Die Kassandren haben sich in Stellung begeben und fordern lautstark Gehör. Nachdem eine Initiative im Bundesrat vorsieht, dass Verlage ihre Texte zum Erscheinungsdatum für die E-Book-Ausleihe der Bibliotheken zur Verfügung stellen sollen, haben SchriftstellerInnen, Verleger und Buchhändler pünktlich zur Buchmesse die Initiative #fairlesen gestartet. Ihre Skepsis ist berechtigt. Schließlich haben die rund 185 BegründerInnen, darunter Sibylle Berg, Daniel Kehlmann und Sven Regener, die Verwerfungen auf dem Musikmarkt vor Augen, die das Lizenzsystem hervorrief. Die Spotifyisierung griff um sich. Statt mit dem noch erträglichen Verkauf von Alben werden heute – ganz im Sinne der individualisierten KonsumentInnen – die Umsätze mit einzelnen Songs erzielt, oft im kläglichen Centbereich. Träfe diese faktische Entwertung nun auch die Buchbranche, entgingen vielen ohnehin schon am Existenzminimum krebsenden Kleinverlagen und AutorInnen nötige Einnahmen, zum anderen wären die Urheberrechte letztlich privatwirtschaftlicher Akteure beschnitten.
Welches Recht hat also ein Staat dazu? Wohl ein gewichtiges, auf das sich der Deutsche Bibliotheksverband berufen kann, nämlich das Buch als allgemeines Kulturgut. Indem die öffentlichen Einrichtungen allen Zugang zu geistigem Eigentum verschaffen, tragen sie zu einem großen Maß zur Chancengleichheit und Barrierelosigkeit im Bildungssystem bei. Die Vielfalt des geschriebenen Wortes steht allen zur Verfügung. Gewiss sollte man diesen Umstand in ökonomischer Hinsicht nicht überschätzen. Denn wie die Interessenvereinigung in ihrer Stellungnahme festhält, besitzen lediglich rund zehn Prozent der Bevölkerung überhaupt einen entsprechenden Leseausweis. Die Zahl der aktiven E-Book-Nutzer liegt nochmals darunter. Zudem sei die von Bibliotheken zu erwerbende Lizenz zeitlich befristet. Auch diese Argumente erweisen sich als legitim.
Und doch kann man in dieser symbolträchtigen Debatte nicht umhinkommen, immer wieder die immense Arbeitsleistung hinter jedem einzelnen Werk zu wiederholen und mit Verve zu verteidigen. Dass der deutschsprachige Raum zu einem der literarisch produktivsten Standorte avancierte, verdankt sich allen voran auch den hier geltenden Schutzrechten. Wie oft stand etwa schon die Buchpreisbindung zur Disposition? Wollen wir die Einzigartigkeit unserer kreativen Landschaft bewahren, sollten uns gute Bedingungen wichtig sein. Zumal allein die voranschreitende Digitalisierung sowie Veränderungen bei den Verwertungsgesellschaften den Buchmarkt schwer genug erschüttert haben.
Die Frage, ob ein Buch letzthin direkt zum Veröffentlichungsdatum online in einer Bibliothek abrufbar sein soll oder ob eine zeitliche Verzögerung im Sinne der Hersteller sinnvoll wäre, mag zunächst marginal erscheinen. Sie rührt jedoch vom Grundsätzlichen her und stößt erneut den Diskurs über die richtige Vergütung kultureller Zeugnisse an. Einst verband man mit dem Internet die Vorstellung, Wissen in die Breite zu streuen. Doch was geschieht, wenn die elektronischen Medien paradoxerweise dazu führen, dass dieser Schatz schwindet? Der Romancier Oscar Wilde schrieb einmal: „Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert“ – treffender ließe sich aktuell kaum über Bücher sprechen.
