Die Debatte über ein AfD-Verbot beenden

Demokratie Die AfD inhaltlich zu stellen und ihre Gesinnung gesellschaftlich zu ächten ist schwierig aber erfolgversprechender als die Debatte über ein AfD-Verbot, die Demokratieskepsis fördert und Rechtsextremisten zu Märtyrern macht.

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Im Jahre 1967 hatte die rechtsextremistische NPD in sechs Landtagswahlen die Fünfprozenthürde überwunden. Mit Blick darauf sagte der Sozialdemokrat Herbert Wehner seinerzeit: „Das Verbot ist ein legitimes Mittel gegenüber der NPD und anderen Erscheinungen, die an die NSDAP anknüpfen. Hier geht es nicht darum, mit juristischer Akribie Beweise zu erbringen, sondern darum, die Wiederholung des schrecklichen Unglücks zu verhindern, das die NSDAP bedeutet hat. Wer argumentiert, daß diese Leute ja schon in Landtagen sitzen und deshalb akzeptiert werden müssen, der hat – ob bewusst oder unbewusst – im Grunde schon kapituliert.“

Wehner machte damit auf den kapitalen Fehlschluss aufmerksam, dass ein Parteiverbot ein Gesinnungsverbot sei. Es ist die ultima ratio, des Schutzes der Demokratie vor der Zersetzung von innen. Dies hat freilich auch Friedrich Merz nicht verstanden, wenn er im Interview mit dem Münchner Merkur in Richtung der SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken, die für ein AfD-Verbot plädiert, den Vorwurf erhebt, die SPD würde erst die AfD und dann die CDU verbieten wollen: „Will Frau Esken dann auch noch die Union verbieten, wenn wir auf die Probleme hinweisen, die der SPD nicht so angenehm sind?“.

Dennoch ist nicht alles, was rechtlich möglich und geboten ist, auch politisch ratsam. Keiner der dazu befugten potenziellen Antragsteller:innen wird in nächster Zeit ein AfD-Verbotsverfahren einleiten. Auch in Kenntnis der vom Deutschen Institut für Menschenrechte (DIMR) im Juni 2023 veröffentlichten Analyse „Warum die AfD verboten werden könnte“, ziehen sie die politische Auseinandersetzung mit der AfD einem förmlichen Parteiverbotsverfahren vor. Eingeschlossen die Gefahr, dass den Folgen einer radikalen, verfassungsfeindlich agierenden Partei letztlich nicht mehr wirksam begegnet werden kann.

Dies gilt wohl auch für die viral gehende Petition, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen, wie Max Kolter auf Legal Tribune Online feststellt. „Stoppen Sie den Faschisten Björn Höcke: Veranlassen Sie, dass die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 Grundgesetz stellt“ fordert die von Indra Ghosh vor zwei Monaten auf der Plattform des Kampagnen-Netzwerks Campact veröffentlichte Petition an die Fraktionsspitzen aller Bundestagsparteien - außer der AfD.

Die Möglichkeit, Extremisten die Grundrechte zu entziehen, ist im Grundgesetz vorgesehen. Voraussetzung ist laut Artikel 18, dass die Grundrechte „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht“ werden. Über die Grundrechtsverwirkung kann ausschließlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Entzogen können insbesondere die politisch relevanten Grundrechte, also Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, aber auch das Eigentumsrecht. Im Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist zudem vorgesehen, dass auch das Wahlrecht und die Befugnis, öffentliche Ämter auszuüben, entzogen werden können.

Nicht zuletzt darauf zielt die Petition im Vorfeld der Thüringer Landtagswahl, über die jedoch in keinem Fall vor der Landtagswahl am 1. September 2024 entschieden werden würde. Die bisherigen Anträge wurden erst nach einer Dauer von vier bis acht Jahren entschieden. Wie beim Parteiverbot können einen Antrag auf Entziehung der Grundrechte lediglich Bundestag, Bundesregierung oder eine Landesregierung stellen.

Bisher gab es in Deutschland vier Anträge auf Entziehung der Grundrechte. Betroffen waren ausschließlich Rechtsextremisten: Otto-Ernst Remer (Vizevorsitzender der verbotenen Sozialistischen Reichspartei), Gerhard Frey (Chef der rechtsextremen Deutschen Volksunion und Verleger der „Nationalzeitung“) sowie die Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz. Alle vier Anträge wurden vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Die letzte Ablehnung im Falle von Dienel und Reisz erfolgte 1996 sogar ohne Begründung.

