Die Gründe für den Erfolg rechter Populisten

Gefahr von rechts. Nicht Propaganda, sondern die veränderte wirtschaftliche Lage veranlasst Globalisierungsverlierer, rechte Populisten zu wählen. Grundwerte werden dabei aufgegeben.

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Dass Rechtspopulisten in Ungarn und Polen an die Macht gelangen konnten, wurde nationalen Besonderheiten und propagandistischem Geschick zugeschrieben. Als der Populismus dann aber in den „Wiegen der westlichen Demokratie“ Großbritannien und USA erfolgreich war, gerieten Verteidiger abendländischer Werte in Schockstarre. Das Ergebnis der französischen Präsidentschaftswahlen wurde daraufhin in den EU-Hauptstädten mit Erleichterung aufgenommen. Gemeinhin wurde verdrängt, dass Marine Le Pen ihren Stimmenanteil bei der ersten Wahlrunde von 17,9 auf 21,3 Prozent steigern konnte.

Protest der Globalisierungsverlierer

Wie die Wählerbefragungen belegen, lassen sich die überraschenden Resultate der drei wichtigen Urnengänge der vergangenen zwölf Monate kaum durch populistische Stimmungsmache erklären. Vielmehr offenbaren sie, dass sich die gesellschaftlichen Interessenlagen während der letzten Jahrzehnte maßgeblich verändert haben. Ein wachsender Teil der Bürger beklagt eine Verschlechterung der aktuellen wirtschaftlichen Situation, noch stärker sind die Zukunftserwartungen gesunken.

Beim Brexit-Ergebnis konnten laut Ntv.de "die EU-Gegner vor allem bei Menschen punkten, die von sich selbst sagen würden, zu den untersten sozialen Schichten zu gehören.“ Nach Spiegel-Online dürfte „einer der entscheidenden Gründe für Donald Trumps Wahlsieg … dessen Mobilisierung von frustrierten, sich aktuell in der Politik nicht angemessen vertreten fühlenden Wählern sein.“ Und die Zeit legte den nach der ersten Wahlrunde in Frankreich verbleibenden Präsidentschaftskandidaten nahe, auf „die Abgehängten, die Globalisierungsverlierer, die mit ihrer eigenen Situation Frustrierten“ zuzugehen.

Wiederholt warfen Medien und Politiker rechten Populisten vor, durch eine Mobilisierung von Ressentiments und eine Verbreitung von Fake-News Ängste vor Flüchtlingen und Wirtschaftsimmigranten zu schüren. Die Wahlanalysen zeigen jedoch, dass weder rassistische noch anti-islamistische Beweggründe für das Stimmverhalten der Bürger ausschlaggebend waren. Wenn sich sozial Abgehängte statistisch häufiger fremdenfeindlich äußern, dann offenbar aufgrund realer Betroffenheit. Zum einen konkurrieren Immigranten mit ihnen um die Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich mit der Gefahr von Jobverlust und Lohndumping. Zum andern absorbieren Unterbringung und Integration von Flüchtlingen staatliche Mittel, sodass Einsparungen an gesellschaftlichen Leistungen befürchtet werden.

Wechsel linker Stammwähler zu den Rechtspopulisten

Wie die Wahlanalysen dokumentieren, sind es vor allem die unteren Einkommensschichten und damit die Klientel linker Parteien, die sich von den Losungen rechter Populisten angezogen fühlen. Handelt es sich vornehmlich um eine erfolgreiche Bauernfängerei? Tragen möglicherweise die Medien die Hauptschuld, indem sie die nationalistische Rechte hoffähig gemacht haben und linke Alternativkonzepte verunglimpfen? Anstatt externe Gründe vorzuschieben, sollten die Vertreter traditioneller Arbeiterparteien eher darüber sinnieren, ob sich die gesellschaftliche Lage ihrer Stammwähler verändert hat. Fraglos hat die Globalisierung Beschäftigungsmöglichkeiten und -bedingungen nachhaltig beeinträchtigt, ebenfalls die Durchsetzbarkeit sozialer und materieller Forderungen.

