Thüringer Residenzenlandschaft auf dem Weg zum Kulturerbe

UNESCO Der Sprung auf die deutsche Tentativliste für das Welterbe ist der Thüringer Residenzenlandschaft im ersten Anlauf nicht gelungen. Zwei Publikationen widmen sich den Thüringer Residenzen und machen ihren Stellenwert deutlich.

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Schlösser, Burgen, Guts- und Herrenhäuser prägten und prägen bis heute Orts- oder Landschaftsbilder Thüringens und beeinflussen somit die lokale und regionale Identität. Sie sind nicht nur Teil unseres regionalen, sondern des europäischen baukulturellen Erbes. Sie stehen stets in engem Zusammenhang mit der Landes-, Territorial- oder Lokalgeschichte.

Bedingt durch die historische Zersplitterung Thüringens in zahlreiche Kleinstaaten bis 1920 entstand hier im Verlauf der Jahrhunderte in einem vergleichsweise sehr begrenzten Raum eine bemerkenswert hohe Zahl von Residenz- und Lustschlösser. Um 1700 existierten allein bis zu zehn ernestinische, zwei schwarzburgische und drei reußische Herrschaften. Im vorangegangenen Jahrhundert waren diese durch Erbteilungen in noch mehr Herrschaften untergliedert. Hinzu kamen auf dem Gebiet des heutigen Freistaates noch albertinische Herrschaften, die kurhessische Exklave Schmalkalden und kurmainzer Besitzungen.

In jeder Herrschaft gab es Residenzen mit mehr oder weniger repräsentativen Schlössern. Hinzu kamen diverse Jagd-, später Lustschlösser. Entsprechend der historisch gewachsenen Herrschafts- und Wirtschaftsstrukturen entstanden anstelle der großen, häufig befestigten Hofstellen auf den Lehensgütern des Landadels seit dem 16. Jahrhundert, vornehmlich jedoch im 18. Jahrhundert und sogar noch bis kurz nach 1900 stattliche Gutshäuser mit nicht selten baukünstlerisch bzw. kultur- und kunstgeschichtlich bemerkenswerter Ausprägung und Ausstattung.

Ab der Mitte des 18. ließen sich zudem reiche Bürger, zumal nach Erhebung in den Adelsstand, repräsentative Landsitze errichten (z. B. Schloss Molsdorf, Halbes Schloss Langenleuba) oder vorhandene Burgen umbauen (Schloss Crossen). Die Novemberrevolution beendete die Monarchien in Deutschland. Am 23. November 1918 dankte Fürst Günther Victor als letzter Monarch zunächst als Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt und zwei Tage später auch als Fürst von Schwarzburg-Sondershausen ab.

Die Vielfältigkeit dieses Residenzerbes den historisch interessierten Besucher:innen sowie baukulturell Interessierten zugänglich zu machen ist Anspruch des im Jahr 2023 im Thüringer Geschichtsverlag mit Sitz in Erfurt erschienen Buches »Residenzen in Thüringen«. Auf 291 Seiten gibt Lothar Groß einen Überblick über 145 Schlösser, Schlossanlagen, Burgen, Sommerpalais' in Thüringen sowie die in Coburg (vormals Sachsen-Coburg-Gotha, seit 1920 zu Bayern gehörend) befindlichen Objekte Schloß Coburg, die Ehrenburg, Veste Coburg sowie die Schlösser Callenberg und Rosenau.

Zu jedem dieser Baudenkmale werden die wichtigsten historischen Daten aufgeführt, verbunden mit Informationen zur Baugeschichte, der heutigen Nutzung und entsprechenden Bildern sowie Grundrissen. Zeitgemäß ist die Verknüpfung der Adressen mit den entsprechenden GPS-Daten. Ergänzt wird diese Darstellung durch eine neun Seiten umfassende Zusammenstellung von ehemaligen Objekten, die aus verschiedenen Gründen abgängig sind, also entweder abgebrochen wurden oder aufgrund von Schäden verloren gingen.

Der vorliegende Band ergänzt die bereits von Lothar Groß zunächst im Verlag Sternal Media erschienen drei Bände »Thüringer Burgen, Schlösser & Wehrbauten« deren Bände 4 und 5 ebenfalls vom Thüringer Geschichtsverlag produziert wurden. Die Bände eins und zwei widmeten sich Burgbauten, der dritte Band stellt Schlösser, die ihren Ursprung in einer Burg haben in den Mittelpunkt, während die letzten beiden Bände sich reinen Schlossbauten widmen.

