Colonia Dignidad im Kino

Gewalt und Unterwerfung Wie ein deutscher Sektenguru seinen Gefangenen das Kreuz bricht, ohne sie körperlich zu verletzen.

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Colonia Dignidad – es gibt kein Zurück ist wahrlich kein Stoff für einen kuschligen Filmabend.

Danach bist du erstmal platt. Die Bilder der KZ-ähnlichen deutschen Kolonie in Chile, vermittelt durch den ekelhaft guten Michael Nyqvist in der Rolle des bösen Sektenführers Paul Schäfer, sind bestens geeignet, dich bis in den Schlaf zu verfolgen. Über die politische Aussage hinaus werden sie nämlich zur allgemeingültigen Metapher für Machtmissbrauch und (sexuelle) Unterwerfung.

Der wichtigste Satz: „Menschen foltern ist keine Kunst. Aber sie zu brechen, ohne sie körperlich zu verletzen, das ist Kunst.“

PM fühlt sich an Das Weiße Band erinnert, ich mich an meine Zeit in Essen bei einer durchgeknallten Familie, die der Moralischen Aufrüstung angehörte, ohgottohgott, na ja, ist zum Glück lange her …

Dazu passen die Ausführungen der Mitscherlichs im Kapitel Tabu – Ressentiment – Rückständigkeit demonstriert an geschichtlichen Entscheidungen (aus: Die Unfähigkeit zu trauern):

Ein Tabu ist immer mit einem Denkverbot verknüpft. Es ist das Gegenteil von kritischer Reflexion. Wie jedes Verbot befördert es Abwehr, diese blockiert wiederum ein freies Urteil und vermehrt die Rückständigkeit.

Das Tabu repräsentiert – ursprünglich im Gewand einer göttlichen Gebotes – die Gesellschaft gegenüber dem Individuum. Der Befehl, der ergeht, ist unbedingt. Da das Tabu Verbote ausspricht, aber die Einsicht verhindert, entsteht diesen Verboten gegenüber Hass und Widerwillen, die jedoch nicht offen gezeigt, sehr oft nicht mal bewusst erlebt werden. Auf die Weise bleibt der Gehorchende in der infantilen Position des Kindes, das nicht fragen darf.

Was seinen Hass auslöst, hat aber in erster Linie nichts mit der Person zu tun, die das Tabu ausspricht. Es ist vielmehr der Hass auf das eigene Unvermögen, konstruktiv und spannungslösend auf das Tabu zu reagieren.

So ist es weniger das unzumutbare Verbot, die Kränkung oder die Beleidigung, die unsere Wut auslösen, als vielmehr die Tatsache, dass entlastende Affekte keinen Ausdruck finden dürfen. Die Machtverhältnisse zwischen Verbieter und Verbotsempfänger, zwischen Beleidiger und Beleidigtem geraten ins Ungleichgewicht und der Selbstwert ist ernstlich in Frage gestellt. Die Wut des Beleidigten, Gekränkten richtet sich also gegen ihn selbst, oder gegen seine Erziehung, die ihm diese Denk- und Affekthemmung eingeimpft hat.

Genau das kommt in dem Film Colonia Dignidad gut zum Ausdruck. Die Aufseherin zum Beispiel ist eine sich selbst und die Welt hassende Frau, die die Tritte nach unten weitergibt, die sie sich von oben, von Paul Schäfer höchstpersönlich, einfängt.

Bestimmt gibt es einiges an dem Film zu kritteln und zu nörgeln. Ein Film, der nach zwei Stunden noch in deinem Kopf festhängt, ist ein Gewinn, so jedenfalls meine Meinung, und das ist hier definitiv der Fall.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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