Wer hinterfragt ist rechts?

Ab in die Schmuddelecke Antinational und asozial - wie die Meinungsbildung auf Kurs gebracht wird

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Der Eklat um die ehemaligerbb-Intendantin Patricia Schlesinger hat es offengelegt: den TV-Funktionären sind ihre Posten & Privilegien wichtiger als ihr öffentlich-rechtlicher Auftrag. Das ist weder neu noch besonders spektakulär, höchstens der Umfang von Schlesingers Griff in die Kassen.

Fazit aus der Causa Schlesinger: Die Selbstkontrolle durch Verwaltungsräte funktioniert nicht. Wie sollte sie auch? Die Gelder fließen ja ohnehin – jährlich vom Staat garantierte 8,5 Milliarden Euro!, den Hauptanteil stellen die Rundfunkgebühren. Kurioserweise haben ausgerechnet wir Gebührenzahler*innen nicht den geringsten Einfluss, wir können die Zahlung nicht einmal verweigern.

Vielschichtigkeit kommt dabei nicht gerade raus. Solange die Interessengruppen sich gegenseitig Posten und Geschäfte zuschieben, nivelliert sich ihre Profilierung. Alle hängen bei allen mit drin. Das Ergebnis: Eine geradezu verblüffende Gleichförmigkeit der Redaktionen und ein sich pandemisch ausbreitender, unerträglicher Meinungs- und Empörungsjournalismus mit übereinstimmenden Empörungsobjekten.

Offiziell bezahlen wir unsere Gebühren für eineunabhängige und objektive Berichterstattungüber politische und gesellschaftliche Themen zur Förderung der Meinungsbildung aller Bundesbürger*innen. Jeden Monat ist uns die Förderung unserer Meinungsbildung 18,36 € wert.

Aus dem faktischen Einheitsbrei sich eine Meinung zu bilden, ist jedoch definitiv schwierig – insofern war die Zeit reif für den Knall. Spätestens jetzt reiben sich die mundtoten Konsument*innen die Augen und fangen an, die einzige Art ihrer Einflussnahme wahrzumachen: Sie konsumieren nicht mehr. Sie schalten ab, bzw. sie kündigen ihre Mainstream-Abos. Auf alternativen Nachrichtenseiten liest man dann viel ungefilterten Blödsinn, aber auch manches, was nachdenklich macht. Und manches Überraschende, was den Öffentlich-Rechtlichen bzw. den großen Printmedien keinerlei Erwähnung wert ist. Wie das konkret abläuft, lässt sich aktuell an der NDR-Spitze beobachten. Nachweislich verschonte der NDR nicht nur die schleswig-holsteinische Regierung, sondern auch das Deutsche Rote Kreuz. So wurde ein von langer Hand recherchierter Skandal, in den das DRK vor Jahrzehnten verstrickt war, nicht veröffentlicht. Warum das? Wie derSternherausgefunden hat, war die Vorstandsvorsitzende des DRK zur betreffenden Zeit mit der Vorsitzenden des NDR-Rundfunkrates liiert. Der Beitrag hätte kein gutes Licht auf sie geworfen.

Man könnte darüber lachen, wenn diese hier im Kleinen wirkmächten Verbandelungen nicht auch im Großen gang und gäbe wären. Die Schadenfreude über die Entlarvung von Spitzenleuten hat aber noch eine ganz andere Ursache. Die mediale Einheitsstimme maßt sich an, die Stimme der Moral für die Bevölkerung zu sein. Einen dieser Moralapostel stürzen zu sehen, macht Spaß, ich gebe es gerne zu.

Beispiel Russland-Politik: wer sich auch nur ansatzweise verdächtig macht, hier nicht auf Linie zu sein – ein Stichwort reicht meistens aus – wird als unpatriotisch, als dumm, als putinversteherisch abgekanzelt. Mit dieser Zuschreibung muss sich jede und jeder arrangieren, die/der für Verhandeln statt Aufrüsten, für Pazifismus, für Völkerverständigung mit Russland, für den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland, gegen kriegerische Eskalation, gegen Waffenlieferungen, gegen sinnlose Wirtschafts- und Finanzblockaden, gegen Russ*innen-Bashing ist. Die/der gar Kritik an den USA bzw. an der NATO äußert. Die/der sich nicht vereinnahmen lässt von Solidaritätsforderungen, die außer unfreiwillig auch noch sinnlos sind. Ich fühle mich nicht als Teil einer Gassparer-Community. Als Ruhrpottpflanze ist mir das Energiesparen in die DNA geschrieben. Von klein auf wurde mir eingebimst, Fenster und Türen zu schließen, denn für jede Minute verpulverte Energie malochte ein Hauer eine halbe Stunde unter Tage. Die Solidarität mit den Hauern, die für uns im Schweiße ihres Angesichts die Kohle hochholten, war mir schon in jungen Jahren verständlich und selbstverständlich.

