Nachdem ich zwischen 13 und 18 Jahren dagegen rebelliert habe, was meine Öko-Mutter mir so aufgetischt hat, gehe ich inzwischen bei vielem mit: öko-fair, regional, von mir aus auch vegan. Jetzt reicht’s dann aber. Auf einmal bekomme ich Einladungen zum „Detox-Brunch“ oder zum „Clean Eating“. Wie das schon klingt! Worte wie detox und clean habe ich bisher immer Leuten zugeordnet, die verzweifelt jünger aussehen wollen oder ein kleines Suchtproblem haben. Trotzdem war ich neugierig und habe unzählige Blogs gelesen. Beim Konzept Sauberes Essen, heißt es da, gehe es darum, den Körper durch Verzicht auf Fleisch, Käse, Kuhmilch, Zucker, Kaffee, Alkohol und Nikotin zu entgiften. Clean sei Essen nur, wenn es möglichst unbehandelt und frei von Zusatzstoffen sei. Ich wusste nicht, dass mein Körper vergiftet ist, weil ich morgens Kaffee trinke statt eines Bio-Smoothies.
In Berlin hat nun das erste Clean-Eating-Restaurant eröffnet, das Phänomen verbreitet sich aber auch deutschlandweit. Man wirbt mit dem Slogan „Die Natur ist unser Guru“. Alle Zutaten seien zu 100 Prozent vegan, bio-zertifiziert und glutenfrei. Im Universum von Menschen, die Ernährung wie eine Religion praktizieren, kommt das Gift nicht erst durch Junkfood oder Zusatzstoffe in den Körper, sondern wird durch sie lediglich noch verstärkt. Natürlich ist frisches Obst und Gemüse gesund und Junkfood nicht – die Erkenntnis ist nicht neu. Davon auszugehen, dass der Körper grundsätzlich vergiftet ist und durch entsprechendes Essen gereinigt werden muss, halte ich aber für problematisch.
Der Begriff Clean-Eating wurde in den 80er Jahren in den USA geprägt. In den vergangenen Jahren hat ihn Tosca Reno, Ernährungsberaterin und Witwe von Robert Kennedy, weltweit populär gemacht. Reno hat das Konzept in ihrem Bestseller The Eat-Clean Diet (2009) genau beschrieben. In Deutschland fand es dann Nachahmer, vor allem auf Blogs, die Anleitungen und Rezepte posten. Auf projekt-gesund-leben.de etwa steht: „Wenn du zu verarbeiteten Lebensmitteln greifst, solltest du die Zutatenliste immer lesen. Produkte mit mehr als fünf Inhaltsstoffen sind meist nicht clean.“ Inzwischen gibt es auch Eat-Clean-Personal-Trainer, eine Eat-Clean-Facebookseite und eine Community, die gern ihre Vorher-Nachher-Bilder veröffentlicht. Ein Clean-Eater bloggt, Triathlon würde gut zu dieser Ernährungsform passen. Gehen beim Triathlon nicht die Gelenke kaputt?
Eine Bekannte hat es mal mit Kaffeeentzug versucht und hatte drei Tage lang Kopfschmerzen. Ja, das ist Entgiftung. Doch führen wir uns nicht absichtlich Gift zu, rauchen oder trinken, weil wir das als Genuss empfinden und weil ein bisschen Selbstzerstörung nun mal zum Leben gehört? Außerdem kann der gesunde Mensch belastende Stoffe, die er über die Nahrung aufnimmt, ohne fremde Hilfe wieder ausscheiden. Unsere Organe entfernen oder neutralisieren Gifte innerhalb weniger Stunden – in härteren Fällen weniger Tage – von selbst. Ist die Funktion dieser Organe durch eine ernsthafte Erkrankung beeinträchtigt, hilft Rohkost auch nicht weiter.
Als sie ihre Ernährung auf vegan umstellte, litt eine Freundin an Vitamin-B-Mangel und wurde richtig krank. Eine krasser Fall, ich weiß. Veganer lassen solche Werte normalerweise regelmäßig testen, und ihr Körper funktioniert dann wunderbar. Aber dieser cleane Detox-Lebensstil, immer gesünder, fitter, selbstoptimierter, ist mir einfach zu verkrampft.