Auf ihrem Hannoveraner Parteitag hat die Linke nun ein Programm der „Gerechtigkeitswende“ beschlossen, das angesichts der günstigen Wirtschaftlage tatsächlich finanzierbar erscheint. Dass der aktuell nutzbare Handlungsspielraum ein Resultat von Agenda 2010 und jahrelang praktizierter Lohndrückerei ist, wird dabei genauso unterschlagen wie der globale Druck, dem die deutsche Volkswirtschaft nach einer Realisierung des Programms zunehmend ausgesetzt wäre. Forderungen nach höheren Einkommen und Sozialleistungen dürften die Glaubwürdigkeit linker Politik kaum stärken, solange internationale Rahmenbedingungen nicht hinreichend berücksichtigt werden. Im Gegensatz zur Linken konnte die SPD sich nicht einmal zu konkreten Zielvorgaben durchringen, was vermutlich das schnelle Verpuffen des Martin-Schulz-Effekts erklärt.

Dass Teile der Unterschichten sich dem Kampf für eine Verbesserung ihrer sozialen Lage entziehen und von ihren Interessenvertretungen abwenden, wurde bereits von Karl Marx thematisiert. Er verweist auf das Lumpenproletariat, das er in die Nähe von Kriminellen rückt. Es lebe von den Abfällen der Gesellschaft, sei käuflich und tauge nicht als Bündnispartner. Letzteres gilt ebenfalls für die von Marx beschriebene, später von Wladimir Iljitsch Lenin begrifflich erweiterte Arbeiteraristokratie, die als Erklärung für die Wurzeln des Reformismus diente. Eine Elite innerhalb der Arbeiterschaft profitiere von der kapitalistischen Ausbeutung und sei bemüht, ihre privilegierte Stellung durch Kumpanei mit dem Kapital zu erhalten.

Die Anhänger des Brexit wie auch die Wähler Donald Trumps, der Front National, der polnischen PiS und der ungarischen Fidesz können schwerlich dem Lumpenproletariat oder der Arbeiteraristokratie zugeordnet werden. Auch wenn sie sich von ihrer „traditionellen Avantgarde“ nicht repräsentiert fühlen, sind sie weder arbeitsscheu und asozial noch sehen sie sich in einer Interessenfront mit der gesellschaftlichen Elite. In ihrem Stimmverhalten manifestieren sich vielmehr Ohnmacht und Zukunftsangst, dazu ein wachsender Zorn auf die Herrschenden. Die politische Linke wird mancherorts als deren Teil begriffen, weshalb sie besonders Protestwähler verloren hat.

Wirtschaftlicher Niedergang der Mittelschichten

Der relative und zunehmend auch absolute wirtschaftliche Abstieg der mittleren und unteren Schichten, aus denen rechtspopulistische Parteien ihre Wählerschaft rekrutieren, resultiert aus ihrer schwachen Machtposition im sich verschärfenden globalen Verteilungskampf. Der zunehmende Druck auf Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen wie auch auf deren politische und gewerkschaftliche Interessenvertretungen führt zu wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit. Diese ist wiederum hauptverantwortlich für das relative Zurückbleiben der Endnachfrage nach Gütern, sodass sich eine Abwärtsspirale herausbildet:

„Wachsende Einkommens- und Vermögensunterschiede sind nicht nur eine Frage sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Integrität, sondern sie haben auch beträchtliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung. Auf der einen Seite streben immer größere Geldbeträge in Anlageobjekte, auf der anderen bleibt die kaufkräftige Nachfrage nach Konsumgütern relativ zurück. Zunehmende Einkommensdisparitäten manifestieren sich bei vermögenden Haushalten als Anlagenotstand, während sich innerhalb der Konsumentenschaft Klagen über Wohlstandseinbußen mehren.

Die von der klassischen Ökonomie erwartete Korrektur durch ein Überangebot mit der Folge von Preiseinbrüchen, welche dann die Konsumenten begünstigen, tritt augenscheinlich nicht ein. Die Ursachen sind ein hoher Konzentrationsgrad in relevanten Wirtschaftszweigen und eine verbesserte Marktinformation, sodass gewinngefährdende Entwicklungen rechtzeitig erkannt und bereits im Vorfeld abgewendet werden können. Neuinvestitionen werden auf ein Minimum reduziert, Risiken an Zulieferer und Dienstleister outgesourct, Belegschaften und politische Entscheidungsträger unter Druck gesetzt.