Ohne ehrenamtliches Engagement würde die Denkmalpflege in Deutschland nicht in der heutigen Weise wirksam sein. Hierzu gehört das ehrenamtliche Engagement in unterschiedlichen Bereichen, ob als Kreisheimatpfleger:innen oder als ehrenamtlichen Bodendenkmalpflege:innen, die etwa tatkräftig auf Ausgrabungen und wertvolle archäologische Forschungsarbeit zur Landes- und Regionalgeschichte leisten. Lothar Groß ist einer dieser ehrenamtlich Engagierten. Zu DDR-Zeiten als promovierter Milchwirt vor und nach der Wende in der Agrarwirtschaft tätig, akkumulierte er nach dem Eintritt in den Ruhestand als Quereinsteiger durch persönliches Interesse motiviert über Jahre hinweg beachtliches fachliches Wissen und einen Erfahrungsschatz, der in seinen Publikationen einem größeren Publikum zugänglich gemacht wird. Solche Publikationen, die nicht auf Gewinn ausgelegt sind, in geeigneter Weise öffentlich gefördert zu wissen, ist ein Anspruch, den der Autor nachvollziehbar formuliert.

Kein Anachronismus sondern Kulturerbe

Im 2. Weltkrieg wurden in Thüringen vergleichsweise wenige Schlösser und Burgen zerstört. Darunter die Residenzschlösser in Gera, Hildburghausen und Schleiz. Die Zerstörung von Schloss Schwarzburg war nicht kriegsbedingt sondern erfolgte auf Anordnung der Nationalsozialisten, die das Schloss zum »Reichsgästehaus« Adolf Hitlers machen wollten. Vom Schloss sollte nur die Fassade des Hauptbaus erhalten bleiben. Die Eigentümerin des Schlosses, Fürstin Anna-Luise, wurde des Schlosses verwiesen. Für die massiven Abrissarbeiten kamen neben lokalen Unternehmen vor allem Zwangsarbeiter:innen zum Einsatz, die in einem Barackenlager unterhalb des Schlosses untergebracht wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Folge der Bodenreform 1945 insbesondere bei den Guts- und Herrenhäusern zu Kulturgutverlusten einerseits und einer geänderten meist sozialen, kulturellen oder / und Verwaltungsnutzung für etliche der enteigneten Schlösser, Guts- und Herrenhäuser. Die weiteren Abgänge der 1950er bis 1980er Jahren waren vorwiegend fortschreitendem Verfall mangels ausreichender Baupflege oder in den 1950er Jahren bspw. auch dem extensiven Uranabbau in Ostthüringen geschuldet.

Ab 1990 und mit den sich ändernden wirtschaftlichen, rechtlichen und verwaltungsrechtlichen Rahmenbedingungen wurden vielfach die nach 1945 gefundenen Funktionen für die Schlösser, Guts- und Herrenhäuser aufgegeben, soweit sie nicht hauptsächlich einer musealen Nutzung zugeführt waren.

In den meisten Fällen wurden die Eigentumsverhältnisse abschließend geklärt und häufig neue Eigentümer gesucht. Nicht alle Nachnutzungen und Privatisierungen verliefen zufriedenstellend. Das Beispiel Schloss Reinhardsbrunn zeigt in besonders krasser Weise, die Folgen der Instrumentalisierung eines Baudenkmals als Spekulationsobjekt und dessen bauliche Vernachlässigung. Dass es gerade eine rot-rot-grüne Landesregierung war, die mit dem Mittel der Enteignung – basierend auf unserer rechtsstaatlichen Ordnung - das zum Symbol gewordene Schloss Reinhardsbrunn in öffentlicher Verantwortung erhalten und wieder entwickelt wird, kann man als Ironie der Geschichte bezeichnen. Es ist zugleich eine Lerngeschichte über gelingenden Denkmalschutz.

In Thüringen wurden zwischen 1994 und 2017 wurden rund 227 Mio. EUR aus Mitteln des Landes, des Bundes und der Europäischen Union allein in die 31 Kulturdenkmäler investiert, die der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten zugeordnet sind. Da Residenzen aus Schlössern und Städten bestehen, umfasst dieses Kulturerbe sowohl Schlösser und Gärten als auch Verwaltungs- und Kulturbauten. Zu letzteren gehören in Thüringen insbesondere Museen und Theaterbauten ob in Meiningen, Altenburg, Weimar oder Eisenach. Anders als in Nordhausen, dessen 1917 entstandenes Theater eine bürgerliche Gründung der Stadtgesellschaft war.

Mit jeweils hälftiger Unterstützung des Bundes konnten in den vergangenen Jahren eine Reihe von Sonderinvestitionsprogrammen und Sanierungsvorhaben aufgelegt werden. Seit 2008 läuft das Sonderinvestitionsprogramm für die Klassik Stiftung Weimar, in dessen Rahmen insbesondere auch das Stadtschloss im Umfang von 100 Mio. EUR saniert wird. Das Deutsche Nationaltheater in Weimar wird mit 160 Mio. EUR grundhaft saniert, während in Altenburg das Lindenau-Museum im Umfang von rund 50 Mio. EUR umgebaut und erneuert wird. Ein ebenfalls dreistelliger Millionenbetrag fließt in die Sanierung des Schlosses Friedenstein in Gotha. Diese Sanierung ist Bestandteil des für Thüringen allein 200 Mio. EUR umfassenden Sonderinvestitionsprogramms (SIP I) für den Erhalt mitteldeutscher Schlösser und Gärten. Zählt man zu diesen Mitteln noch die Landesbaumaßnahmen an den historischen Theaterstätten zusammen, werden allein in diese Kulturdenkmäler mehr als eine halbe Milliarde EUR investiert.

Angesichts dessen ist die Frage berechtigt, ob ein solcher öffentlicher Mitteleinsatz mehr als 100 Jahre nach der Abdankung der Monarchien in Deutschland und Thüringen weiterhin erforderlich ist. Warum sollte eine republikanisch verfasste Demokratie sich in dieser Weise für die Repräsentations- und Funktionsgebäude einer untergegangenen Epoche engagieren? Der frühere Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Prof. Paulus erkannte darin keine anachronistische Fehlallokation öffentlicher Mittel. Aus seiner Sicht, der ich zustimme, sind für eine verfasste Demokratie »diese Schlösser in der Hand staatlicher Treuhänderschaft sogar zum sichtbaren Ausdruck der Souveränität des Staatsvolks geworden. Seit 1918 erstreckt sich diese Souveränität ausdrücklich auch auf das Kulturgut, das von Fürstenhand in Volkeshand überging. Heute sind die fürstlichen Schlösser zu regelrechten Präsentationsschlössern des Volkes geworden. Sie präsentieren dessen Geschichte und kulturelle Leistung. […] So besehen, bildet das Kulturgut der öffentlich präsentierten Schlösser und Gärten, Burgen und historischen Stätten einen regelrechten Spiegel des Landes, auch der Geschichte des Landes in seiner Gesamtheit und detailreichen Vielfalt.«

Auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe

Der Deutsche Bundestag knüpfte das Sonderinvestitionsprogramm (SIP I) und die Betriebskostenzuweisungen gemäß Haushaltsbeschluss an die Maßgabe, dass die Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt eine gemeinsame „(Kultur)Stiftung Mitteldeutsche Schlösser und Gärten“ gründen sollten. Diese Vorgabe des Bundestages widersprach dem ursprünglichen Wunsch der Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen. Da beide Länder über eigene Stiftungen verfügen – in Sachsen-Anhalt die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt (KST) und im Freistaat die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (STSG) – hatten sie gegenüber den Bundestagsabgeordneten alternative schlanke Finanzierungswege aufgezeigt. Entweder die Zurverfügungstellung der Investitionsmittel des Bundes für kulturelle Investitionen, an die STSG bzw. KST oder die Bildung einer schlanken Förderstiftung, die als gemeinsames Dach der beiden Länderstiftungen zur Umsetzung des SIP I und der daran anschließenden und notwendigen SIP II bis SIP… dienen könnte.

Nach ebenso intensiven wie kontroversen Verhandlungen gelangten der Bund und die Länder Sachsen-Anhalt sowie Thüringen zur Verständigung darüber, dass sowohl die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt als auch die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten über ein Sonderprogramm ingesamt 400 Millionen Euro für Investitionen in ihre Kulturschätze erhalten. Der Bund zahlt davon bis 2027 mit je 100 Mio. EUR die eine Hälfte, während die beiden mitteldeutschen Länder jeweils die gleiche Summe und andere Hälfte beisteuern.

