Der Maskulinismus frisst seine Männer

SPD Es ist Zeit für eine etwas andere Kritik. Nicht an Andrea Nahles selbst, sondern an den Männern, durch die sie erst aufsteigen konnte

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Der Maskulinismus frisst seine Männer

Foto: Robert Schlesinger/Getty Images

Ich bin ein linker Nicht-SPDler und mag Andrea Nahles nicht. Ich mag nicht ihre Art. Ich mag nicht wofür oder beziehungsweise wofür sie nicht steht. Aber meine Befindlichkeiten sind unwichtiger als die Katastrophe in welcher sich diese Partei und dieses Land befinden.

Eigentlich dürfte ich mich wegen Befangenheit garnicht äußern. Andrea Nahles und ich stammen aus demselben Bundesland.

Nur das ich als aufgewachsener Pfälzer mit ihrem rheinländischen Eifel-Habitus nichts anfangen kann. Eigentlich müsste alles ab Koblenz zu NRW gehören, anstatt mit der Pfalz ein Bundesland zu bilden.

Aber so ist das beiBindestrich-Bundesländern. Lokalpatriotismus, als einzige den Linken noch geradewegs akzeptable Form von deutschen Zugehörigkeitsgefühl gegenüber dem gesamtdeutschen Patriotismus, endet schließlich dort wo man sich ein Bundesland mit einer anderen Dialekt-Gruppe teilt. Beziehungsweise deren Politiker*Innen als die seinen akzeptieren muss.

Nichtsdestotrotz hört man in den letzten Tagen viele Stimmen in der SPD, die eine Rückkehr von Sigmar Gabriel wünschen. Und ohne dass das an meinem Gefühl für Andrea Nahles etwas ändern würde, muss ich sie spätestens jetzt leider in Schutz nehmen.

Nein, Andrea Nahles ist nicht die Erlöserin der SPD. Ganz sicher nicht.

Aber sie ist auch nicht deren Totengräberin. Sie ist ein Symptom der Krise der SPD. Und jeder Parteichef/jede Parteichefin nach ihr wird es ebenfalls sein.

Denn jetzt wiederholt sich ein Reigen an destruktiv-maskuliner Projektion, der Andrea Nahles Auftreten und ihre Kompetenz in Frage stellt. Ich glaube das die Kritik an ihr zum großen Teil mit ihrem Geschlecht zu tun hat. Viele Männer empfinden Frauen als Provokation, die sich mit ihrer körperlichen Präsenz und Stimme in Szene setzen.

Aber genau jene jetzt rebellierende Macho-Kultur in der SPD ist ein Grund für ihre Krise. Sie ist eine Begleiterscheinung des Neoliberalismus, in dem ehemalige Arbeiter*Innen Kinder groß aufsteigen, und selbst Teil des Establishments wurden, dass sie früher verabscheuten. Wie hätten der junge Gerhard Schröder und der junge Olaf Scholz auf ihr späteres Ich geblickt. Wäre ihnen vom Anblick schlecht geworden?

Es war ihr Ego das sie aufsteigen und später scheitern liess. Und nach vielen Münteferings, Becks, Gabriels, Steinbrücks und Schulzes blieb am Ende die nächstbeste Alternative für die Funktionäre übrig.

Andrea Nahles.

Deswegen ist es richtig und notwendig, dass die weibliche Stimme der Emanzipation in der Sozialdemokratie nun stärker in Erscheinung tritt. Von Andrea Nahles abgesehen, sind es für mich ausgerechnet die vielen Frauen in der SPD, die noch Grund zum Hoffen für diese Partei lassen.

Katarina Barley, die einen zeitgemäßen Aufbruch für mehr Europa verkörpert. Franziska Giffey, die beweist das die Arbeit ihres Ministerium mehr als nur „Gedöns“ ist. Manuela Schwesig und Petra Köpping, denen es gelingt die Belange der Ostdeutschen endlich stärker in die Debatte einzubinden.

Deshalb wäre es wünschenswert wenn die Deutungshoheit der Kritik an Andrea Nahles nicht mehr den Männern überlassen wird, die Nahles Rolle irrwitzigerweise durch deren Macho-Gehabe verstärken. Sondern den Frauen.

Denn in der Öffentlichkeit scheint die Arbeit der ersten Vorsitzenden der SPD zurecht immer mehr Feminist*Innen, darunter auch männliche Feministen, zu empören.

Bestes Beispiel: Der § 218/219a Kompromiss ist an Rückgratlosigkeit und Kadavergehorsam gegenüber der Union nicht mehr zu überbieten. Kann man die Kritik an Nahles Arbeit da noch der alten männlichen Garde überlassen? Ganz klar NEIN!

Die SPD hat in den letzten Jahren so viele männliche Vorsitzende aufgefressen, oder gewartet bis die sich selbst auffraßen.

Gerechterweise muss man sagen das es vielleicht unmöglich ist, diese Partei jemals wieder zum Erfolg zu verhelfen. Die Flügel, darunter die Seeheimer*Innen, Netzwerkler*Innen und die Linken, liefern sich vor den Augen der Öffentlichkeit einen erbitterten Stellungskrieg über jedes Gremium, jeden Landesvorstand und jede Position. Anschließend müssen sie sich noch mit der Union einig werden.

Heraus kommen dann sehr unbefriedigende Kompromisse, wie die Geschichte um die Reform des §219a StGB die natürlich niemanden zufriedenstellen kann und die SPD wieder mal als zu beliebig dastehen lassen.

Erneuerung kann unter solchen Umständen niemals gelingen. Denn das würde erfordern, dass eine Seite mal bereit wäre nachzugeben.

Zum Beispiel die Männer in der SPD (sowohl Rentner und als auch Aktuelle) täten gut daran nicht immer den Prellbock zu spielen.

Ein gewisser durch seine Lobby-Arbeit polarisierenderBundestagsabgeordneter von Hamburg-Mitte, sollte nicht mehr mit seinem „House of Cards“ jegliche notwendige Erneuerungblockieren, und vielleicht darüber nachdenken in die Union zu wechseln.

Ein ewiger „geliebter“ Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein sollte mal den Generationenwechsel einleiten, und seinen musikalischen Lebensabend in Bordesholm geniessen. Einen guten Musikgeschmack hat er zugegebenerweise ja.

Das gleiche gilt auch für zwei prominente Niedersachsen.

Auch eine aktuelle Vorsitzende täte gut daran zu überlegen wo die Reise der SPD denn hingehen soll.

Einen zweiten viel gravierenderen Rat der ihre Karriere sofort beenden würde, will ich als Mann Andrea Nahles nicht geben.

Das müssen andere tun.

Und bitte keine Männer mehr!

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Geschrieben von

Blue Sweet Potato

narrenfreier parteiloser linker Aktivist der sich ungefragt zu Wort meldet gerade dann wenn es am meißten wehtut.

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