Investitionstätigkeiten dienen angesichts zurückbleibender Endnachfrage vorrangig dem Zweck von Kosteneinsparungen. Dadurch wird aber das Kaufkraftniveau weiter abgesenkt, weil Lohnabhängige und Kleinunternehmer ihre Arbeit verlieren oder sich mit geringeren Einkünften begnügen müssen. Es entsteht ein Teufelskreis.“

Je akuter ein Privathaushalt von wirtschaftlichem und sozialem Niedergang bedroht ist, desto verzweifelter wird nach Auswegen gesucht. Soweit Lösungsversuche individueller Natur sind, wird Ellenbogenmentalität zur gängigen Attitüde. Auf gesellschaftlicher Ebene erhalten politische Bewegungen Zulauf, die Sündenböcke präsentieren. Da wirtschaftliche Zusammenhänge wegen ihrer Komplexität schwer zu erfassen sind, werden Schuldige dort ausgemacht, wo der „gesunde Menschenverstand“ sie leicht identifiziert kann.

Es dürfte kein Zufall sein, dass sich Protestverhalten besonders in Staaten artikuliert, deren Regierungen sich leidenschaftlich dem Neoliberalismus verschrieben haben. Einerseits sind dort in bedeutendem Umfang Arbeitsplätze verschwunden und Beschäftigungsverhältnisse prekarisiert worden. Andererseits wurde der Einfluss von gewerkschaftlichen und anderen Interessenvertretungen zurückgedrängt, sodass individuelle Problembewältigung recht verbreitet ist.

Trump redet Klartext

Je prekärer die Lage eines Wirtschaftsakteurs ist, desto weniger kann er auf Werte wie Solidarität, Toleranz, Fairness und Aufrichtigkeit Rücksicht nehmen. Dies gilt nicht nur für Personen und Unternehmen, sondern auch für Kommunen und Staaten. Was meist hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird, propagiert Donald Trump - angesichts des desolaten Zustands großer Teile der US-Wirtschaft - nun in aller Öffentlichkeit. Skrupellosigkeit wird zur Tugend, reaktionäre und autoritäre Denkmuster werden salonfähig, Minderheiten werden schikaniert und ausgegrenzt.

War die moralische Integrität Barack Obamas zuweilen in Zweifel gezogen worden, so manifestiert sich in der Regentschaft Trumps der endgültige Abschied von den vielbeschworenen westlichen Werten. Nach den chauvinistischen und sozialdarwinistischen Ausfällen während der Vorpräsidentschaftszeit ist seine Regierungspraxis durch ein hohes Maß an Rücksichtslosigkeit im Umgang mit Partnern, Verbündeten und Andersdenkenden geprägt. Aber auch die gegen ihn gerichteten Kampagnen, die von Mainstream-Medien in Verbund mit einflussreichen US-Kreisen initiiert wurden, lassen Fairness und Ausgewogenheit vermissen.

Um die seiner Wählerschaft gegebenen Versprechen einlösen zu können, stellt Trump internationale Verpflichtungen zur Disposition. Der moralisch widerwärtige Rüstungsdeal mit Saudi-Arabien soll Arbeitsplätze in jenen Regionen der USA schaffen und sichern, denen er seine Präsidentschaft verdankt. Demselben Ziel dient offenbar die Forderung nach einer Erhöhung des Verteidigungsetats der europäischen Nato-Mitglieder auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts. Ein Bedarf in einer solchen Größenordnung ließe sich nur durch US-amerikanische Lieferungen decken. Zugleich soll ein Aufbau unabhängiger Militärstrukturen der EU verhindert werden, von dem sich wiederum Frankreich eine Erhöhung des eigenen Rüstungsexports verspricht.

Sollte es Trump tatsächlich um eine gerechte Verteilung der Rüstungsaufwendungen innerhalb der Nato gehen, dann wäre dieses Ziel ebenso durch eine Reduzierung des US-amerikanischen Kontingents zu erreichen, das gegenwärtig etwa 70 Prozent beträgt. Sogar eine Halbierung würde für Verteidigungszwecke ausreichen, zumal bereits der Anteil der europäischen Nato-Mitglieder mit 265 Milliarden Euro das gemeinsame Militärbudget von Russland und China übertrifft.

