Potenzielles Weltkultur- und Naturerbe Grünes Band

UNESCO Der ehemalige Todesstreifen entlang der innerdeutschen Grenze steht nun auf der deutschen Vorschlagsliste (Tentativliste) für das UNESCO-Welterbe. Für Deutschland wäre ein gemischtes Weltnatur- und -kulturerbe ein Novum.

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Wo einst Mauern und Stacheldraht Menschen trennten, wo Minen und Wachtürme eine tödliche Grenze pflasterten, zieht sich eine Generation später entlang des ehemaligen Kolonnenweges ein grünes Band durch Europa. Aus der Vogelperspektive ist der ehemalige Eiserne Vorhang ein Streifen aus Wiesen und Wald, Feldern und Heidelandschaften, Feuchtgebiete und Seen. Immer noch erkennbar: Der schmale Streifen, auf dem einst Soldaten patrouillierten und durchgängig von der Barentssee zum Schwarzen Meer auf über 12.500 Kilometern politische Gegensätze unversöhnlich aufeinanderprallten.

Wer das „Grüne Band“ erkundet, ob zu Fuß oder mit dem Rad, sichtet früher oder später Reste ehemaliger Grenzbefestigungsanlagen und Kreuze, die die Erinnerung an vergebliche Fluchtversuche und Unmenschlichkeit wachhalten. Ein Staat sperrte seine Menschen ein. Das wird in Thüringen nirgends anschaulicher als in den Ausstellungen und im Rahmen der Aufarbeitungsarbeit der Grenzlandmuseen und Gedenkstätten wie Point Alpha, Schifflersgrund, Mödlareuth oder Teistungen. Sie stehen stellvertretend für die Geschichte eines geteilten Europas und gleichzeitig für die europäische Friedensidee.

Das Grüne Band ist nicht nur hier ein Symbol für ein gemeinsames Europa, das Grenzen überwinden kann, sondern weiter Mahnmal für die jahrzehntelange Teilung. Und damit prädestiniert als UNESCO-Weltkulturerbe, wie die Thüringer rot-rot-grüne Landesregierung bereits vor Jahren auf Initiative der seinerzeitigen grünen Umweltministerin Anja Siegesmund erkannte. Mit einer Länge von 763 Kilometern hat Thüringen den mit Abstand größten Anteil am Grünen Band Deutschland (rd. 1 400 km).

Das Bundesnaturschutzgesetz ermöglicht seit 2009, „Nationale Naturmonumente“ als Schutzgebietskategorie auszuweisen und mit einem besonderen Qualitätszeichen zu versehen. „Nationale Naturmonumente“ müssen aus den bestehenden Schutzkategorien herausragen. Neben der Natur spielt hier die Landeskultur eine besondere Rolle. Die Ausweisung eines Nationalen Naturmonuments ist Ländersache. Davon machte die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen Gebrauch und erhob das Grüne Band im Jahr 2018 zum Nationalen Naturmonument.

Ausschlaggebend hierfür war zum einen die immense Naturvielfalt. Im Schatten der Grenzanlagen und Wachtürme konnten sich über 1.000 bedrohte Arten ansiedeln, darunter Schwarzstörche und Blaukehlchen, Gelbbauchunken und Wiesenknopf-Ameisenbläulinge. Auf seine Gesamtlänge betrachtet, verbindet dieser ökologische Korridor sogar Klima- und Vegetationszonen miteinander, und zwar als lebendige Erinnerungslandschaft. Der ehemalige Todesstreifen ist zur Lebenslinie geworden. Diese Biotope und wertvollen Lebensräume zu bewahren, sie wie an einer Kette Perle für Perle zu erhalten, ist uns eine Motivation für das Nationale Naturmonument gewesen, das nun touristisch erschlossen und damit für jene, die Geschichte erfahren und Natur erleben wollen, in Wert gesetzt wird.

Die Stiftung Euronatur, der BUND, die Stiftung Naturschutz in Thüringen und viele lokale Beteiligte stemmen seither diesen Kraftakt: Verbindung schaffen und das Naturerbe sichern, bevor es zu spät ist. Je mehr Zeit vergeht, je unkenntlicher werden die Erinnerungen an den Herbst 1989, die mutigen Kräfte, die sich Freiheit erstritten, und der gemeinsame Wille zum Bewahren der Lebenslinie.

Mehr als 30 Jahre nach der friedlichen Revolution, sieht man diesseits und jenseits des ehemaligen Grenzstreifens zwar weiter die unterschiedlichen Kulturlandschaften. Steht man beispielsweise auf der Eisenacher Wartburg, die übrigens gemeinsam mit dem Nationalpark Hainich UNESCO-Welterbe ist, sieht man auf der östlichen Seite große Felder, ausgeräumte Naturlandschaften – ein Erbe der Kollektivierung der Landwirtschaft. Auf der anderen Seite zeigen sich vergleichsweise kleine, bäuerlich anmutende Schläge, mehr Landschaftselemente zwischen den Feldern und Flächen.

