Von Selbstironie zur Selbstverachtung

Humor Barbara Schweizerhof feiert die Australierin Hannah Gadsby und ihr Comedy-Special „Nanette“
In Nanette wird Hannah Gadsby phasenweise essayistisch
In Nanette wird Hannah Gadsby phasenweise essayistisch

Foto: Jesse Grant/Getty Images for The Hollywood Reporter

Der landläufigen Klage, dass das Streaming die Gemeinschaft des „linearen“ Fernsehguckens auflöst, lässt sich ein schönes, konträres Argument entgegenhalten: Endlich kann man getrost abwarten, bis die Sau durchs Dorf getrieben wurde, alle „think pieces“ geschrieben sind – und sich dann unabhängig noch eine Meinung bilden. Weshalb genau jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um das Netflix-Comedy-Special Nanette zu schauen, die Sensation des Sommers, die selbst im deutschen Blätterwald zu Überschriften führte wie: „Comedy wird nie mehr dieselbe sein!“ Was natürlich längst wieder widerlegt ist, wie der Contrarian-Spätgucker wohl weiß. Die Comedy drum rum ist noch die gleiche, aber Nanette ragt trotzdem heraus.

Wobei sich die Australierin Hannah Gadsby zum Auftakt durchaus auch ein paar konventionelle Witze erlaubt.
Etwa wenn sie die Leserbriefe von einst als „slow Twitter“ bezeichnet oder in Grundzügen das Kernstück ihres früheren Programms wiedergibt, den lakonischen Bericht über ihr Coming-out gegenüber der eigenen Mutter und das Aufwachsen im homophoben Milieu von Tasmanien, wo Homosexualität bis 1997 als Straftat galt.

Was Nanette so besonders macht, sind die essayistischen Momente ihres Vortrags, in denen Gadsby über Van Goghs unbehandelte psychische Krankheit oder Picassos Stellung in der Kunstgeschichte reflektiert. Sie bereitet dabei Einsichten, die sich in ihrem Andersdenken wie Pointen anfühlen, gleichzeitig aber weit davon entfernt sind. Überhaupt gilt: Wie Gadsby hier über die Struktur des Witzeerzählens nachdenkt, darüber, wann Selbstironie in Selbstverachtung umschlägt und was das mit ihrem Stand-up-Beruf macht, ist auch lange nach dem Hype sehenswert.

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