Interventionsbedarf bei schwacher Wettbewerbsfähigkeit

Eine radikale Durchsetzung volkswirtschaftlicher Interessen hat sich vielerorts als erfolgreich erwiesen. Lokale Produzenten konnten geschützt und Arbeitsplätze erhalten werden. Nicht nur große Volkswirtschaften wie China und Russland, sondern auch kleine und global abhängige Staaten wie Viktor Orbáns Ungarn oder das Steuerparadies Irland orientieren sich strikt an nationalen Wirtschaftszielen, meist zu Lasten ihrer jeweiligen Handelspartner. Desgleichen betreibt Deutschland eine Beggar-thy-neighbour-Politik, die eine Wandlung vom Problemschuldner zum prosperierenden Überschussproduzenten ermöglichte. Dass sich ein solcher Einsatz für politische Entscheidungsträger auszahlt, dokumentieren die hohen Beliebtheitswerte Wladimir Putins wie auch die jüngsten Erfolge der CDU bei den Landtagswahlen.

Konkurrenzfähige Staaten sowie große Rohstoffexporteure können von den gegenwärtigen globalen Spielregeln profitieren. Die Geschäftsbeziehungen stehen auf einer soliden Grundlage, ja sie können ausgeweitet werden, was von den Akteuren Weltläufigkeit verlangt. Ein Verständnis für die Besonderheiten fremder Kulturräume bildet sich heraus, wodurch Offenheit und liberale Grundeinstellungen gefördert werden. Diese finden schrittweise Eingang in nationale Gewohnheiten und Denkweisen. Restriktive Maßnahmen sind weder im wirtschaftlichen noch im politisch-kulturellen Bereich erforderlich, ja sie würden die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit eher beeinträchtigen.

Hingegen wären bei schwacher Wettbewerbsfähigkeit volkswirtschaftliche Interessen potentiell gefährdet, sollten sich Regierungen jeglicher Intervention enthalten. Durch die Liberalisierung des grenzüberschreitenden Verkehrs von Waren und Kapital sind nationale Produktionsstätten akut bedroht. Arbeitsplätze können verloren gehen, und durch Immigration würde die Beschäftigungslage zusätzlich belastet werden. Eine „Unterwanderung“ der nationalen Identität durch liberales Gedankengut und Globalkultur dürfte eine Landnahme durch ausländisches Kapital begünstigen. Mit einem Schüren nationalistischer Stimmungen kann nicht nur dieser Bedrohung begegnet, sondern auch Infiltrationsversuchen vorgebeugt werden, da Alleingänge von Staaten allgemein Kritik und Gegenaktionen von außen hervorrufen.

Gefährdung volkswirtschaftlicher Interessen

Ist das Einkommensniveau der Bürger durch eine geschwächte nationale Wirtschaft bedroht, dann erhält der Rechtspopulismus verständlicherweise Aufwind. Trotz mancher öffentlichkeitswirksamer Aktionen ist der „Druck der Straße“ infolge sinkenden gesellschaftlichen Engagements in den westlichen Demokratien tendenziell durch die „Macht der Wahlstimme“ ersetzt worden. In autoritär regierten Staaten mit beschränkter Wahlfreiheit bedienen sich Regierungen selbst nationalistischer Agitation, um aufkommenden Unmut der Bürger zu kanalisieren. Zugleich wird einer politischen Einflussnahme durch ausländische Geheimdienste und NGOs entgegengewirkt.

Wenn volkswirtschaftliche Interessen weder mittels einer starken Wettbewerbsposition noch über eine an nationalen Zielen ausgerichtete Politik durchgesetzt werden, kann ausländisches Kapital unkontrolliert einströmen und schließlich eine dominante Stellung erlangen. Gängige Praktiken ökonomischer Durchdringung sind die Aneignung lukrativer „Filetstücke“, die Überschwemmung der Märkte mit eigenen Erzeugnissen und die Vergabe von Krediten. Trotz zuweilen reger Investitionstätigkeit, die meist durch Steuerdumping erkauft wird, gelingt es nur selten, die durch die erzwungene Schließung lokaler Produktionsstätten verlorene Beschäftigung zu kompensieren.

