Kneipe & Schule (3)

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Der kindliche Entdeckergeist, die ungezügelte Phantasie mit immer neuen Faltungen kommt regelmäßig in vielen Gesprächen zur Sprache. Eltern schildern immer neue Varianten von Spielen, Einfällen und Kombinationen ihrer Kinder. Fast alle sind sich einig, dass ihre Kleinen ständige Neuschöpfer sind (von der Nachahmung zur Innovation), sie schon deshalb geliebt werden, aber dass auch alles soooooo anstrengend ist und man sich immer wieder von der ganzen Belastung überfordert fühlt. Doch das gemeinsame Liebesgrundgefühl verkraftet eben eine ganze Menge, die schon erschöpfte Mutter bzw. der genervte Vater wächst dann regelmäßig über sich hinaus und bringt neue harmonische Energie ein.

Aber man sieht als ständiger Beobachter vereinzelt an den Kneipentischen, im Verhalten der Kinder, im Blick, in der Geste Anzeichen des »Dramas des begabten Kindes« (A. Miller). Angegriffene Kinderseelen, verängstigte Augen, aggressives Verhalten, schon bevor sie in die Grundschule kommen. Überforderte Eltern, die aus Scham (»was könnte der Nachbar von uns denken?«) ihre Überforderung mit suggestiven Sprüchen der Stärke übertünchen und nicht zum notwendigen Ruf nach einer ›organisierten Elternschule‹ ansetzen. Persönliche Kraft und Einsicht reichen nicht zum Aufbruch. Einige erstarren in Stummheit, blicken mit geballter Leere ins Bierglas, während das Kind, schon unruhig, auf dem Stuhl hin und her rutschend, vor dem leeren Glas Cola sitzt und nervös wartet, was weiter passiert.

Manchmal kommt bei Stammgästen sogar ein Tabuthema auf den Tisch, man kennt es zumindest vom Hörensagen: Hunderttausende Kinder in Deutschland (oder doch 2 Millionen mit ungeklärter Dunkelziffer?) sind verwahrlost, sexuell missbraucht, grün und blau geschlagen, psychisch gestört, systematisch vernachlässigt – der alltägliche Terror in der Kleinfamilie. Viele Eltern sind überfordert, kommen mit ihrem eigenen Leben nicht (mehr) zurecht. Hilflosigkeit schlägt um in blinde Aggression. Auch sadistische Verhaltensweisen finden ihr Betätigungsfeld: systematischer Liebesentzug, Nahrungsentzug, Isolationshaft und vielfältige Foltermethoden. Da wird mal die brennende Zigarette auf der Kinderstirn ausgedrückt, da wird mal das Kind halb totgeschlagen, zu Tode ›geschüttelt‹ oder einfach gleich in den Wäschetrockner gesteckt, am besten im Mülleimer entsorgt. Wer’s überlebt, sich als Kind durchkämpft, sich geschickt anpasst, auf den wartet oft ein kollektives Schicksal: rasant wachsende Kinderarmut in Deutschland als einem der reichsten Länder der Welt!
Chronisch unterversorgte Jugendämter sind zu oft machtlos – zu wenig Personal, zu wenig alternative Kinderhäuser zur Regeneration der Geschädigten, zu wenig finanzielle Spielräume. Verantwortliche Politiker schauen weg, retten sich in schwülstige Reformrhetorik voller Folgenlosigkeit. Dann kommen diese gepeinigten Sechsjährigen in die Grundschule, und alles soll besser werden? Schule in der bisherigen Form ist mit diesen komplexen Problemen strukturell überfordert und der einzelne Lehrer allemal. Auch die ganz besonders engagierte und erfahrene Vorzeigelehrerin kann die Schärfe der Probleme nur etwas mildern, lösen kann sie diese nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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