Versuch, Augstein in die Tonne zu treten

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oder: Ein anerkannter Qualitätsjournalist schäumt

In Zeiten hektischer Betriebsamkeit einer Flach-durch-die-Mitte-Gesellschaft, einer verbreiteten lüsternen Sensationsgeilheit, gepaart mit Ex- und Hopp-Mentalitäten, wird es für ALLE schwieriger sich zu orientieren. Das gilt selbstverständlich auch für Intellektuelle, für Boulevardfreunde, die viel zitierten sog. Qualitätsjournalisten und ihre Gegenspieler, die sog. Gammelfleischjournalisten. Oder um es mit Haindling 2009 zu sagen: „Ein Schaf denkt nach – was ist der Sinn meines Lebens, wo komm i her und wo geh i hi, für was bin i da und wer bin i.“

Was ist geschehen? Wer schäumt hier und warum?
Jakob Augstein hat der Frankfurter Rundschau kürzlich ein Interview gegeben: „Das Netz hat gewonnen“. Der Abdruck ist eine um ca. 65% gekürzte Fassung des Planet-Interviews mit dem Titel „Wir sind doch alle total versoftet.“ Solch schmerzhafte Streichungen im journalistischen Geschäft sind leider an der Tagesordnung, wenn man Verbreitung will. Alternativ: man verzichtet und erfreut sich seiner subjektiven Reinheit. Sagen wir es noch etwas genauer: Augstein plauderte (in der kastrierten FR-Fassung) im lockeren Gespräch mit Jakob Buhre und Felix Kubach über Printmedien, insbesondere FAZ, SZ und Bild, über Internetentwicklungen, den FREITAG und die sich entwickelnde Community, über unterschiedliche journalistische Arbeitsauffassungen und –haltungen, über seine Liebe zum Boulevard, ein bisschen über Gott und die Welt, so wie es sich gelegentlich ergibt.

Dann kommt Wolfram Schütte, ein anerkannter Qualitätsjournalist mit zahlreichen Meriten, ein brillanter Filmkritiker, 30 Jahre maßgeblicher Feuilleton-Redakteur bei der Frankfurter Rundschau (bis zu seiner Rente 1999), bläst die Backen auf, schäumt geradezu über diesen unerzogenen Lausebengel Augstein, über diesen Nichtskönner und versteigt sich zur Keulenkritik: „Candide im Kleingärtner-Vorstand.“ Schütte vernebelt seinen Blick, montiert Satzfetzen Augsteins nach Belieben und garniert das alles, aus der zweituntersten Schublade holend und als emotionales Schmiermittel dienend, mit Familienvergleichen: „sein berühmten Vater“, die „intelligente Schwester Franziska“. Jakob hingegen mit „seiner schlichten Denkungsart“ scheint ein „vom Internet betörten Candide zu sein, der in der Wochenzeitung die Parzellen-„Community“ eines Kleingärtnervereins vor Augen hat.“ Eben unwissend, unkalkulierbar, diffus wie seine Community.
Schütte glaubt von sich, einer der letzten Gralshüter des Qualitätsjournalismus - ach was sage ich: des gesamten Abendlands - zu sein: „Der gedruckte Freitag fungiert nur noch als wöchentlicher Wurmfortsatz des täglichen o­nline-Treibens der Community im Netz. Nach Augsteins Relaunch nennt sich der Freitag nun „ Das Meinungsmedium“ – als sei „Meinung“ nicht bloß ein subjektives Vorurteil, das sich aus Trägheit, Ressentiment, Fantasielosigkeit & Intelligenz-Mangel weigert, durch die Anstrengung von Kritik und Argument erst ein begründetes Urteil zu werden & sich kommunikativ bestreitbar zu machen. Jeder Beitrag des Freitag wird mit einer dreifarbigen Autorennotiz nach seiner Herkunft annonciert: ob aus dem englischen Guardian übersetzt, von einem Freitag-Mitarbeiter oder -Redakteur geschrieben oder von einem Blog der Internet-„Community“ aufs Papier übertragen. Soll dem Print-Leser damit vorweg etwa die (abnehmende?) Qualität, Professionalität und Seriosität annonciert oder aber der „Community“ der bloggenden „User“ geschmeichelt werden, auf dass sie stolz sein können, sich in „feinster“ journalistischer Gesellschaft gedruckt zu sehen? Oder hat man es bei dieser bunten Dreifaltigkeit eines einfältigen „Andersseins“ mit einer kindischen Grille des Freitag-Besitzers zu tun, dem die Spielwiese seiner Kleingärtner-Kolumne, in der er alle 14 Tage schrebergärtnerisch waltet, nicht genügt?“