Gesellschaftliche Interessenkonstellationen werden nicht nur durch eine Zunahme der Arbeitslosigkeit verändert, sondern auch durch den Wandel von Teilen der Eliten zu „ortskundigen Partnern“ transnationaler Konzerne. Innergesellschaftliche Konflikte nehmen zu, die Herrschaftssicherung erfordert mehr Einsatz und die Auslandsschulden steigen. Regierungen geraten in eine wachsende Abhängigkeit von finanziellen und politischen Gönnern westlicher Industrieländer. Auf diese Weise haben die meisten Staaten Mittel-Ost-Europas, fast ganz Afrika wie auch größere Teile Asiens und Lateinamerikas ihre Unabhängigkeit faktisch eingebüßt.

Lassen sich nach einem politischen Kontrollverlust volkswirtschaftliche Konzepte kaum mehr umsetzen, so steigt andererseits der Bedarf der Bürger an Beschäftigungsmöglichkeiten sowie staatlichen und kommunalen Leistungen. Hohes Bevölkerungswachstum und die Zerstörung subsistenzwirtschaftlicher Strukturen füllen in ärmeren Weltregionen die Slum-Gürtel der Städte, ohne dass eine Lebensperspektive angeboten wird. Als Kuriosum erscheint, dass zivilisatorische Fortschritte wie die Entwicklung des Bildungs- und Gesundheitswesens diesen Prozess eher beschleunigen.

Mit der Abhängigkeit von westlichen Machtzentren geht eine pausenlose kulturelle Berieselung einher. Diese trägt nicht nur zur Entfremdung von traditionellen Werten bei, sondern weckt Bedürfnisse, die angesichts fehlender Verdienstmöglichkeiten nicht realisiert werden können. Der soziale Sprengstoff entlädt sich in wachsender Kriminalität und treibt speziell junge Menschen in die Arme obskurer Heilsprediger. Um der hoffnungslosen Lage zu entkommen, schließen sich immer mehr Wagemutige dem Flüchtlingsstrom in das Eldorado des Nordens an.

Umverteilung zugunsten der eigenen Klientel

Der Zwang zu individuellen Lösungen bei gleichzeitigem Abbau von Skrupeln lässt jenen Bevölkerungsteil anwachsen, den Marx als Lumpenproletariat bezeichnete. Da jedoch eine überwältigende Mehrheit der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten bereit ist, sich den Lebensunterhalt durch eine produktive Tätigkeit zu verdienen, wäre sein Begriff der industriellen Reservearmee treffender. Allerdings besteht keinerlei Hoffnung, dass das Gros dieser Menschen jemals vom globalen Arbeitsmarkt absorbiert wird. Notwendiges Wirtschaftswachstum wird durch fehlende kaufkräftige Nachfrage begrenzt, während die urbane Weltbevölkerung ungebrochen weiter wächst.

Soziale Marginalisierung wird daher zwangsläufig zunehmen. Welche Regionen und Bevölkerungsgruppen besonders betroffen sind und wer sich relativ schadlos halten kann, hängt von politischen Entscheidungen auf höchster Ebene ab. Hier bieten nun rechtspopulistische Parteien Lösungen an. Wenn sie sich für die Globalisierungsverlierer der nationalen Mittel- und Unterschichten einsetzen, dann geschieht dies erklärtermaßen zu Lasten anderer Bevölkerungsteile. Geschröpft werden sollen jene, die in Ungnade stehen und von denen geringer Widerstand zu erwarten ist.

Bei vielen Bürgern, die sich nachteilig behandelt fühlen, fällt Stimmungsmache gegen unterstelltes Sozialschmarotzertum, Arbeitsverweigerung, Genderansprüche, EU-Bürokratismus, Flüchtlings-und Entwicklungshilfe oder Wirtschaftsimmigration auf fruchtbaren Boden. Zuspruch findet ebenso die Kritik an den "vier Grundfreiheiten" der EU und an der Gemeinschaftswährung des Euro. Der Einwand, dass dadurch die Beschäftigung gefährdet würde, ist größtenteils berechtigt. Anstatt jedoch den neoliberalen Kurs der EU-Entscheidungsträger anzuprangern, wird nationale Abschottung propagiert.