Kommentare 6
Die Autor/innen haben mit ihrer Initiative viele Leserinnen und Leser enttäuscht, weil sie die Leistungen der Bibliotheken schmälern und damit ihre Existenzberechtigung - trotz rhetorischer Pirouetten - in Frage stellen. Das deutsche Bibliothekswesen wird von der Politik seit Jahren stiefmütterlich behandelt. Die Personalausstattung, die Budgets für Bestandserweiterungen, die bauliche Ausstattung, um nur einige Punkte zu nennen, sind nur ein Bruchteil der Gelder, die etwa in den skandinavischen Ländern für die Bibliotheken ausgegeben werden. Lesen hat dort einen weitaus höheren Stellenwert als in Deutschland, dem Industrieland mit einem sehr hohen Anteil an funktionalen Analphabeten.
Gäbe es keine Bibliotheken, gäbe es weniger Menschen, die von ihrem schriftstellerischen Beruf leben könnten, denn die mehr als 8.000 öffentlichen Bibliotheken erwerben die Bücher meist in mehreren Exemplaren für ihren Bestand.
Der Bibliotheksverband weist zurecht darauf hin, dass "zum Schutz des Buchmarktes wie bei gedruckten Büchern gilt: 'eine Kopie, ein Ausleiher'. Das stellt sicher, dass ein E-Book zeitgleich nur von einer einzigen Person gelesen werden kann. Alle anderen Nutzer*innen können sich auf eine Warteliste setzen lassen."
Das schriftstellerische Arbeiten steht sowieso durch die Buchpreisbindung, die 1888 schon eingeführt wurde, unter einem staatlichen Schutzschirm. Die Produkte dieser Tätigkeit sind der freien Preisbildung entzogen. Das gilt auch für E-Books. 2016 wurde auch für sie die Preisbindung eingeführt. Das verschweigen die aufrufenden Autor/innen.
Deshalb ist der Vergleich des Artikelverfassers mit dem Musikmarkt völlig fehl am Platze. Er bringt ein Scheinargument hervor, indem er ein Produkt, das der freien Preisbildung unterliegt, mit einem solchen vergleicht, das staatlichen Schutz genießt.
Unter den jetzigen Bedingungen muss gelten was bisher galt. Die Bibliotheken zahlen die Lizenzgebühren für die E-Books in bisheriger Höhe, sonst droht bei deren schlechter Kassenlage ein deutlicher Leistungsrückgang. Es gibt in der Politik wenig Rückhalt für das Bibliothekswesen. Wenn die Zahl der Ausleihungen sinkt, könnte manche Politikerin, wie in der Vergangenheit schon geschehen, auf die Idee verfallen, den kommunalen Haushalt mit diesem Posten nicht mehr zu belasten. Damit wäre weder den Leser/innen noch den Autor/innen geholfen.
Damit der Digitalpack Sinn macht, sollte man die Lebenserwatung der Leser gewaltig senken, denn es dürfte ja wohl klar sein, daß nach 20, 30 Jahren täglichem Bildschirmlesen totale Verblödung einsetzt.
Wie wär es mit 32 Jahren? Das ist in etwa das Alter, das die Bestie Mensch braucht, um sich selbst zu reproduzieren.
Der Artikel ist so ärgerlich wie die Aktion #fairlesen. Man fragt sich, wie man derart mit Kanonen auf Spatzen schießen kann.
Das Modell Bibliothek für hypothetische Umsatz- und Einkommensausfälle verantwortlich zu machen und dabei darauf zu verweisen, dass man die Aufgabe der Bibliotheken selbstverständlich schätze - wie es #fairlesen formuliert - ist entweder dämlich oder schlicht ahnungslos. Dass Bibliotheken für den Verleih von E-Books derzeit noch die Konditionen jeweils mit den Verlegern aushandeln müssen, ist schlicht eine Gesetzeslücke, welche die Verleger eben ausnutzen. Dass diese geschlossen werden muss - wozu offenbar gehört, dass digitale Formen ausdrücklich im Gesetz erwähnt werden -, versteht sich eigentlich von selbst. Im Grunde besteht hinsichtlich der Lizenzen für Bibliotheken überhaupt kein Unterschied zum gedruckten Buch (dass E-Books zumeist günstiger als die gedruckte Form sind, ist dabei wohl kaum Schuld der Bibliotheken). Auch ein E-Book kann nur an einen Nutzer zur selben Zeit verliehen werden.