Unverständlich ist mir dagegen, dass wir ständig am Solidaritäts-Schlafittchen gepackt werden, wenn es um die Sanktionen des Westens geht. Unverständlich auch die Nicht-Thematisierung der mittlerweile unbestreitbaren Tatsache, dass die Sanktionen die deutsche Volkswirtschaft mindestens genauso beschädigen wie die russische. Erwähnt sei an der Stelle der offene Handwerkerbrief aus Sachsen Anhalt an Olaf Scholz: “Die breite Mehrheit ist nicht gewillt, für die Ukraine ihren schwer erarbeiteten Lebensstandard zu opfern.” So unklar es ist, wie breit diese Mehrheit wirklich ist, so klar ist, dass das Schreiben in der Presse und in Polit-Talkshows verrissen wird. Klingt irgendwie nach Volkes Stimme. So was Peinliches will man nicht hören.

Wann sind Journalist*innen eigentlich so reaktionär geworden? Warum sanktioniert man sie nicht für ihre traumselige Regierungstreue? Wie auf Droge nicken sie alles ab, was die Ampel ausbaldowert, rufen in schönster Einstimmigkeit nach Waffenlieferungen, jetzt auch nach Entlastungspaketen – dass die Bevölkerung bloß nicht auf die Idee komme, Baerbock & Co mit einem “Volksaufstand” zu erschrecken.

Die Bevölkerung, also wir, wird ganz direkt von Politik und Medien gebrieft mitzuspielen. Wer das nicht tut, ist antinational und asozial und – rechts.Nancy Faeserist Meisterin im prophylaktischen Framing: „Natürlich besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.“ So Faeser vergangenen Sonntag im Handelsblatt (leider mit Bezahlschranke). Betreutes politisches Denken, nennt das der Kultur- und Wissenschaftsjournalist Alexander Grau imCicero.

Die Zeitenwende, von der Scholz spricht – ich habe Angst davor. Das Kriegsgeschrei im Namen der Ukraine erschreckt mich. Ich war und bin Teil der Abrüstungsbewegung. Dort ist meine Solidarität verortet. Den Traum der Ampelkoalition von Deutschland als stärkster Militärmacht Europas träume ich nicht mit. Das waren wir schon mal, nichts Gutes war daran. Nicht zufällig denke ich in diesen Zeiten häufig an Churchills Nachkriegsvision, Deutschland zu einem Agrarland zu machen. Die Kriegsprofiteure Rheinmetall und Krauss-Maffei-Wegmann reiben sich noch nachträglich die Hände, dass daraus nichts geworden ist.

Wenn Außenministerin Baerbock davon redet, die Deutschen seien ihr zu kriegsmüde, erschrecke ich bis ins Mark. Hat sie nieIm Westen nichts Neuesgelesen? Wo bleibt der Aufschrei der Medien? Sind Winnetou und Dreadlocks wirklich die Themen, die uns aktuell bewegen? Oder will der Empörungsjournalismus mit solchen Nebenschauplätzen davon ablenken, dass es in unserer verfahrenen Weltlage einzig darum geht, die eigene Haut zu retten? Also um Posten und Spesen? Womit wir wieder bei der Causa Schlesinger wären.

Vor ein paar Tagen hat Baerbock auf einer Podiumsdiskussion in Prag verkündet, die Ukraine so lange zu unterstützen und so lange zu liefern wie nötig: “If I give the promise to people in Ukraine: ‘We stand with you as long as you need us’, then I want to deliver – no matter what my German voters think.”

Ganz egal, was meine deutschen Wähler denken?Der letzte Halbsatz war ein Halbsatz zu viel. Überall wurde er zitiert - wie ein plötzliches Erwachen und Besinnen auf das kritische Potential des Journalismus. Auf die kluge Gegenrede. Einen Tag später sah es jedoch schon wieder komplett anders aus. Das Baerbock-Video sei ein prorussischer Zusammenschnitt, die Proteste kämen im Wesentlichen aus den Reihen der AfD, so Kanzler Scholz in schönster Einstimmigkeit mit der Presse – oder umgedreht.

Same procedure as… Wer nachfragt, kann nur rechts sein?

Ich stehe, seit ich mich als politisch Denkende begreife, links. Links sein heiß für mich immer auch kritisch sein. Das Verhalten von Frau Schlesinger, von den NDR-Oberhäuptlingen, von den Journalist*innen, die jetzt der Außenministerin zur Hilfe eilen, weil sie im Eifer des Gefechts Quatsch geredet hat – das alles kritisiere ich als Linke!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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