Macht euch mal locker

Essen Jetzt muss es auch noch „clean“ und „detox“ sein. Ein Plädoyer für die sanfte Vergiftung
Ausgabe 34/2015
Die grüne Hölle
Die grüne Hölle

Bild: Frederic J. Browm/AFGP/Getty

Nachdem ich zwischen 13 und 18 Jahren dagegen rebelliert habe, was meine Öko-Mutter mir so aufgetischt hat, gehe ich inzwischen bei vielem mit: öko-fair, regional, von mir aus auch vegan. Jetzt reicht’s dann aber. Auf einmal bekomme ich Einladungen zum „Detox-Brunch“ oder zum „Clean Eating“. Wie das schon klingt! Worte wie detox und clean habe ich bisher immer Leuten zugeordnet, die verzweifelt jünger aussehen wollen oder ein kleines Suchtproblem haben. Trotzdem war ich neugierig und habe unzählige Blogs gelesen. Beim Konzept Sauberes Essen, heißt es da, gehe es darum, den Körper durch Verzicht auf Fleisch, Käse, Kuhmilch, Zucker, Kaffee, Alkohol und Nikotin zu entgiften. Clean sei Essen nur, wenn es möglichst unbehandelt und frei von Zusatzstoffen sei. Ich wusste nicht, dass mein Körper vergiftet ist, weil ich morgens Kaffee trinke statt eines Bio-Smoothies.

In Berlin hat nun das erste Clean-Eating-Restaurant eröffnet, das Phänomen verbreitet sich aber auch deutschlandweit. Man wirbt mit dem Slogan „Die Natur ist unser Guru“. Alle Zutaten seien zu 100 Prozent vegan, bio-zertifiziert und glutenfrei. Im Universum von Menschen, die Ernährung wie eine Religion praktizieren, kommt das Gift nicht erst durch Junkfood oder Zusatzstoffe in den Körper, sondern wird durch sie lediglich noch verstärkt. Natürlich ist frisches Obst und Gemüse gesund und Junkfood nicht – die Erkenntnis ist nicht neu. Davon auszugehen, dass der Körper grundsätzlich vergiftet ist und durch entsprechendes Essen gereinigt werden muss, halte ich aber für problematisch.

Der Begriff Clean-Eating wurde in den 80er Jahren in den USA geprägt. In den vergangenen Jahren hat ihn Tosca Reno, Ernährungsberaterin und Witwe von Robert Kennedy, weltweit populär gemacht. Reno hat das Konzept in ihrem Bestseller The Eat-Clean Diet (2009) genau beschrieben. In Deutschland fand es dann Nachahmer, vor allem auf Blogs, die Anleitungen und Rezepte posten. Auf projekt-gesund-leben.de etwa steht: „Wenn du zu verarbeiteten Lebensmitteln greifst, solltest du die Zutatenliste immer lesen. Produkte mit mehr als fünf Inhaltsstoffen sind meist nicht clean.“ Inzwischen gibt es auch Eat-Clean-Personal-Trainer, eine Eat-Clean-Facebookseite und eine Community, die gern ihre Vorher-Nachher-Bilder veröffentlicht. Ein Clean-Eater bloggt, Triathlon würde gut zu dieser Ernährungsform passen. Gehen beim Triathlon nicht die Gelenke kaputt?

Eine Bekannte hat es mal mit Kaffeeentzug versucht und hatte drei Tage lang Kopfschmerzen. Ja, das ist Entgiftung. Doch führen wir uns nicht absichtlich Gift zu, rauchen oder trinken, weil wir das als Genuss empfinden und weil ein bisschen Selbstzerstörung nun mal zum Leben gehört? Außerdem kann der gesunde Mensch belastende Stoffe, die er über die Nahrung aufnimmt, ohne fremde Hilfe wieder ausscheiden. Unsere Organe entfernen oder neutralisieren Gifte innerhalb weniger Stunden – in härteren Fällen weniger Tage – von selbst. Ist die Funktion dieser Organe durch eine ernsthafte Erkrankung beeinträchtigt, hilft Rohkost auch nicht weiter.

Als sie ihre Ernährung auf vegan umstellte, litt eine Freundin an Vitamin-B-Mangel und wurde richtig krank. Eine krasser Fall, ich weiß. Veganer lassen solche Werte normalerweise regelmäßig testen, und ihr Körper funktioniert dann wunderbar. Aber dieser cleane Detox-Lebensstil, immer gesünder, fitter, selbstoptimierter, ist mir einfach zu verkrampft.

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Geschrieben von

Bebero Lehmann

Freie Journalistin

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