Hingegen tut die Initiative und eben auch hier Herr Hayer so, als trügen die Bibliotheken zum Ruin kleiner Autoren und kleiner Verlage bei. Paradoxerweise erwähnt man dazu, dass nur jeder zehnte Deutsche einen Bibliotheksausweis habe. Wie das dann argumentativ zusammenpassen soll, weiß der Fuchs. Genauso, fragt man sich, was in diesem Zusammenhang mit "Spotifyisierung" im Literaturmarkt gemeint sein soll. Die Lizenzen an Bibliotheken? Nicht Ihr und Euer Ernst, oder??!!
Dass die Verlage die Gesetzesreform nicht wollen, ist freilich vorstellbar. Lesen 50 Bibliotheksnutzer eine Buchkopie, sind das im "schlimmsten" Fall 50 Leute, die kein Buchexemplar kaufen. Dass auch das freilich zu kurz gedacht ist, weil Bibliotheken eben auch eine große Bedeutung in der Leseförderung haben und damit Bücher-Leihende auch am ehesten Bücher-Kaufende werden, liegt auf der Hand und nicht jeder Verleger wird unbedingt so eng denken. Dass sich allerdings so viele Autoren zu so einer dämlichen und nicht zu Ende gedachten Aktion hinreißen ließen (und vielleicht noch lassen), ist allerdings schon bedenklich und muss eigentlich am ehesten unter "mausgerutscht" verbucht werden. Zumal es ja auch so ist, dass Autoren für die hypothetisch entstehenden Einkommensausfälle durch unerlaubtes Kopieren und erlaubtes Verleihen durch Bibliotheken durch die VG-Wort entschädigt werden.
Ein deutlich brauchbarerer Kommentar findet sich z. B. bei Heise online:
https://www.heise.de/news/Kerkeling-Zeh-Fitzek-und-mehr-gegen-Zwangslizenzierung-fuer-Onleihe-6220654.html
Vielleicht habe ich an dem Ganzen etwas Entscheidendes nicht verstanden. Meines Wissens ist es doch so, dass Stadtbibliotheken und ähnliche Einrichtungen die im jeweiligen Bestand befindlichen e-Books zu den gängigen Marktkonditionen erwerben. Wie ich die aktuelle Diskussion um die »Vorhaltungspflicht« verstehe, würde der Erwerb unter den neuen, in der Diskussion befindlichen Modalitäten bedeuten, dass Verlage verpflichtet sind, jede Stadtbibliothek oder ähnliche Einrichtung mit der e-Book-Version einer Neuerscheinung auszustatten.
Im Anblick einer Einrichtungen-Anzahl in vermutlich fünfstelliger Höhe wäre das doch erst mal ein Geschäft – vielleicht weniger für Bestseller, aber doch für den Gros des Restes, bei dem nunmehr der Absatz eines nicht unerheblichen Festkontingents garantiert ist. Sicher lässt sich dieser – es sind ja nicht unbeträchtliche Kosten, die da auf Vater Staat zukämen – drücken: indem Ausleihmodalitäten aufgeweicht und das de facto zwangerequirierte Gesamtsortiment größeren oder auch sehr großen Pools von Leiheinrichtungen der öffentlichen Hand zugewiesen wird. Nichtsdestotrotz: Unter regulären Ankauf-Bedingungen wären laufende Gesamtsortiments-Erwerbe selbst für große Bibliotheks-Verbünde finanziell so gut wie nicht zu stemmen.