Das Argument der Arbeitsplatzsicherung wird auch bei der Abwehr von vermeintlichen unfairen Handelspraktiken, Kartellen und Lohndumping vorgeschoben. Angeklagt werden hier vor allem ausländische Akteure, u.a. Staaten mit Handelsüberschüssen sowie niedrigen Sozial- und Umweltstandards. Wie berechtigt die Vorwürfe auch im Einzelnen sein mögen, so auffallend ist andererseits der Tatbestand, dass die Geschäftsgebaren der eigenen Wirtschaftselite kaum auf den Prüfstand gestellt werden. Diese soll offenbar nicht verprellt werden, da sie bei der Durchsetzung nationaler Interessen benötigt wird. Auch wollen populistische Parteien nicht den Verlust von Finanzierungsquellen riskieren.

Nationale Interessen als Bindeglied

Demokratie wird auf einen Kampf von Interessengruppen reduziert, die nach maximalem Eigennutz streben. Kompromisse werden nur akzeptiert, soweit sie unvermeidlich sind, moralische Aspekte bleiben weitgehend auf der Strecke. Auf der Grundlage eines formalen Demokratieverständnisses lässt sich Kritik leicht durch den Hinweis abwehren, es würden doch allgemein anerkannte Prinzipien und Regeln respektiert.

Ähnlich der Lobbyarbeit großer Konzerne sind nationalistische Populisten bestrebt, ihrer Klientel ohne Rücksichtnahme auf divergierende Interessen Vorteile zu verschaffen. Staatsbürger sollen zu Lasten von Immigranten begünstigt werden, konservative Weiße zu Lasten von rebellischen Schwarzen, Christen zu Lasten von Moslems, Heterosexuelle zu Lasten von Homosexuellen, Arbeitsplätze zu Lasten der Umwelt, nationale Interessen zu Lasten globaler Verpflichtungen. Spektakuläre Aktionen werden favorisiert, später eintretende Negativfolgen meist verdrängt. Um für möglichen Widerstand gewappnet zu sein, sollen mehr Finanzmittel für die Ausrüstung der Ordnungskräfte bereitgestellt werden.

Der Erfolg des Rechtspopulismus erklärt sich aus dem sukzessiven Werteverlust, der dem rauen Klima des sich verschärfenden Verteilungskampfs geschuldet ist. Wachsender Leistungsdruck, Lohneinbußen und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kennzeichnen zunehmend die Beschäftigungsverhältnisse. Die Wahrung von Besitzständen wird daher für viele zur primären Aufgabe. Die Angst vor sozialem Abstieg führt dazu, dass sich Berufstätige in gutdotierten Stellungen von einer Solidarität mit Geringverdienern und Arbeitslosen lossagen.

Bei wachsendem gesellschaftlichem Dissens werden nationale Interessen zum wichtigen Bindeglied. Indem rechtspopulistische Parteien eine Front gegen auswärtige Gegner errichten, reanimieren sie das durch wirtschaftliche Zwänge gestörte Gemeinschaftsgefühl. Hierdurch werden selbst Empfängern von Sozialleistungen Privilegien zuteil.

Der „Schwarze Peter“ wird an jene Weltbewohner weitergereicht, die einen Bruchteil der hiesigen Minimaleinkommen beziehen. Sie arbeiten auf westafrikanischen Kakaoplantagen, in peruanischen Silberminen oder in den Textilfabriken Bangladeschs. Weitere hunderte Millionen Slum-Bewohner des Südens leben von Trickle-down-Effekten und Zuwendungen internationaler Organisationen. In der Absicht Donald Trumps, die US-amerikanische Entwicklungshilfe und die Mittel für zahlreiche Projekte in den ärmsten Weltregionen rigoros zusammenzustreichen, offenbaren sich die wohl bedenklichsten Seiten des „America First“.

Die Erstveröffentlichung des Artikels erfolgte mit geringfügigen Veränderungen auf dem Internet-Portal "Telepolis".

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