In Thüringen wurden die ursprünglichen Bundespläne besonders kritisch betrachtet. Aus dieser Kritik und dem Bedürfnis, den besonderen Wert der Schlösser, Gärten und Burgen herauszustellen, entstand die Überlegung, die Thüringer Residenzenlandschaft als UNESCO-Welterbe vorzuschlagen. Mag diese Initiative zunächst einer gewissen Trotzreaktion gegenüber »goldenen Zügeln« des Bundes geschuldet sein, wurde sie in kürzester Zeit zu einem ernsthaften Vorhaben. Im September 2020 fand in Bad Liebenstein eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Welterbepotenzial der Thüringer Residenzen statt. Bereits einen Monat später wurde im Ergebnis eines Fach-Kolloquiums der Auftrag zur Antragserarbeitung an die Thüringer Stiftung Schlösser und Gärten erteilt.

Im Beitrag »Was bisher geschah« blicken Astrid Ackermann und Claudia Schönfeld, die im Team der STSG für die Erarbeitung des OUV-Antrags zur Thüringer Residenzenlandschaft verantwortlich sind, im Band 16 der Berichte der STSG »Die Thüringische Residenzenlandschaft auf dem Wege zum UNESCO-Welterbe. Der erste Schritt zur deutschen Kandidatenliste« auf den bisherigen Prozess des Welterbeantrags.

Der von der STSG herausgegebene Band, der im Regensburger Verlag Schnell & Steiner erschien, macht in 12 Beiträgen auf 176 Seiten die Ernsthaftigkeit des Anliegens als auch die Bedeutung der Thüringer Residenzenschaft deutlich.

Die beiden genannten Autorinnen Ackermann und Schönfeld dokumentieren neben dem Rückblick den Thüringer Welterbeantrag und den Abstract zur »Thüringischen Residenzenlandschaft. Hintergrund und Vergleiche«. Hier sind insbesondere die Ausführungen von Interesse, in denen das Residenzerbe ins Verhältnis zu vergleichbaren Stätten auf der Welterbeliste gesetzt und vor diesem Hintergrund die Frage diskutiert wird, inwieweit die Thüringische Residenzenlandschaft eine Lücke auf der Welterbeliste schließt. Warum der in der Sache lesenswerte und attraktiv bebildete Beitrag von Claudia Schönfeld »Residenzen im Austausch - die Thüringische Residenzenlandschaft auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe« nicht unmittelbar an das Abstract anschließt, erschließt sich dem Leser des Bandes nicht. Hier wäre durch Zusammenführung ein inhaltlicher Mehrwert erreicht worden.

Heiko Laß diskutiert in seinem Beitrag, dass Residenzen nicht allein aus den jeweiligen Schlössern bestanden, sondern administrative und kulturelle Zentren der jeweiligen Länder bzw. Staaten waren, die sich über die Zeitläufte der Jahrhunderte naturgemäß im Hinblick auf Funktionen, Nutzungsanforderungen sowie entsprechende Bauten wandelten. Sie umfassen deshalb sowohl Schlösser als eben auch Kultureinrichtungen sowie Funktions- und Verwaltungsgebäude aber eben auch z.B. die Universität in Jena. Die Gesamtheit dieser Objekte prägt die Residenzlandschaften. In seinem Fazit formuliert er: »In der Residenzenlandschaft Thüringen haben sich Residenzen von hervorragender Qualität erhalten. Sie verdeutlichen in einzigartiger Weise den Wandelt von feudalen Landtagen hin zu demokratisch legitimierten Parlamenten. Der Weg von Untertanen über die Teilhabe an der Macht bis hin zur Selbstbestimmung kann hier erlebt werden.« Dies schließt nahtlos an die von Prof. Paulus vertretene Auffassung der auch heutigen republikanischen Verpflichtung zum Erhalt dieses Kulturerbes an.

Vier weitere Beiträge widmen sich einzelnen Residenzen und Herrschaften: »Landschaft mit Residenzen oder Residenz mit Landschaft? Überlegungen zur Raumwirksamkeit fürstlicher Herrschaftsrepräsentation am Beispiel Coburg« (Thomas Büttner/Thomas Gunzelmann); »Ein frankophiler Fürst an der Elster - Moden und Modernität im Gefolge der Kavalierstour Heinrich XI. Reuß ältere Linie« (Ulf Häder); »Graf, Bauherr und Fürst - Heinrich XI. Reuß ältere Linie (1722-1800) zum 300. Geburtstag« (Rainer Koch); »Großherzog Wilhelm Ernst zwischen neuer Sachlichkeit und dynastischer Verpflichtung - Der Bau des Südflügels am Weimarer Residenzschloss als symbolischer Neuanfang am Ende der Monarchie« (Christian Pönitz).

