Vereinte Proletarier aller Welt ...

Sklaventreiber 2.0 Algorithmen statt Fabrikdirektor

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… gibt es ja irgendwie nicht mehr, und Roboter werden kaum ein Klassenbewusstsein entwickeln. Heute spricht man lieber vom Prekariat. Oder neuerdings vom Algorithmenprekariat.
Dazu zählen zum Beispiel Regaleeinräumer bei Aldi / Lidl / Ikea. Was das Algorithmenprekariat kennzeichnet, ist die nach Computerprogramm zugeteilte und gemessene Arbeitsleistung. Es ist der Mann im Ohr, der ihnen sagt: Gehe jetzt zu Palette fünf und trage in Ebene 3. Danach gehe zu Palette 1 … Ihr Chef ist kein Mensch, sondern ein Chef-Algorithmus. Er allein bestimmt über Tempo und Toilettenpause, und wenn er keine Pause vorsieht, wird eben in die Flasche gepinkelt.
Da fällt einem unweigerlich der Tramp aus Charlie Chaplins Moderne Zeiten ein: Eines Tages lässt er das Fließband Fließband sein und fängt an zu tanzen. Arbeitsverweigerung statt Willigkeit zur Ausbeutung.
Folgerichtig landet der traurige Held nach seiner Tanzeinlage durch die Werkshalle in der Psychiatrie. Indem er jedoch der Sympatieträger ist, im Gegensatz zum Vorarbeiter und zum Fabrikdirektor, stellt er damit die unausgesprochene Frage, wer hier eigentlich krank ist, er oder die gerade erst aufkommende hochindustrialisierte Gesellschaft.
Man muss das Gehirn ausschalten, man muss aufhören selbst zu denken, man opfert dem Algorithmus sein Gehirn, sonst hält man solche Jobs nicht durch. Der Algorithmenprekarier ist ein moderner Sklave. Einer von denen, die ihren Sklaventreiber als Mann im Ohr direkt bei sich tragen (vielleicht bald mit auswechselbarer Stimme in verrucht, sportlich, Bayerisch oder Plattdüütsch für den gerade noch zulässigen Hauch von Wohlfühlfaktor …). Jeder hat einen anderen Mann im Ohr. Austausch mit anderen Sklaven ist somit nicht erforderlich und auch nicht vorgesehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

C. Juliane Vieregge

Autorin, Bloggerin. Am 13. März 2019 ist ihr neues erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden" im Ch. Links Verlag, Berlin, erschienen.

C. Juliane Vieregge

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