Nachdem Schütte, dieser verkorkste Habermas-Schüler, nun sein Erbrochenes betrachtete, würgte er noch einmal nach:
„Ob sich Jakob Augstein, als er sich eine wöchentlich erscheinende publizistische Spielwiese gekauft hat, womöglich gar unter „links“ nichts anderes mehr versteht, als damit „Online und Print komplett miteinander“ verlinken zu können? Mal sehen, wann es ihm gelungen sein wird, aus dem linken Freitag das gleichnamige boulevardeske Wochenmagazin zu machen. Oder: ob der gedruckte Wurmfortsatz der Netz-Community eines Freitags operativ entfernt wird, weil er so überflüssig ist wie der Blinddarm im menschlichen Körper.“

Nun betrachtete er als „Frankfurter Würstchen“ sein Werk und sprach zu sich selbst: Es ist gut so! Großmeisterartig. Ebenfalls als Frankfurter Würstchen würd’ ich ihm beim Ebbelwoi (un es will mer net in de Kopp hinei, wie kann an Mensch net aus Frankort soi) nur zuflüstern können: Mensch, halt den Ball flacher und lass uns zuerst gemeinsam als Lockerungsübung Haindling hören:
Du-Depp-Du-Depp-Du-Depp-Du-DepperterDepp-Du. Dann hören wir wieder besser, sehen klarer und lesen das ORIGINAL bei Planet noch einmal.

Und dann, ja und dann, lieber Herr Schütte, begraben wir das Kriegsbeil hinter der letzten Biegung des Flusses, übernehmen von den Indern Ananda, die große Freude, schauen, was wir gemeinsam machen können. Linken Sie sich ein mit Ihrem enormen Know how, mit Ihren reichhaltigen Erfahrungen. Die Community freut sich, ist nicht nachtragend, wissender jedoch, als Sie glauben. Das ist kein „zynische Witz des Augenblicks“ (W.S.) von mir, sondern meine wahrhaftige Meinung, im Fegefeuer einer 2500-jährigen Tradition argumentativer Aushärtung geprüft und von Sokrates persönlich abgenickt.

Ich kann Ihnen versichern:
Theoriefraktion, Spaßguerilla und die bisweilen vorhandene Liebe zum Boulevard passen im FREITAG zusammen. Und ein vorläufig Letztes: Ich mußte meinen Beitrag mit niemanden vorher absprechen. Ich schreibe und veröffentliche per Klick, wie es mir gefällt. Die Chefredaktion, JA und die Community betrachte ich einfach als willkommene Mit-Spieler. Ich freue mich, dass sie DA sind. Bekommen Sie nicht doch Lust? So viel frische Luft und Freiheit gibt es nirgends in der deutschen Medienlandschaft. „Und wer i eigentlich bin/ Is der Mensch bloß ein Koffer/ Der sich selber umeinander tragt/ Oder is der Mensch die Krone/ Die Krone der Schöpfung – wie man sagt/ Zu 70% Wasser – den schwoabts ganz sche umanand/ Und das er sich fragen kann wer bin i/ Hat er sein Verstand.“ (Haindling 2009)

Nachtrag: Der Beitrag erscheint verspätet, nur durch meine subjektiven Umstände verursacht. Das hat manchmal auch sein Gutes. Man sieht die Sache abgeklärter. Deshalb empfehle ich Wolfram Schütte doch auch einen Entspannungsurlaub. Den habe ich gerade hinter mir, einfach wohltuend. Überraschend auch, was Voltaires ‚Candide’ im Laufe seines Lebens so alles dazulernt, ein echter Bildungstrip.

Die Haindling-CD „Ein Schaf denkt nach“ gibt es seit vorletzter Woche auf dem Markt – empfehlenswert für Blasmusiker und Freunde des Authentischen. Lieber Wolfram, wir sehen uns im FREITAG, im Odyssee oder in Montenegro. Servus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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