Kommentare 9
Ja, Essen muss halt heute nicht mehr nur satt machen und schmecken, es ist so vieles mehr... Ersatzreligion trifft es gut. Es gibt verschiedene Glaubensrichtungen, für jede gleich mehrere Gurus und wie in anderen Religionen auch, einen gewissen Anteil an Extremisten und Missionaren. Alles schön und gut, wenn nicht wieder eine Riesengeldmaschine betrieben würde und Esstörungen um sich griffen-Stichwort Orthorexie.
"Macht euch mal locker".... ich habe eher den Eindruck, das sich die Kommentatoren/Autoren , die über diverse Ernährungstrends berichten, mal lockern sollten ;0).... Meine Güte alles ist schlimm und schlimmer.... "Doch führen wir uns nicht absichtlich Gift zu, rauchen oder trinken, weil wir das als Genuss empfinden und weil ein bisschen Selbstzerstörung nun mal zum Leben gehört?" - wenn wir darum wissen - bitte sehr. Nun gibt es aber viel zu oft und auch im Artikel erwähnt "Nahrungsmittel" (mehrfach verarbeitet), deren Zusammensetzung die beinhalteten Gift nicht offensichtlich zeigen..... Da wäre eine einfache Reinigung schon einmal das weglassen solcher Produkte. :0)
Das es immer wieder Ausreißer unter den Trittbrettfahrern eines (Ernährungs)Trends gibt ist klar - das wird dann schnell zur Ideologie. Aber auch das geht wieder vorbei - wie jeder Trend. Das was bleibt, wenn etwas bleibt, ist dann Substanz mit der man/freu durchaus etwas anfangen kann ;0)
"Macht euch mal locker".... ich habe eher den Eindruck, das sich die Kommentatoren/Autoren , die über diverse Ernährungstrends berichten, mal lockern sollten ;0).... Meine Güte alles ist schlimm und schlimmer.... "Doch führen wir uns nicht absichtlich Gift zu, rauchen oder trinken, weil wir das als Genuss empfinden und weil ein bisschen Selbstzerstörung nun mal zum Leben gehört?" - wenn wir darum wissen - bitte sehr. Nun gibt es aber viel zu oft und auch im Artikel erwähnt "Nahrungsmittel" (mehrfach verarbeitet), deren Zusammensetzung die beinhalteten Gift nicht offensichtlich zeigen..... Da wäre eine einfache Reinigung schon einmal das weglassen solcher Produkte. :0)
Das es immer wieder Ausreißer unter den Trittbrettfahrern eines (Ernährungs)Trends gibt ist klar - das wird dann schnell zur Ideologie. Aber auch das geht wieder vorbei - wie jeder Trend. Das was bleibt, wenn etwas bleibt, ist dann Substanz mit der man/frau durchaus etwas anfangen kann ;0)
Detox – Botox. Klingt nicht nur ähnlich. Schmeckt wahrscheinlich auch so.
Alles für die Produktivitätssteigerung geben. Mampfen für den Mehrwert...der Mensch als optimierter Akku durch ausschliessliche Umsetzung elementarer Bestandteile kapitalistischer Arbeitsdisziplin.
Halte ich für eine ökonomistisch reduzierte Analyse ;-). Und denke eher, dass es in die Richtung protestantisch-pietistische Selbstauspeitschung geht sowie das krampfhafte Meiden von Genuss und Sinnesfreude. Die Verbissenheit sowie die dazugehörige Gewissheit, zu den auserwählten Guten zu gehören, ist – wie bereits Max Weber aufgezeigt hat – allerdings wohl beiden Varianten eigen.
Anders gesagt: Die Mittelschichten im Kapitalismus betreiben selbst die Nahrungsaufnahme nicht aus Hunger, sondern als Mittel der Sozialdistinktion.
Ihnen schmeckt das Essen wohl auch nicht mehr wie früher, weswegen motiviert werden muß. Mit kognitiv erzeugten Mehrwert-Nährstoffen seinem Sein mit mehr Sinn an zu reichern.
Pestizide und andere Pflanzenschutzmittel würde ich aber komplett verbieten
»Ihnen schmeckt das Essen wohl auch nicht mehr wie früher, …«
?????
Man mag clean, cleaner und noch cleaner essen, das Resultat ist immer Scheiße.