Was heißt: Würden die pflichtkonfiszierten Digitalbuch-Kontingente staatlicherseits normal vergütet, wäre die causa eventuell eine Diskussion wert. Ehrlich gestanden klingt die Chose für mich jedoch eher nach Requirierung für lau – vergleichbar mit der Pflicht, die Nationalbibliothek mit ein oder zwei Exemplaren einer Neuerscheinung zu bestücken. Kurzum: Auch wenn die Angelegenheit für die Nutzer(innen) von Bibliothekseinrichtungen ein (extrem) erweitertes Sortiment zur Folge hätte, kann ich gut verstehen, dass Autor(inn)en und Verlage hier auf die Barrikaden gehen. Im Grunde ist es das alte Ding: Der Lohn für erbrachte Leistung soll in den Keller gedrückt, im konkreten Fall staatlicherseits sogar gänzlich »gecancelt« werden. Das jedoch ist nicht Fortschritt: das ist – um das Wörtchen »neoliberal« an der Stelle mal zu vermeiden – Ausverkauf und das Schreddern von Buchkultur in großem Stil. Sollte staatlicherseits jedoch vergütet werden, würde die neue Lösung jede Menge Trittbrettfahrer auf den Plan rufen – mit billigst und unaufwändigst produzierten Schrott-Publikationen, die Vater Staat nun aufkauft. Insgesamt erscheint mir das Ganze wie eine typische Geburt von Leuten, die von staatlichem Regularismus und Bürokratie nie genug bekommen können – und die, wenn ihre Kopfgeburten kränkeln oder ganz gegen die Wand fahren, einfach sagen: »Alles nicht so schlimm. Machen wir einfach eine neue Kommission.«
"[...] pflichtkonfiszierte[n] Digitalbuch-Kontingente [...] für lau [...]"
Ja, diesen Eindruck kann man mit den Formulierungen von #fairlesen haben. Ob das auch deren Kalkül ist, will ich nicht beurteilen. In jedem Fall hat das nichts mit der Realität bzw. der vom DBV geforderten Gesetzesnovelle zu tun. Plichtexemplare sind allein an die DNB sowie die Regionalbibliotheken der Länder abzuliefern; in letzterem Fall die in einem jeweiligen Bundesland oder mit Bezug zu diesem erscheinende Literatur betreffend. Daneben entscheidet jede Bibliothek im Rahmen ihres Konzeptes o. Auftrages, im Falle der Stadtbibliotheken v.a. aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten, was sie erwirbt und zur Verfügung stellt.
Es geht schlicht um die Schließung einer von den Verlegern ausgenutzten Gesetzeslücke, die Bibliotheken eine den Druckwerken gleichgestellten Erwerb und eine gleichgestellte Verfügbarmachung von E-Books ermöglicht. Derzeit sind die Konditionen dafür nämlich noch mit den Verlagen bzw. mit Unternehmen, die als Aggregatoren für digitale Medienangebote auftreten und auch die "Onleihe" technisch abwickeln, auszuhandeln. Dass das eine absurde Situation ist, liegt eigentlich auf der Hand. Dass die Unternehmen - Verlage und Driite - hier eher am status quo ein Interesse haben, ist irgendwie klar. Aber die Autoren? Ich glaube, so mancher weiß gar nicht wirklich, was für einen Quatsch er da unterschrieben hat.
Es geht in keinem Fall darum, dass Bibliotheken E-Book Lizenzen kostenlos bekommen sollen. Es geht nur darum, dass sie das Recht bekommen sollen, jedes am Markt angebotene E-Book zu kaufen (zu lizensieren) und auszuleihen. Hier lassen sich leider Autor*innen vor den falschen Karren einiger Verlage spannen. Wenn das Recht der Bibliotheken wie vom Bundesrat verlangt endlich etabliert wäre, könnten die Länder die schon seit langem für analoge Bücher gezahlte Bibliothekstantieme auf E-Books ausweiten. So würden Autor*innen und zu einem Teil auch Verlage dann von der E-Book Ausleihe (Onleihe) in Bibliotheken auch etwas abbekommen.