Kulturelle Erinnerungslandschaft bedeutet aber mehr, als den Blick zurückwerfen und Orte, die zu einer Erinnerungslandschaft verschmelzen, zu kategorisieren. Die vielfältigen Geschichten dieser Landschaft fordern geradewegs dazu auf, sich auseinanderzusetzen, nachzudenken, Anknüpfungspunkte über Heimat damals und heute zu finden. Hier sind das kulturelle Gedächtnis der Menschen und der Landschaft, die Brutalität und die Widersprüche des Grenzregimes eingewebt. Hier finden sich Spuren der individuellen und kollektiven Erinnerungen, an willkürliche Trennungen und geschleifte Dörfer ebenso, wie an über Nacht geteilte Dörfer wie Mödlareuth. Noch heute können hier Zeitzeugen berichten, wie ihr Schulweg damals von heute auf morgen gekappt und Familien zerrissen wurden. Und gleichzeitig finden sich heute dies- und jenseits der ehemaligen Schlagbäume Möglichkeiten einer gesamtdeutschen Erinnerung. Als ein gesamtdeutscher kultureller Erinnerungsort mit seinen ganz unterschiedlichen und verbindenden Geschichten sprach daher vieles für das Grüne Band als Weltkulturerbe.

Die Bedeutung des Grünen Bandes als UNESCO-Weltkulturerbe setzt einen Perspektivwechsel voraus. Die kulturelle Erinnerungslandschaft hat das Potenzial, als lebendige Erinnerungslandschaft für grenzüberschreitenden Austausch und Regionalentwicklung, für einen Impuls aus der Mitte der Gesellschaft das kulturelle und natürliche Erbe inmitten von Europa gemeinsam zu bewahren und zu entwickeln. Es hat damit im besten Sinne der UNESCO durch seinen außergewöhnlichen und universellen Wert das Potenzial als ein Friedensprojekt mitten in Europa.

Die UNESCO setzt sich auf vielfältige Weise für den Erhalt von Kulturgütern mit besonderer Bedeutung für die Menschheit ein. Am bekanntesten ist das 1972 verabschiedete „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“. Dieses bildet die Grundlage für die Welterbeliste, die herausragende kulturelle und natürliche Denkmäler verzeichnet. In Deutschland gibt es momentan 52 Welterbestätten. Davon liegen fünf in Thüringen. Neben Erfurts jüdisch-mittelalterlichem Erbe gehören dazu die Wartburg in Eisenach, das Bauhaus und das Klassische Weimar sowie der Hainich als Weltnaturerbe.

Die Auswahl von Welterbestätten gliedert sich in ein mehrstufiges Verfahren. Zunächst müssen sich interessierte Stätten auf nationaler Ebene um die Aufnahme in die Tentativliste für das UNESCO-Welterbe bewerben. Ein Platz auf dieser Anmeldeliste ist die Voraussetzung dafür, einen Antrag für die Welterbeliste einzureichen. Jedes Bundesland hatte bereits 2021 die Gelegenheit, zwei Anträge einzureichen; insgesamt 21 aus 13 Ländern waren zur Begutachtung vorgelegt worden.

Die Initiative für das UNESCO-Welterbe hatte Thüringen 2020 mit einem erfolgreichen Beschlussvorschlag für die Umweltministerkonferenz gestartet. Anschließend wurde unter Federführung Thüringens zusammen mit den Anrainerbundesländern am Grünen Band ein Bewerbungsdokument erarbeitet. Hierzu wurden umfangreiche Fachdaten zusammengetragen, die den naturschutzfachlichen Wert der Stätte belegen. Der Arten- und Biotopreichtum des Grünen Bandes Deutschland entspricht dem von der UNESCO geforderten einzigartigen und außerordentlichen Wert.

Entscheidende Faktoren für eine positive Bewertung durch den Fachbeirat waren neben dem Potenzial zur außergewöhnlichen weltweiten Bedeutung (OUV) die Berücksichtigung der „Globalen Strategie für eine repräsentative, ausgewogene und glaubwürdige Welterbeliste“. Nach fünf gemeinsamen Sitzungen und 21 mehrtägigen Ortsbegehungen in 2022 legte der Fachbeirat seinen umfassenden Bericht mit den Auswahlempfehlungen 2023 vor, auf dessen Grundlage nunmehr entschieden wurde.

Die Weiterentwicklung des Antrags zu einer gemischten Stätte (Natur- und Kulturerbe) soll in den kommenden Jahren vor der Einreichung bei der UNESCO unter Einbeziehung geeigneter fachlicher Expertise geprüft werden. Es bleibt noch viel zu tun. Doch der nächste Schritt auf diesem für Deutschland bislang einzigartigen Weg wurde erfolgreich gegangen.

Der Beitrag beruht auf einem gemeinsam von Anja Siegesmund und mir publizierten Artikel, erschienen in Politik & Kultur 06/2020.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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