkt Cosmopolis steif und theatralisch. In Kombination mit Robert Pattinsons bekannt bleichem, leerem Spiel wird daraus sogar Langeweile. Die Finanzkrise und Occupy Wall Street hätten Besseres verdient.

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