Jon Snow ist noch tot

Kolumne Unsere Autorin über Sexploitation und die neue Staffel von „Game of Thrones“. Spoileranteil 11%
Ausgabe 17/2016
Revolutionäre Wirkung inklusive: Game of Thrones
Revolutionäre Wirkung inklusive: Game of Thrones

Foto: Jemal Countess/Getty Images

Als Game of Thrones im April 2011 auf Sendung ging, hatte sich die Aufmerksamkeit der Welt vom Arabischen Frühling weg und hin zur Nuklearkatastrophe von Fukushima zugewandt, zwei Wochen später wurde Osama bin Laden erschossen. Dass die neue HBO-Serie nach einer Romanserie eines bis dahin nur Genre-Fans bekannten Fantasy-Autors namens George R. R. Martin sich zum „größten Serien-Hit der Welt“ (so zumindest fühlt es sich dieser Tage an) entwickeln würde, war so wenig abzusehen wie die Folgen der erwähnten Weltereignisse.

Während es niemanden verwundert, dass sich heute kaum jemand mehr an Zine el-Abidine Ben Ali (damaliges tunesisches Staatsoberhaupt) oder gar Mohammed Bouazizi (der Gemüsehändler, der sich aus Protest gegen Ben Ali selbst anzündete) erinnern kann, versetzt der allgemeine Bekanntheitsgrad von Daenerys Targaryen, Tyrion Lannister und Sansa Stark geradezu in Ehrfurcht. Wo die Frage nach Atomkraft (ja oder nein) allenfalls noch eine laue Konversation entfaltet, erhitzt das Schicksal von Jon Snow die Gemüter von Los Angeles über Johannesburg bis Peking. Und, nein, die Welt ist deshalb nicht schlechter geworden, sondern eben um ein Phänomen reicher.

Von der „Prestige-Serie“ über das „Kultfernsehen“ hin zum Phänomen – diese Entwicklung bringt es mit sich, dass sich eine Kritik der Serie eigentlich erübrigt. Sicher, einige der Großinterpretationen, die bereits verfasst wurden, lesen sich ganz interessant. Etwa die, dass Game of Thrones eine Parabel auf unseren Umgang mit dem Klimawandel sei: Die „White Walker“ stehen sinnbildlich für die Umweltbedrohung, während der Kampf um den „Eisernen Thron“ illustriert, wie sich die einzelnen Länder im Streit um Hegemonie verzetteln und dabei die wahre Gefahr von jenseits der „Mauer“ nicht sehen wollen.

Aber machen wir uns nichts vor: Solche Interpretationen, obwohl möglich, sind Argumentationsschleifen, die darüber hinwegtrösten, dass man unfassbare fünf Jahre damit verbringt, darüber zu spekulieren, wer nun die Mutter von Jon Snow sei. Denn statt Kritik, sei es in ihrer reduziertesten Form des Daumen-hoch oder Daumen-runter, geht es bei Game of Thrones nurmehr um die Frage, ob man dabei ist oder nicht, ob man schon mit „Valar Morghulis“ („Alle Menschen müssen sterben“) grüßt oder noch den Kopf darüber schüttelt, dass die Serie sich mit dem von Sean Bean gespielten Ned Stark gleich in der ersten Staffel von ihrem damals noch einzigen namhaften Schauspieler per Kopfabschlagen verabschiedete.

Aus der Außenperspektive mag Game of Thrones als eines von vielen sektenartigen Kultphänomenen erscheinen, in denen sich Fans spielsuchtartig verstricken. Aus der Innenperspektive bietet die Serie nichts weniger als ein Gefühl von Teilhabe. Denn tatsächlich „gehört“ das Phänomen Game of Thrones fast mehr den Fans als den Machern. Der seltsame Status der Produktion zum Zeitpunkt der aktuellen sechsten Staffel tut hier sein Übriges: Das Ende der Romanserie, auf der die Verfilmung beruht, ist erreicht. Nun filmen die Serienproduzenten, wenn auch nach Beratung mit dem Autor, einfach weiter, was später wieder Literatur werden soll, nur vielleicht anders. In dieser Zwischenwelt, in der die Autorität des Autors geschwächt erscheint, werden die Stimmen der Fans lauter denn je. Game of Thrones ist kaum mehr das, was auf dem Bildschirm geboten wird, es ist das, was die Fans daraus in ihren Recaps machen.

Die erste Folge der neuen Staffel ist der beste Beleg dafür: Für den Außenstehenden bot sich der Anblick von verschiedenen Schauplätzen, die stur aneinandergereiht Auskunft darüber gaben, dass im Wesentlichen alles wie zum Ende der letzten Staffel steht: Arya Stark ist immer noch blind, Daenerys Targaryen hat immer noch nicht Westeros erobert und Jon Snow ist nach wie vor tot. Oh ja, und es rollen nach wie vor viele Köpfe.

Für alle, die „drin“ sind, aber eröffnete sich ein neues Kapitel, in dem die Serie das Heft stärker in die Hand ihrer weiblichen Figuren gibt. Der Cliffhanger war die Verwandlung einer nackten attraktiven Frau in ein nacktes altes Weib. Und damit die noch nicht mal ironische Umkehrung der Sexploitation, des hemmungslosen Ausstellens von weiblicher Haut zum Zwecke der Zuschauerbindung, die man den Machern schon oft vorgehalten hat. Was soll ich sagen – von innen gesehen, kommt das einer Revolution gleich.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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