Amtspflicht

Einfach mal Urlaub machen Politisches Versagen oder das Dilemma von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

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Zwei Politikerinnen führen familiäre Pflichten an, um ihre mehrwöchige Abwesenheit während und nach der Jahrhundertflut vom 14./15. Juli 2021 zu begründen:
Ministerin Ursula Heinen-Esser am 25.03.22: “Meiner minderjährigen Tochter hatte ich nach zwei Jahren Pandemie den Urlaub versprochen.”
Ministerin Anne Spiegel gestern in einer Pressekonferenz: “Die Coronapandemie war für uns mit vier kleinen Kindern eine wahnsinnige Herausforderung. […] Das hat uns als Familie über die Grenze gebracht.” (Gemeint ist wohl: an unsere Grenzen gebracht.)

Aus feministischer Perspektive empfinde ich es als sehr unglücklich, wenn gleich zwei Amtsträgerinnen – die zurückgetretene NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) und die damalige rheinlandpfälzische Umweltministerin und inzwischen ebenfalls zurückgetretene Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne)* – ihre Kinder und kranken Familienmitglieder vorschieben, wo sie politisch schlichtweg versagt haben. Weil diese allzu durchschaubare Methode hämische Kommentare geradezu produziert. Den Frauen in Führungspositionen haben Heinen-Esser und Spiegel jedenfalls einen Bärendienst erwiesen, doch das nur nebenbei.


Beide Politikerinnen waren während bzw. unmittelbar nach der Flutkatastrophe für mehrere Wochen in Urlaub gefahren. In den Ohren der Flutopfer hören sich ihre Begründungen grotesk an. Von Urlaub können die Menschen aus den betroffenen Regionen nur träumen, nachdem die Wassermassen in einer einzigen Nacht ihre Häuser, ihre Existenzen und in 180 Fällen ihre Leben mit sich gerissen haben.


Beide Umwelt-Politikerinnen geben mit ihren Statements indirekt zu verstehen, dass sie Familie und Beruf nicht unter einen Hut kriegen. Für ein Amt mit hoher (politischer) Verantwortung stellt sich die Problematik der familiären Vereinbarkeit mit Sicherheit in verschärftem Maß. In bestimmten lebensplanerischen Situationen sollte man/frau es dann besser nicht annehmen. Wenn es aber einmal angenommen worden ist, kann in einem Katastrophenfall, der sich im eigenen Bundesland ereignet, der Urlaub eben nicht stattfinden. So einfach stellt sich das für die betroffenen Bürger*innen dar, die in der Flut ihr bisheriges Leben verloren haben, die monatelang Schlamm geschippt und Mauerwerk abgeklopft haben und bis heute in Notunterkünften leben müssen.

Die Tausenden von Menschen in den Flutgebieten, die jeden Morgen auf eine radikal zerstörte Landschaft blicken, deren Häuser zum Teil immer noch unbewohnbar sind, die dringend auf Handwerker und immer noch auf die zugesagten Hilfsgelder warten, denen die Verzweiflung an manchen Tagen die Kraft zum Weitermachen raubt, die sind nicht gut auf die politische Riege zu sprechen. Und das ist noch ein Euphemismus.

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Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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