Das Recht am geschriebenen Wort

Initiative #fairlesen Sollte jedes Buch ab Veröffentlichung in der E-Book-Ausleihe der Bibliotheken zur Verfügung stehen? Einige Autoren wehren sich dagegen – mit guten Argumenten
Ausgabe 42/2021

Die Kassandren haben sich in Stellung begeben und fordern lautstark Gehör. Nachdem eine Initiative im Bundesrat vorsieht, dass Verlage ihre Texte zum Erscheinungsdatum für die E-Book-Ausleihe der Bibliotheken zur Verfügung stellen sollen, haben SchriftstellerInnen, Verleger und Buchhändler pünktlich zur Buchmesse die Initiative #fairlesen gestartet. Ihre Skepsis ist berechtigt. Schließlich haben die rund 185 BegründerInnen, darunter Sibylle Berg, Daniel Kehlmann und Sven Regener, die Verwerfungen auf dem Musikmarkt vor Augen, die das Lizenzsystem hervorrief. Die Spotifyisierung griff um sich. Statt mit dem noch erträglichen Verkauf von Alben werden heute – ganz im Sinne der individualisierten KonsumentInnen – die Umsätze mit einzelnen Songs erzielt, oft im kläglichen Centbereich. Träfe diese faktische Entwertung nun auch die Buchbranche, entgingen vielen ohnehin schon am Existenzminimum krebsenden Kleinverlagen und AutorInnen nötige Einnahmen, zum anderen wären die Urheberrechte letztlich privatwirtschaftlicher Akteure beschnitten.

Welches Recht hat also ein Staat dazu? Wohl ein gewichtiges, auf das sich der Deutsche Bibliotheksverband berufen kann, nämlich das Buch als allgemeines Kulturgut. Indem die öffentlichen Einrichtungen allen Zugang zu geistigem Eigentum verschaffen, tragen sie zu einem großen Maß zur Chancengleichheit und Barrierelosigkeit im Bildungssystem bei. Die Vielfalt des geschriebenen Wortes steht allen zur Verfügung. Gewiss sollte man diesen Umstand in ökonomischer Hinsicht nicht überschätzen. Denn wie die Interessenvereinigung in ihrer Stellungnahme festhält, besitzen lediglich rund zehn Prozent der Bevölkerung überhaupt einen entsprechenden Leseausweis. Die Zahl der aktiven E-Book-Nutzer liegt nochmals darunter. Zudem sei die von Bibliotheken zu erwerbende Lizenz zeitlich befristet. Auch diese Argumente erweisen sich als legitim.

Und doch kann man in dieser symbolträchtigen Debatte nicht umhinkommen, immer wieder die immense Arbeitsleistung hinter jedem einzelnen Werk zu wiederholen und mit Verve zu verteidigen. Dass der deutschsprachige Raum zu einem der literarisch produktivsten Standorte avancierte, verdankt sich allen voran auch den hier geltenden Schutzrechten. Wie oft stand etwa schon die Buchpreisbindung zur Disposition? Wollen wir die Einzigartigkeit unserer kreativen Landschaft bewahren, sollten uns gute Bedingungen wichtig sein. Zumal allein die voranschreitende Digitalisierung sowie Veränderungen bei den Verwertungsgesellschaften den Buchmarkt schwer genug erschüttert haben.

Die Frage, ob ein Buch letzthin direkt zum Veröffentlichungsdatum online in einer Bibliothek abrufbar sein soll oder ob eine zeitliche Verzögerung im Sinne der Hersteller sinnvoll wäre, mag zunächst marginal erscheinen. Sie rührt jedoch vom Grundsätzlichen her und stößt erneut den Diskurs über die richtige Vergütung kultureller Zeugnisse an. Einst verband man mit dem Internet die Vorstellung, Wissen in die Breite zu streuen. Doch was geschieht, wenn die elektronischen Medien paradoxerweise dazu führen, dass dieser Schatz schwindet? Der Romancier Oscar Wilde schrieb einmal: „Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert“ – treffender ließe sich aktuell kaum über Bücher sprechen.

Björn Hayer ist Literaturkritiker und Privatdozent an der Uni Koblenz-Landau

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