Poesie aus Slowenien: „Wo der mensch sein wird, wird die poesie sein …“
Lyrik Beate Tröger hat drei Bände aus Slowenien ausgewählt, dem Land der Dichter:innen und Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Manche Verse fallen wie Steine vom Himmel ins Herz
Slowenien ist in diesem Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Das Land verfügt über eine reiche lyrische Tradition. Mit rund zwei Millionen Einwohnern ein kleines Land, erscheinen in Slowenien dennoch rund 350 Gedichtbände pro Jahr. Was Gottfried Benn einmal über Deutschland sagte: „In jeder Straße gibt es einen Friseur, aber es gibt nicht in jeder Straße einen Lyriker, wie man denken kann, wenn man die vielen Gedichte in den Zeitungen und den Zeitschriften liest“, scheint auf Slowenien angesichts dieser Zahlen also nicht zuzutreffen. Dass diese Leidenschaft zu dichten nicht irgendwelche, sondern eindrückliche, kluge, präzise gebaute Gedichte hervorbringt, davon zeugt die Anthologie Mein Nachbar auf der Wolke.
Die Dozentin und Ü
e.Die Dozentin und Übersetzerin Amalija Maček und die Autoren und Übersetzer Matthias Göritz und Aleš Šteger haben im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung eine Fülle von Gedichten von insgesamt 80 Dichtern zusammengetragen und sie in Deutsch und Slowenisch entlang zweier Achsen angeordnet: Entlang der einen Achse werden Gedichte von 16 großen Vertretern der slowenischen Lyrik des 20. und 21. Jahrhunderts gruppiert, unter ihnen auch hierzulande bekannte wie Srečko Kosovel, Dane Zajc oder Tomaz Šalamun. Eine zweite Achse ordnet die Gedichte unter Themen wie „wasser & erde“, „revolte & kampf“, „zeit & geschichte“, „wort & schweigen“, „stadt & zuhause“. Mit dem Projekt ist den Herausgebern das Kunststück gelungen, einerseits die wechselvolle Geschichte des Landes im Spiegel der Poesie abzubilden: Revolte, Partisanenkämpfe, die Zeit, in der das Land Teil Jugoslawiens war, die Staatsgründung 1991 und der Bosnienkrieg 1992 – 1995 werden in den Gedichten plastisch, und darin die unbedingte Dringlichkeit der Poesie: „Wo der mensch sein wird / Wird die poesie sein / Wird die dringlichkeit der Poesie / wird die dringlichkeit der feier des lebens sein /Wo es keine Poesie gibt / Wird es keinen menschen geben / wird es keine musik geben / wird es keinen tanz geben“, dichtet der 1985 geborene Tibor Hrs Pandur in Befreie den Platz von dir. Bisweilen scheint auch die Resignation zu siegen: „Manchmal denke ich, ich werde verrückt, / manchmal denke ich, es war alles vergeblich. / Von Marx und Engels bis zum Kapital, / den roten Sternen und Rudern. Von der Neujahrsdeko, dem Windelwaschen, der Freundinnensuche / bis zum Verschließen des Auges vor der Wahrheit“, klagt die 1947 in Ljubljana geborene Maruša Krese, die, 1997 für ihr humanitäres Engagement im Bosnien-Krieg mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik ausgezeichnet, 2013 verstarb.Andererseits werden durch das themenbezogene Ordnungsprinzip auch Verwandtschaften zwischen unterschiedlichen Dichtern deutlich. Ein großer Wurf ist diese Anthologie, eine Möglichkeit, sich Land und Literatur lesend anzunähern.Unter den Autoren, die in der Anthologie vertreten sind, findet sich der besagte Srečko Kosovel. Geboren 1904, starb er im Jahr 1926 im Alter von 22 Jahren. Wenn von ihm die Rede ist, sprechen manche vom „slowenischen Rimbaud“. Kosovels Produktivität ist überwältigend, er hinterließ rund 1.400 Gedichte, 80 Prosatexte, Theaterstücke, Briefe, Notate und Essays. Bereits vor rund 20 Jahren erschien mit dem Band Mein Gedicht ist mein Gesicht. Erfindung einer orphischen Landschaft eine Auswahl des Kosovel-Kenners Ludwig Hartinger, der Kosovels Dichtung dem deutschsprachigen Lesepublikum näherbrachte.Nun ist in erweiterter Form neu aufgelegt worden. Der schön gestaltete Band zeigt, wie stark Kosovels Schreiben von der Erfahrung des Ersten Weltkriegs geprägt war. Der Karst um Tomaj war Aufmarschgebiet für die Isonzofront, deren zwölf Schlachten zu den verlustreichsten dieses Krieges gehörten. Die Eindrücke des Krieges schlagen regelrecht ein in diese Dichtung. Man kann in den folgenden Versen, in der Explosion, Zerrissenheit und Disharmonie einen Nachhall des Kriegs hören: „Mein Gedicht ist Explosion / wilde Zerrissenheit, Disharmonie. / Mein Gedicht will zu euch nicht / ihr aus Gottes Vorsehung, Marotte / tote Ästheten, / Museumsmotten / Mein Gedicht ist mein Gesicht.“ Man kann dieses Gedicht aber auch lesen als das Credo eines Dichters zur Unbedingtheit und Dringlichkeit der Poesie.Auch Tomaz Šalamuns Gedichte sind von extremer Expressivität. Man kann die Lyrik nicht nur durch die Anthologie, sondern auch mit dem in diesem Jahr erschienenen zweisprachigen Band Steine aus dem Himmel besser kennenlernen, die Matthias Göritz, Liza Linde und Monika Rinck zusammengestellt haben. Šalamun, geboren 1941 in Zagreb und verstorben 2014, hat die slowenische Dichtung grundlegend verändert, wirkte mit seinen Gedichten weltweit auch auf andere Dichter. Für eines seiner vermeintlich obrigkeitskritischen Gedichte saß er sogar eine Zeit lang im Gefängnis, wie es in der editorischen Nachbemerkung zum Band heißt.Šalamun, der leidenschaftliche Schwimmer, Buchhändler in Ljubljana und spätere Börsenmakler, war als Dichter extrem produktiv. Er nutzte in den insgesamt 53 Gedichtbänden, von denen20 in seinem letzten Lebensjahrzehnt nach einer Schaffenskrise zwischen 1991 und 1994 erschienen sind und aus denen in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde, alles als poetisches Material. Šalamun, der poetologische Erklärungen weitgehend scheute und dessen gemeinsam mit Aleš Šteger gestartetes Gesprächsbuch unvollendet blieb, berichtet über seine Gedichte, sie seien wie eine Epiphanie gewesen, ihm plötzlich zugefallen wie Steine aus dem Himmel. Gegen dieses paradoxe Bild, in dem die Verse zwar als etwas Göttliches, aus dem Himmel Gefallenes erscheinen, aber auch als Last oder Gefahr – aus dem Himmel fallende Steine könnten verletzen, ja töten –, stehen so zärtliche, in ihrer Nacktheit überwältigende Gedichte wie dieses, das aus lediglich einem Vers besteht: „Regen, Regen, Regen and love“.Zärtlichkeit und Rauheit, ein rebellischer Gestus, der Šalamun mit Pier Paolo Pasolini verbindet, dem in Steine aus dem Himmel ein Gedicht gewidmet ist, durchziehen diese Lyrik, setzen immer neu den Ton. „Genies sind widerwärtig, monoton, schrecklich und erinnern / mich an die Kiefer von Schildkröten“, dichtet Šalamun in Mamma merda. „Von zu viel Pracht fliegt der Mensch in die Luft“, heißt es in Küss die Augen des Friedens, und die von Wut geschüttelte Anrufung eines Gottes, dessen Anwesenheit bezweifelt wird, eine tiefe Lebenslust gegen Todessehnsucht glimmen wieder und wieder in diesen Gedichten auf. Das Volkslied zeigt die Widersprüchlichkeit, aus der Šalamuns Lyrik ihre Spannung bezieht: „Jeder wahre Dichter ist ein Scheusal. / Vernichtet Stimme und Menschen. / Gesang bildet eine Technik aus, die die Menschen vernichtet, damit die Würmer uns nicht fressen. Der Säufer verkauft seinen Mantel. / Der Dieb verkauft seine Mutter. / Nur der Dichter verkauft seine Seele, um / sie vom Körper zu trennen, den er liebt.“Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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