Vor dem Eintritt Russlands in das Kampfgeschehen Ende Oktober 2016 hat die USA eher halbherzig gegen den IS gekämpft, während andere terroristische Organisationen, vor allem die Al-Nusra-Front, gar nicht attackiert wurden. Zum einen sollten Divergenzen mit der Türkei und den Golf-Despotien vermieden werden, welche die hauptsächlichen Protagonisten der bewaffneten syrischen Opposition sind. Zum anderen entsprach es amerikanischem Interesse, dass sich zwei potentielle Gegner, die Regierung Assads und islamische Fundamentalisten, gegenseitig schwächten. Zudem konnte die heimische Rüstungsindustrie von Aufträgen profitieren. Schließlich war den Amerikanern klar, dass der Krieg nicht ohne Bodentruppen zu gewinnen war. Durch die Unterstützung der kurdischen YPG konnte dieses Problem zwar angegangen werden, allerdings nur zu Lasten einer Verschlechterung der Beziehungen zur Türkei.
Nachdem Russland mit seinen Militärschlägen gegen terroristische Stellungen rasche Erfolge verbuchen konnte, mussten die USA unter Beweis stellen, dass sie ähnlich konsequent agieren. So kam es zu einer Kooperation auf dem Schlachtfeld, die erstaunlich reibungslos funktionierte. Parallel dazu gab es ernsthafte Bemühungen, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Russland erklärte sich bereit, Assad fallen zu lassen und die gemäßigte Opposition zu unterstützen, während die USA die Einbeziehung der syrischen Herrscherelite als „Teil der Lösung“ anerkannten.
Doch dann folgten mehrere Ereignisse, mit denen das Misstrauen zurückkehrte. Beim Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei hat sich der Westen neutral verhalten und erregte damit Unverständnis in Moskau. Die türkische Regierung mutierte für Russland vom Partner zum Gegner, auf dessen Reaktionen bei den eigenen Kampfhandlungen nicht mehr Rücksicht genommen wurde. Angesichts der massiven Unterstützung durch die russische Luftwaffe ließen die militärischen Erfolge der Assad-Truppen nicht lange auf sich warten. Dadurch wurde aber auch die gemäßigte Opposition geschwächt, die vielerorts mit terroristischen Gruppen eng liiert war. Und indem die Türkei den Flüchtlingsstrom nach Europa als Trumpf ausspielte, konnte sie westliche Regierungen unter Druck setzen und ihr genehme Stellungnahmen erpressen.
Während Assads aktuelle Äußerungen nahelegen, dass er eine Lösung des Konflikts auf dem Schlachtfeld anvisiert, bereiten die Türkei und Saudi-Arabien einen Truppeneinmarsch nach Syrien vor. Dadurch wird die Situation aber brandgefährlich, und dies wird augenscheinlich auch in Moskau und in Washington erkannt. Die russische Bereitschaft zu einer baldigen Waffenruhe wie auch die Kritik der USA an den türkischen Bombardements nordsyrischer kurdischer Gebiete sind deutliche Hinweise, dass die Atommächte eine Eskalation der Lage vermeiden wollen. So bekräftigen Obama und Putin in einem Telefongespräch nach Abschluss der Münchener Sicherheitskonferenz das Interesse an enger Kooperation bei der Suche nach einer Lösung des Syrien-Konflikts.
Die folgende Bedingungen sind bei einer Lösungssuche zu berücksichtigen:
- Die USA können nicht zulassen, dass sich das militärische Kräfteverhältnis weiter zugunsten der Truppen Assads entwickelt. Sie sind allerdings mit dem Problem konfrontiert, dass die moderate politische Opposition großenteils islamistisch geprägt ist und mit Terroristen kooperiert. Auch sind die auf US-Initiative gegründeten „Syrisch-Demokratischen Streitkräfte“ nicht problemlos. Da die kurdische YPG in diesem Bündnis die Hauptkraft darstellt, sind die Beziehungen zur Türkei angespannt. Ebenso müssen die USA befürchten, dass die YPG sich Russland zuwendet könnte, falls sie türkischen Ambitionen zu stark entgegenkommen.
- Russland ist in einer weitaus bequemeren Situation, da der Status quo die Position Assads begünstigt. Allerdings ist Skepsis angebracht, ob die USA tatsächlich in der Lage und bereit wären, Erdogans Truppen daran zu hindern, die syrische Grenze zu überschreiten. Ebenso übt US-Verteidigungsminister Carter Druck aus, indem er den Einsatz saudi-arabischer Truppen im Rahmen einer amerikanischen Operation gegen die IS-Hochburg Rakka thematisiert. Dass Russland im Ernstfall bereit ist, den Wünschen Assads zu folgen und grenzüberschreitende Truppeneinheiten zu bombardieren, kann bezweifelt werden.
Auch wenn die russische Seite auf einer Fortsetzung militärischer Aktionen gegen terroristische Organisationen besteht, so existiert hier kein prinzipieller Dissens mit den USA. Allerdings möchte die amerikanische Seite Bastionen der Opposition halten, damit deren Verhandlungsposition nicht geschwächt wird. Auch wenn im Sprachgebrauch der westlichen Medien und Politiker aus Terroristen Rebellen geworden sind, wird hinter den Kulissen eingestanden, dass sich die Al-Nusra-Front in einer dominanten Position befindet. Sollte es den USA mit Unterstützung ihrer Verbündeten Türkei und Saudi-Arabien dennoch gelingen, die Opposition zu einer Einstellung der Kampfhandlungen zu bewegen, dann sollte auch Russland Assad dazu drängen können. Welche Art von Terrorismus künftig gemeinsam bekämpft wird, würde einvernehmlich neu definiert werden.