Max Kolter kommt deshalb zu dem Schluss: „Insofern ist das Verwirkungsverfahren eine personenbezogene Alternative zum Parteiverbot. Strategisch sprechen damit auch ähnliche Argumente dafür wie dagegen.“

„Lähmt sich die wehrhafte Demokratie aus Angst vor dem Selbstwiderspruch, wird das Damoklesschwert Parteiverbot zur Legitimationsquelle für Antidemokrat:innen“, wie Lorenz Wielenga auf dem Verfassungsblock zur aktuellen AfD-Verbotsdebatte festhält. Und gleichzeitig gesteht er zu: „Ein Parteiverbot befeuert das Opfernarrativ der AfD, ein scheiterndes Verfahren ist der Harmlos-Stempel. Beides kann den demokratischen Parteien als Ausdruck politischer Ohnmacht ausgelegt werden. Ein Verbotsverfahren gegen die – nach aktuellen Umfragen – stärkste Partei im Bundesland ist realpolitisch explosiv. Trotzreaktionen, Märtyrertum und eine weitere Abkehr vom Rechtsstaat seitens der Wählerschaft sind erwartbar, die politische Sprengkraft ist unabsehbar.“

Dem widerspricht Kristin Pietrzyk, die als Rechtsanwältig Betroffene von rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten vertritt. In einem Beitrag für das von Heike Kleffner und Matthias Meissner im Herder-Verlag erschienene Buch "Staatsgewalt - wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern" weist sie darauf hin, dass die Debatte über ein Pro und Contra zum AfD-Verbot "wirkmächtig von mehrheitlich weißen deutschen Männern geführt [wird], jener Personengruppe, die zum einen nicht per se zum Feindbild der AfD gehört und zum anderen nicht aufgrund von Hautfarbe, Religion, Herkunft, Beeinträchtigung, sexueller Orientierung, Geschlechtsdefinition oder anderer Diskriminierungsmerkmale niemals die Möglichkeit haben würden, sich in einer Gesellschaft, wie sie von der AfD angestrebt wird, anpassen zu können". Diesem Einwand ist nicht zu widersprechen. Im Gegenteil muss diese Perspektive stärker gemacht werden. Nicht zuletzt weil in der von der AfD angestrebten Gesellschaft auch Antifaschist:innen, (links-)liberale Intellektuelle, Demokrat:innen jeder Art nicht die Möglichkeit erhalten würden, sich anpassen zu können, wie ein Blick nach Ungarn oder Russland zeigt.

Kristin Pietrzyk argumentiert alsdann, dass wenn sich die wehrhafte Demokratie ernst nehmen will, sie jetzt ein Parteiverbot anstreben muss. "Nicht weil man damit rechte Positionen bekämpfen kann, sondern weil die unveräußerlichen Grundrechte aller Menschen, die nicht ins Weltbild der AfD passen, sonst auf dem Spiel stehen".

Mit Blick auf diese Auffassung stellten Claus Leggewie und Horst Meier vor acht Jahren in einem Essay zum seinerzeit angestrebten und erfolglosen NPD-Parteiverbot, zu dessen Pro und Contra beide Essayisten bei Suhrkamp einen bis heute lesenswerten Sammelband „Verbot der NPD oder mit Nationaldemokraten leben?“ publizierten, die Fragen: „Wie weit darf Opposition gehen? Steht legale Politik unter dem Vorbehalt der Verfassungstreue? Was macht Parteipolitik zu einer Gefahr für die demokratische Grundordnung? Genügen anstößige Ziele? Oder müssen Rechtsbruch und politisch motivierte Gewalt hinzukommen oder wenigstens nennenswerte Wahlergebnisse erzielt werden? Oder kommt es auf all das nicht an, weil, so das Mantra des Verbotsantrags, gar keine Gefahr vorliegen muss?“ und antworten darauf wie folgt:

„Die wichtigste Aufgabe einer restriktiven Interpretation besteht darin, die zweite, bislang ausgeblendete Verbotsalternative einzubeziehen: das illegale, gewalttätige Verhalten der Parteianhänger, das heißt die Form von Politik. Nur so gelangt man von einem gesinnungs- zu einem verhaltensbezogenen Eingriff; nur so kann man bloß abstrakte von sich konkretisierenden Gefahren unterscheiden. […] Es genügt nicht, einer Partei ihre verwerflichen verfassungswidrigen Ziele vorzuwerfen. Hinzukommen muss, wenigstens in Ansätzen, ein kriminelles Verhalten ihrer Anhänger. Aber selbst wenn man keine Straftaten fordert und sonstige Bedrohungen Andersdenkender und Fremder genügen lässt: Eine spezifische Gefahrenlage, real und imminent, ist die zentrale Achse jedes rechtsstaatlichen Parteiverbots.“

Angesichts der anhaltenden Radikalisierungsspirale der Partei, einzelner Gliederungen und ihrer Vorfeldorganisationen gibt es Instrumente der Abwehr einer aktiv-kämpferischen und aggressiven verfassungsfeindlichen Haltung, auf die u.a. das DIMR hinweist und die konsequent anzuwenden sind im Bereich der Bildung, des Waffenrechts, der parlamentarisch-politischen Abgrenzung und der Finanzierung politischer Stiftungen und Jugendverbände.

