Den Linken ein Bärendienst

Rollenwechsel. Sind Uniformträger*innen in jedem Fall verdächtig?

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Eine Polizistin ist in einem Intercity von einem Flüchtling aus Eritrea mit dem Messer angegriffen und im Gesicht verletzt worden.

Bevor er auf die 22-Jährige losging, hatte der Angreifer einen anderen Fahrgast schwer verletzt. Die Polizistin war zu dem Zeitpunkt im Bereitschaftsdienst oder privat unterwegs, hier unterscheiden sich die Quellen, jedenfalls war sie einer Lautsprecherdurchsage gefolgt, nach der ein Polizist im Zug gesucht wurde, um den "Streit" zu schlichten. Als sie dazu kam, ging der Messerangreifer sofort auf sie los.

Im Bericht der taz vom 1. Juni 2018 hört sich das so an, als sei die Polizistin zufällig im Zug, d.h. außerhalb ihrer Dienstzeit gewesen. Damit beginnen für die Verfasserin des Artikels, Esther Geißlinger, die strittigen Fakten. "Anfangs schienen die Rollen klar verteilt", heizt sie ein, um dann die Flensburger Oberstaatsanwältin Ulrike Stahlmann-Liebelt mit einer läppischen Frage zu zitieren und damit in einen fragwürdigen Fokus zu rücken. Diese nämlich hatte beim Interview auf dem Nachrichtenportal der Welt auf die Frage der Moderatorin nach dem Täter zurückgefragt: 'Äh, mit Täter meinen Sie den Getöteten?'"

Wenn sogar die Staatsanwältin in dem Fall nicht zwischen Täter und Opfer zu unterscheiden weiß, wie dann wir?, suggeriert dieser Schlenker ins Reich der Diffamierung und des blinden PolizistInnen-Bashings. Krampfhaft wird versucht, der Polizistin die Schuld in die Schuhe zu schieben: Warum trägt die auch Uniform? Denn der flüchtige Eriträer, so phantasiert Geißlinger weiter, habe "vielleicht unter einer psychischen Störung [gelitten], hat der Anblick der Uniform eine Panikreaktion ausgelöst?"

Da frag ich mich doch, wie vergewaltigte Frauen im Zug auf Männer (= potentielle Vergewaltiger) reagieren mögen - haben die auch alle ein Messer dabei und stechen los, wenn männliche Fahrgäste schlimme Erinnerungen bei ihnen auslösen?

Der Artikel von Geißlinger relativiert das Täter-Opfer-Gefüge: Polizistin = schlecht / verdächtig, Flüchtling = gut, traumatisiert. Ist solches Victim-Blaming, wenn es sich um eine Polizistin handelt, linke Positionierung? Meiner Meinung nach ist das eher ein Bärendienst an der Linken.

Sei's drum, eine Frau in Uniform steht nach Geißlinger erstmal unter Generalverdacht. Weibliche Solidarität gegen einen männlichen Aggressor? Pustekuchen! Dass die junge Polizistin im Gesicht verletzt wurde, scheint Geißlinger keine Zeile wert, diese Fakten muss man sich erst in anderen online-Medien zusammensuchen (z.B. im Hamburger Abendblatt).

'Ist das "Argumentationsaktobatik", wie ein Kommentator es nennt? Oder einfach mangelnde Empathie mit dem Opfer? Oder ein Fall von weiblicher Frauenfeindlichkeit? Jedenfalls ist der Artikel der Autorin pejorativ, tendenziell und abwertend gegenüber der Polizistin, während der wahre Täter zum Opfer stilisiert wird.

Anfang der achtziger Jahre erzählte eine Kommilitonin mir, sei sei an der Steinlach von einem französischen Soldaten vergewaltigt worden. Auf meine Frage, ob sie den Vorfall bei der Polizei gemeldet habe, zuckte sie die Schultern und erklärte mir: "Ach, der ist ja vielleicht so ein armes Schwein beim Militär und hat schon lange keine Frau mehr gehabt."

Ich war fassungslos über ihre eigene Geringschätzung. Wenige Wochen später hörte ich, dass sie inzwischen in der Psychiatrie war; ihre Klinikeinweisung führte ich auf ihre vollkommen verschobene Realitätswahrnehmung zurück.

'Der taz-Artikel verströmt den gleichen Geist von Realitätsverkennung.
"Klar", gesteht Geißlinger großmütig zu: "Wer mit einem Messer angegriffen wird, darf sich wehren." Um sich dann noch einen echten journalistischen Schnitzer zu leisten:

"Die Beamtin aus Bremen hatte eigentlich dienstfrei, hätte also keineswegs in Uniform reisen müssen. In Schleswig-Holstein, so sagte der Leiter der Polizeischule in Plön in einem Interview, ist es eigentlich nicht vorgesehen, dass Beamte in der Freizeit mit Uniform und Waffe unterwegs sind."

Okay!, die Polizeischule ist weder in Plön (sondern in Eutin), noch ist das Tragen der Uniform der Polizistin in ihrer Freizeit in irgendeiner Weise verdächtig. Vielmehr ist es von den Bahngesellschaften ausdrücklich erwünscht, um das subjektive Sicherheitsgefühl der Reisenden zu erhöhen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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