Entlarvt Tarantino!

Antikult „Bad Times at the El Royale“ rechnet endlich ab und macht glücklich
Ausgabe 41/2018

Fast ein Vierteljahrhundert ist es her, seit Pulp Fiction in die Kinos kam, genug Zeit, um zu fragen: Was hat uns Tarantino eigentlich gebracht? Vor allem eine Menge Nachahmer, wozu man kurioserweise ihn selbst zählen kann, wie sein letzter Film, The Hateful Eight, erneut belegte. Weshalb auch die meisten Kinogeher das Wort „tarantinoesk“ ausdeuten können: Gewaltszenen, die mit einem gewissen Vergnügen geschildert werden, verübt von Anti-Helden, die mit Macho-Aplomb dazu lange Reden halten, und eine Old-Hollywood-Nostalgie, die sich im übertragenen Sinn „Wir machen das Kino wieder groß“ auf die Mütze schreibt. Man könnte es cinephilen Populismus nennen.

Gewalt, Reden, Nostalgie – all das gibt es auch in Drew Goddards Bad Times at the El Royale, aber statt wie die üblichen Nachahmer populistisch auf die Tube zu drücken, schlägt Goddard einen Weg ein, an dessen Ende Tarantino mit dessen eigenen Mitteln entlarvt wird. Was El Royale zu einem der befriedigendsten Kinovergnügen der letzten Jahre macht.

Wie die Werke des Vorbilds kommt El Royale zunächst als Retro-Unternehmung daher. Da ist das Setting in einem heruntergekommenen 60er-Jahre-Motel. Da ist das Spiel mit ornamental eingefassten Schrifttafeln, die Kapitel und Rückblenden ankündigen. Und da sind die zeitgenössischen Songs über der perfekt designten Ausstattung. Alles in allem: Genrekino de luxe.

Zeit der Handlung ist 1969; in der Lobby eines Motels am Lake Tahoe, dessen „claim to fame“ darin besteht, unmittelbar auf der Staatengrenze von Kalifornien und Nevada gebaut zu sein, treffen vier ungleiche Gäste aufeinander. Sie sind mehr Archetypen als reale Figuren: Jon Hamm gibt den Handelsreisenden, Jeff Bridges trägt eine Priesterkutte, Dakota Johnson spielt die coole Hippie-Braut und Cynthia Eviro das einsame „black girl“. Was sie gemeinsam haben, ist eine verdächtig präzise Vorstellung davon, welches Zimmer des Motels sie beziehen wollen. Und, mit dem Mut zur Phrasenhaftigkeit gesprochen: Nicht alle sind das, was sie zu sein vorgeben. Die Handlung entwickelt sich in gewohnt unerwarteter Weise. Die Nacht bricht herein, ein mächtiges Gewitter schließt das Motel und seine Bewohner von der Außenwelt ab, in Horrorfilm-Manier reiht sich Konfrontation an Konfrontation. Mit dem Hotelangestellten Miles (Lewis Pullmann) und dem Kultführer Billy Lee (Chris Hemsworth) bringt Goddard noch die Tropen Vietnams und Charles Manson ins Spiel. Aber die eigentliche Spannung geht hier weniger von den gewaltsamen Plotwendungen aus als von den Facetten, die Goddard nach und nach an seinen Figuren offenlegt. Die Etiketten fallen, von wegen plappernder Handelsvertreter, alternder Priester, flippiges Mädchen oder schwarze Sängerin, und darunter werden in unplakativer, subtiler Weise ganz andere, elementarere Konflikte sichtbar. Dinge, die vom „tarantinoesken“ Lärm sonst übertönt werden, wie soziale Stellung, Alter, Krankheit, Trauma und, ähemm, die ganz gewöhnliche sexuelle Belästigung.

Schon mit seinem Regiedebüt The Cabin in the Woods belegte Drew Goddard sein Talent für ein Meta-Erzählen, das den Zuschauer die Torte gleichzeitig essen und sowohl über die Schönheit ihrer Dekoration als auch die Schädlichkeit ihres Fettgehalts reflektieren lässt. Wo Cabin in the Woods dabei vielleicht noch zu sehr auf ein Quiz in Sachen Horrorfilm-Tropen hinauslief, gelingt ihm mit Bad Times at the El Royale die echte Dekonstruktion der Cineasten-Coolness. „Männer wie du langweilen mich“, sagt Cynthia Eviros marginalisierte und geplagte Sängerin zum sich als Herr über Leben und Tod aufblasenden Chris Hemsworth, dessen schauspielerische Großtat darin besteht, zu gucken, als habe sie ihm damit das Hirn herausgepustet. So viel weibliche Ermächtigung, und das in nur einem Satz, gibt es selten.

Info

Bad Times at the El Royale Drew Goddard USA 2018, 141 Minuten

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