Die AfD und insbesondere ihre Politik zu ächten, statt sie zu verbieten heißt deshalb das Gebot der Stunde. Dem widerspricht Kristin Pietrzyk erneut energisch mit dem Argument, dies würde darauf abzielen, Menschen wieder einzuhegen, die gefestigt rechtsextreme Positionen vertreten und wählen sowie rechten Positionen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und in die eigene Politik einzubauen. In der Kritik an der Forderung "Ächten statt Verbieten" wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass die Ächtungsstrategie bisher von keinerlei Erfolg geprägt gewesen sei. Dem ist zuzustimmen. Doch nicht weil die Strategie falsch ist, sondern weil sie nicht konsequent verfolgt wurde.

Dabei gibt es Beispiele, wie es geht. Der Generalsekretär des Bauernverbandes stellte beispielsweise die AfD inhaltlich klipp und klar: "Mit der Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union hat sich die AfD 'agrarpolitisch disqualifiziert'". Der Bauernverband machte während der laufenden Bauernproteste klar, dass AfD und Rechtsextreme keine Partner für die vom DBV vertretene Bauernschaft sind.

Die Partei in einem solchen Sinne inhaltlich zu stellen, Unvereinbarkeiten festzustellen, wie dies Kristin Pietrzyk in ihrem Beitrag am Beispiel des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zur AfD selbst zeigt, ist notwendig. Dies wird diejenigen Wähler:innen, die die Partei aus Überzeugung oder aus Ablehnung aller anderen Parteien wählen wollen nicht davon abhalten. Aber diejenigen, die rationalen Argumenten gegenüber aufgeschlossen sind. Diese gibt es und sie sind nicht gering an der Zahl.

Ebenso notwendig ist jedoch eine Abkehr von einer politischen Debatte seitens Mitte-Rechts, die pathologisch auf die AfD und ihre Themen fokussiert. Und damit übrigens jedes konsequente Stellen der AfD durch machttaktische Integration - die Thüringer CDU und AfD sind ein Beispiel dafür - verhindert. Dies bedeutet nicht, sich beispielsweise in der Migrationspolitik den tatsächlich bestehenden Schwierigkeiten der Integration, der Unterbringung und Beschulung zu verweigern. Im Gegenteil, die offensichtlichen Probleme sind zu lösen. Doch ist eben auch klar, dass an jahrzehntelang defizitärem sozialen Wohnungsbau die Geflüchteten ebenso wenig schuld sind, wie an Lehrer:innenmangel aufgrund Sparmaßnahmen, die in den frühen 2010er Jahren verordnet wurden bzw. fehlenden öffentlichen Investitionen infolge einer zur Glaubensfrage erhobenen Schuldenbremse, die eine Modernisierungs- und Investitionsbremse ist.

Notwendig ist in diesem Sinne ein Politikwechsel. Der ist gegenwärtig von dieser Ampelkoalition nicht zu erwarten. Sie ist als Fortschrittskoalition angetreten und treibt mit ihrer handwerklich schlechten und im Übrigen unsozialen Kürzungspolitik der AfD die von allen Parteien verdrossenen Wähler:innen in Scharen in die Arme.

Die Union unter der Führung von Friedrich Merz ist dazu sicherlich keine Alternative, wie Dieter Schnaas in der WirtschaftsWoche - der linken Sympathie sicherlich unverdächtig - klarstellt: "Wer die Grünen zum 'Hauptgegner in der Regierung' erklärt und eine 'AfD mit Substanz' anführen will, kann vielleicht eine längst havarierte Regierung ins Abseits driften lassen und das Volk ein wenig aufrühren, womöglich sich und der AfD noch ein paar Wutwähler mehr zuführen. [...] Was Deutschland noch weniger gebrauchen kann als eine stümpernde Ampelregierung unter Olaf Scholz, ist eine Kanzlerschaft von Friedrich Merz. Es ist der perfekte Ausdruck von politischer Selbstanspruchslosigkeit, dass sich Merz und mit ihm weite Teile der Unionsparteien (und der FDP) permanent hinter ihren wirtschaftspolitischen Formeln des 20. Jahrhunderts (Ordnungspolitik, Rahmensetzung, Technologieoffenheit) verstecken, um den Deutschen keine politische Alternative für die großen Themen der Zeit anzubieten. [...] Trotzdem heizt die Merz-Union die Stimmung gegen alles vermeintlich Linksgrüne kulturkämpferisch auf, weil sie zurück an die Macht will, hebt immer neue Gräben zwischen Volksgruppen und Lebensstilen aus, schürt eingebildete Stadt-Land-Konflikte und begünstigt damit den Aufstieg des Rechtspopulismus – zum Schaden des Landes."

Schaut man also darauf und auf die Forderung von Alan Posener in DIE WELT, in Tateinheit mit Vertretern der Südthüringer CDU, auf Länderebene Koalitionen von CDU und AfD zu schmieden, mit dem bereits von von Papen erfolglosen Versuch der „Entzauberung“ der Rechtsextremisten, erscheint die Ächtung der AfD nicht weniger schwierig und dennoch, würde man damit ernst machen, gleichwohl erfolgversprechender als ein AfD-Verbotsverfahren.

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Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

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