Eine Lösung der Syrienkrise könnte in folgenden Schritten geschehen:
- Es wird ein Waffenstillstand beschlossen, der von allen beteiligten Akteuren akzeptiert und eingehalten wird.
- Die unter militärischer Kontrolle der Kriegsbeteiligten stehenden Regionen werden hinsichtlich ihrer Grenzen markiert.
- Alle Transporte nichtmilitärischer Güter zwischen den jeweiligen Einflusszonen werden zugelassen.
- Der Import von Rüstungsgütern wird allgemein unterbunden unabhängig davon, ob die Opposition oder die Regierung Assads als Empfänger ausgewiesen sind.
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Neutralen internationalen Beobachtern - etwa der UN - wird freier Zugang zu allen Orten gewährt. Ihre Aufgabe besteht darin,
a) den Waffenstillstand zu überwachen
b) den Import von Rüstungsgütern zu verhindern
c) die Verteilung humanitärer Hilfsgüter zu beaufsichtigen
d) den Schutz und die Rechte von Zivilisten zu garantieren bzw. einzufordern.
- In allen Regionen werden Organe der Selbstverwaltung errichtet, die den Wiederaufbau der Infrastruktur in Angriff nehmen und öffentliche Dienstleistungen bereitstellen.
- Eine neue Verfassung wird ausgearbeitet, die im ganzen Land zur Abstimmung gestellt wird.
- Es werden Parteien gegründet, die landesweit zugelassen werden. Durch internationale Beobachter wird gewährleistet, dass deren Tätigkeit nirgendwo eingeschränkt wird.
- Es werden gemäß der Verfassung ein neuer Präsident, ein neues Parlament und kommunale Organe gewählt.
- Die militärischen Einheiten der Oppositionsgruppen werden in die syrische Armee integriert. Dieser Prozess wird durch internationale Vertreter begleitet.
Kommentare 5
Die Münchener Sicherheitskonferenz hat die Standpunkte gezeigt... Russland gilt (auch) unter den Staaten der NATO-Ostflanke als Aggressor in Syrien. Und Deutschland handelt noch immer so, als müßte die Türkei vor Syrien beschützt werden. Wenn ... Leopard 2 Panzer dann in Syrien auftauchen, können wir uns wieder auf die Schulterstücken klopfen...
>>Russland erklärte sich bereit, Assad fallen zu lassen und die gemäßigte Opposition zu unterstützen,...<<
Soweit ich mich erinnere, hat Putin gesagt, dies solle nach der Beseitigung des Terrorismus durch eine Wahl entschieden werden. Der Schlingel weiss doch, wie die Westoligarchien ärgern kann...
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>>...dass die moderate politische Opposition großenteils islamistisch geprägt ist und mit Terroristen kooperiert.<<
Ja. Es hat eben noch niemand erklärt, was an den US-gestützen Terroristen „moderat“ sein soll...
"dies": Ob Assad bleibt oder nicht.
„Russland gilt (auch) unter den Staaten der NATO-Ostflanke als Aggressor in Syrien. Und Deutschland handelt noch immer so, als müßte die Türkei vor Syrien beschützt werden.“
Russland befindet sich für die ehemaligen östlichen „Satellitenstaaten“ in derselben Lage wie Deutschland aus Sicht seiner europäischen Nachbarn in der Nachkriegszeit: Ängste wirken halt nach, und aus ihnen entstehen leicht Misstrauen und Beschuldigungen. Es handelt sich daher eher um eine Hysterie, vor der man nur hoffen kann, dass sie allmählich abebbt.
Auch wenn eine ähnliche Propaganda den gesamten westlichen Mainstream prägt, gibt es dennoch kaum Zweifel, dass in den US-Regierung sehr wohl die Brisanz der Lage erkannt wird.
Leider spielt Bundeskanzlerin Merkel eine recht unrühmliche Rolle, wohl getrieben von der Angst, dass die Flüchtlingsproblematik ihr politisches Aus bedeutet. Der Schulterschluss mit Erdogan ist tatsächlich peinlich, ja er mindert die Glaubwürdigkeit der deutschen Regierung bei durchaus berechtigten Fragen wie der Versorgung der in Aleppo eingeschlossenen Zivilisten.
Vermutlich weiß Putin sehr wohl, dass Assad nicht zu halten ist. Ähnlich hat Moskau Ende 2014 auf einen Führungswechsel bei den Separatisten im Donbass hingewirkt, um Verhandlungen und Kompromisse zu erleichtern.
Tatsächlich hat Assad noch einen erheblichen Rückhalt in der Bevölkerung, was dem westlichen Medienpublikum angesichts der Dämonisierungskampagne als unverständlich erscheinen mag. Um die Stimmung in Syrien seit Beginn der Kriegshandlungen besser zu verstehen, empfehle ich das Interview mit dem ehemaligen indischen Botschafter in Damaskus: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=2366.