Setzen diese vorstehend genannten Beiträge das durchaus spezialisierte Interesse der Lesenden dieses Bandes voraus, sind die drei übrigen Beiträge des Buches weniger voraussetzungsvoll. Während Marie-Theres Albert einen Blick auf »50 Jahre Welterbekonvention - Zur Popularisierung eines Schutzkonzepts von Kultur- und Naturgütern« wirft, stellt Alexander Wiesneth anhand der Königsschlösser Ludwig II. die Idee vom UNESCO-Welterbe dar. Astrid Ackermann widmet sich im letzten, mit zehn bebilderten Seiten, recht kurzen Beitrag »Die erhaltenen Residenzen - Zur Rolle der Schlösser in der DDR« weniger den Nutzungen der Schlossbauten als vielmehr der geschichtspolitischen Deutung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, der Instrumentalisierung der Schlösser für staatliche Repräsentation als auch dem Stellenwert im staatssozialistischen Kulturtourismus der DDR. Es wäre wünschenswert, würde diesem Themenfeld in den weiteren Forschungen ein größerer Stellenwert eingeräumt.

Deutlich macht der Sammelband sowohl die Ernsthaftigkeit und Vielfalt der mit dem Welterbeantrag verbundenen Forschungsfragen. Und die Schwierigkeiten, die ein solches Vorhaben angesichts der gegenwärtigen Schieflagen im Welterbe hat. Denn seit über 30 Jahren ist es ein großes Anliegen des Welterbekomitees, die Welterbeliste repräsentativer zu machen. Bereits im Jahr 1994 wurde festgestellt, dass sie in dem Hinblick auf die geographische Verteilung und die Art der eingetragenen Güter nicht ausgewogen ist. Es gibt ein Missverhältnis zugunsten Europas und zu Lasten anderer Weltregionen in Bezug auf das Verständnis von Kulturgut sowie die geographisch unausgewogene Repräsentation von Stätten auf der Welterbeliste. Überrepräsentiert sind nach wie vor Europa, historische Altstädte, religiöse Denkmale, das Christentum, historische Epochen und Herrschaftsarchitektur wie etwa Schlösser, von denen aktuell 192 auf der Welterbeliste stehen.

Vor diesem Hintergrund gelang es in der diesjährigen Auswahlrunde für die deutschen Welterbevorschläge nicht, die Thüringer Residenzkultur auf die deutsche Anmeldeliste für die UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt (Tentativliste) zu setzen. Gleichwohl spricht viel dafür, den Antrag weiterzuverfolgen und in überarbeiteter Form in der nächsten Kandidatenrunde erneut einzubringen. Denn eine Bewerbung um einen Welterbetitel ist ein Marathon, kein Sprint. Davon kann Erfurt ein Lied singen. Nach mehr als einer Dekade Vorbereitung erhielt die Thüringer Landeshauptstadt im laufenden Jahr den Welterbetitel für das Jüdische mittelalterliche Erbe.

Im zurückliegenden Erarbeitungsprozess des Residenzantrages ergaben sich zahlreiche Forschungsfragen, die weiterverfolgt werden können. Parallel wollen wir aber auch die Bewerbung um das Europäische Kultursiegel prüfen. Mit dem Kulturerbe-Siegel ausgezeichnete europäische Kulturerbestätten sind Meilensteine auf dem Weg zur Schaffung des heutigen Europa. Sie würdigen und symbolisieren nicht nur die Geschichte und Integration Europas, sondern auch die europäischen Ideale und Werte. Das Europäische Kultursiegel ist deshalb weder Trostpreis noch die zweite Wahl. Sondern ein paralleler Weg, zum weiterhin angestrebten Welterbe. Würde dieser Weg durch weitere Publikationen wie die in diesem Beitrag vorgestellten zwei Bücher bereichert, wäre dies bereits ein Gewinn.

Lothar Groß, Residenzen in Thüringen, Thüringer Geschichtsverlag, Erfurt 2023 (ISBN: 978-3-7578-8391-1)

Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten (Hrsg.), Die Thüringische Residenzenlandschaft auf dem Wege zum UNESCO-Welterbe. Der erste Schritt zur deutschen Kandidatenliste, Berichte der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Band 16, Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2023 (ISBN: 978-3-7954-3854-8)

Der Autor ist seit Januar 2023 Präsident des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK).
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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