Mit Paganini im Taxi durch Köln

Starkes Buchdebüt Mit ihrem literarischen Debüt setzt Theres Essmann auch dem Stargeiger Paganini ein kleines Denkmal.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Unterschiedlicher könnten sie nicht sein, diese beide Männer: Der Taxifahrer Jürgen Krause, der sich die einsamen Abende mit einer Eric Clapton-Biographie vertreibt, und der geheimnisvolle ältere Herr, ein profunder Kenner klassischer Musik, von dem Krause eines Tages als Chauffeur zur Kölner Philharmonie gebucht wird. Und doch verbindet die beiden Protagonisten dieser Novelle eine Gemeinsamkeit: Sie sind, zwar auf sehr unterschiedliche Weise, am Leben gescheitert.

"Federico Temperini", das Erzähldebüt von Theres Essmann, gleicht beinahe einem Kammerspiel: Im begrenzten Raum eines Taxis kommen sich die beiden Männer allmählich näher, lernen sich peu à peu, Fahrt für Fahrt zur Philharmonie ein wenig kennen. Die Schriftstellerin wechselt dabei die Erzähltempi wie in einer wohldurchdachten Sinfonie, beginnend mit einer langsamen Annäherung, endend im Rondo, das zumindest für den Taxifahrer von viel Moll in ein sanftes Dur wechselt.

Bei Krause, der nach einem abgebrochenen Studium und einer Scheidung im Grunde immer noch lebt wie ein ewiger Student, wächst nach und nach die Neugier auf den Hintergrund seines zunächst schroff wirkenden, oftmals abweisenden Fahrgast. Dieser scheint seltsam besessen von Nicolò Paganini, dem Teufelsgeiger, dem Franz Liszt in seinem Nachruf ein „düster trauriges Ich“ bescheinigte. Auch Federico Temperini ist keine Frohnatur: Einsam, verschlossen, die einzige Ausdrucksfähigkeit scheint in der Musik zu liegen.

Zunächst herrscht zwischen den beiden Männern, zumindest auf Krauses Seite, eher Befremden, Distanz und leise Abneigung:

„… und sah, dass der Anrufer Temperini gewesen war. Ich hatte ihn längst zu meinen Kontakten hinzugefügt, aber wann immer sein Name auf dem Display meines Handys erschien, ging es mir damit wie mit seinem Büttenpapier-Umschlag auf meinem Beifahrersitz: Er gehörte da nicht hin.“

Für den Fahrer ist der alte Herr einer, der „wie aus der Zeit gefallen scheint“. Und doch lernen die beiden Männer sich nach und nach kennen und rücken im Taxi förmlich zusammen – Temperini belegt eines Tages statt der Rückbank den Beifahrersitz. Dies ist mit viel erzählerischem Gespür aufgebaut: Auch beim Leser steigt die Neugier auf diesen Wiedergänger Paganinis, ab und an meint man gar, mitten in einer „gothic novel“ zu sein.

Das Schicksal Temperinis ist jedoch ganz und gar erdgebunden: Das Leben eines begnadeten Musikers, das durch eine Erkrankung aus der Bahn gebracht wurde und in Einsamkeit und Armut endet. Etwas, was sich dem Taxifahrer jedoch zu spät, erst nach Temperinis Tod, vollständig enthüllt.

Ohne es aussprechen zu müssen (oder besser: „ausschreiben“), führt Theres Essmann die Leser so zum Kern der Geschichte: Krause gibt, auch mit Hilfe der lebensklugen Maria, seinem Dasein eine Wende, zwar nicht durch einen spektakulären Neubeginn, sondern eher durch einen neuen Blick auf das, was ist. Er schüttelt seine Traurigkeit, sein Phlegma, seinen Fatalismus ab – und plötzlich sind viele Wege wieder offen.

Theres Essmann gibt mit dieser Novelle ein Debüt, das von einem musikalischen Gespür für Sprache und Rhythmus zeugt. „Federico Temperini“ entfaltet auf knappen Raum, gekonnt verdichtet, das Leben zweier Männer, erzählt von gescheiterten Lebensentwürfen und vom Neubeginn sowie von einer ungewöhnlichen Freundschaft. Und nicht zuletzt macht diese Erzählung Lust auf eine Taxifahrt durch das nächtliche Köln.

Die 1967 im Münsterland geborene Theres Essmann studierte Literaturwissenschaften und Philosophie, lebt und arbeitet in Stuttgart und Köln. Für ihr Erzähldebüt erhielt sie ein Stipendium des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg. Mehr Information zu ihr und ihrem Roman findet sich unter www.theres-essmann.de

Bibliographische Angaben:
Theres Essmann
Federico Temperini
Verlag Klöpfer, Narr, 2020
164 Seiten, Festeinband mit Lesebändchen, 18,00 €
ISBN: 978-3-7496-1026-6
Verlagsseite mit Leseprobe: http://www.kloepfer-narr.de/federico-temperini/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Birgit Böllinger

Journalistin + PR für unabhängige Verlage, Literaturjunkie mit eigenem Blog (birgit-boellinger.com/blog).

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden