Der Mensch - eine bequeme Halbwahrheit

Anthropozentrismus Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass der Mensch ein gewöhnliches Säugetier ist. Dennoch sieht er sich als ein Wesen mit besonderen Rechten. Ist dies berechtigt?

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Eine solche existentielle Frage muss unter dem Aspekt der ideologischen Unvoreingenommenheit betrachtet werden, um zu einem gesellschaftlichen Konsens zu führen. Viele Religionen und Denksysteme bieten Antworten und Begründungsstrategien, die die Sonderstellung des Menschen auf verschiedene Weise herleiten. Dennoch sind sie nicht der Logik oder Evidenzien verpflichtet und können deshalb als Denkanstöße angesehen werden, jedoch nicht als abschließende Antwort.

Was unterscheidet nun dem Menschen von dem was wir als Tier bezeichnen, was ja auch Grundlage unseres Verhalten gegenüber den Tieren ist? Aus biologischer Sicht ist es ein Paradigma, dass sich der Mensch wie jede andere Art der Welt auch entwickelt hat. Sein physiologischer Aufbau weist wenig Unterschiede zu dem ähnlicher Rassen auf. Insofern ist er von seiner stofflichen Existenz keine Besonderheit – dies ist sogar noch konform mit den meisten anthropozentrischen Denksystemen, wie dem Christentum – nicht umsonst wurde in dieser für Europa so prägenden Religion der Mensch wie das Tier aus Erde geformt.

Was nun die Besonderheit unserer Rass

e ist, findet sich bereits in unserem Grundgesetz. Dem Menschen wird die unantastbare Würde zugesprochen. Dies ist der oberste Wert unseres Rechtssystems, was unser Alltagsleben prägt. Gleichzeitig wird sie postuliert – aber wie können wir sie begründen?

Wieder bietet uns das Christentum einen Ansatz – der Mensch sei das Ebenbild Gottes. Doch aufgrund ihrer Einbindung in eine Religion ist dies nicht ausreichend, um die Würde letztendlich zu begründen.

Bereits in der Antike finden wir erste Versuche zur Menschenwürde, genauer bei Cicero. Hier sieht er sie jedoch einerseits als einen Anspruch an die Gesellschaft, die man sich durch Leistungen verdient. Andererseits sieht er sie als ein Recht, das aus der Vernunft des Menschen abgeleitet wird, welche das Tier nicht hat, woraus auch folgt, das einem unvernünftigen Menschen die Würde aberkannt werden kann. Der Verstand des Menschen ist bei vielen rein philosophischen Begründungen der Menschenwürde und damit der Höherstellung des Menschen über das Tier der Argumentationskern.

Doch dieser ist offensichtlich extrem angreifbar. Zum einen wissen wir mittlerweile, dass auch Tiere – bis zu einem gewissen Grad – vernunftbegabt sind. Natürlich werden die wissenschaftlichen Meldungen durch Medien stilisiert und einseitig betrachtet. Es ist jedoch schwer zu bestreiten, dass nicht nur Menschen Vernunft und Bewusstsein haben. Folgt man dem Paradigma der Entwicklung des Menschen aus den vorhanden Arten, so ergibt das auch Sinn. Schließlich hätte sich Bewusstsein und Intelligenz nicht aus dem Nichts plötzlich entwickeln können, sondern eher in einem Prozess. Demzufolge ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich andere Lebensformen in einem früheren Stadium des Prozesses befinden. Dies würde offensichtlich werden, wären die Vorstadien des moderenen Menschen nicht ausgestorben.

Jedoch kann man die Situation auch von einer anderen Seite betrachten. Es gibt zahlreiche Grenzfälle, in denen Menschen durch Unfall oder Krankheit große Teile ihrer geistigen Fähigkeiten verlieren, darunter ihr Verstand und ihr Bewusstsein. Ungeachtet dessen sprechen wir diesen Menschen nicht nur weithin Würde zu, sondern bezeichnen sie weiterhin als Mensch und nicht als Tier.

Es ändert auch nichts daran, wenn wir ein scheinbar anderes Argument verwenden und Tiere über ihre Triebgesteuertheit und den Menschen über seine Unterdrückung der Triebe zu definieren. Hier kann man wieder über beide Seiten argumentieren. Vor allem soziale Lebewesen haben genauso wie der Mensch die Fähigkeit, Triebe zugunsten eines Aufstiegs in der Gruppenhierarchie zu unterdrücken, ebenso wie auch Menschen rein triebgesteuert handeln können.

Einen anderer interessanter Ansatz ist eine Folge des zunehmenden Umwelt- und Naturbewusstseins. An diesem wird nämlich deutlich, dass sich der Mensch als einziges Lebewesen um den Fortbestand anderer Arten und Lebensräume sorgt, auch unabhängig von dessem direktem Nutzen für sich selbst. Er ist sogar bereit, dafür eigenen Wohlstand aufzugeben.

Sicherlich ist das ein offensichtlicher Unterschied zwischen Mensch und Tier. Man muss jedoch auch die Hintergründe dieses angeblichen Biozentrismus untersuchen. Einerseits haben wir es oft mit der bereits im vorigen Text von mir angesprochenen "Ethik der Ähnlichkeit" zu tun. Durch die Personifizierung der Umwelt (Mutter Erde bzw. Mutter Natur) liegt hier keine echte Fixierung auf Nicht-Menschliches Leben vor. Dies ist vergleichbar mit Kuckkucksküken. Auch hier wird für fremde Lebenswesen Sorge getragen, aber nur dank Ignoranz ihrer fremden Eigenschaften. Desweiteren ist Naturschutz oft eine Folge ästhetischer Bedürfnisse, weshalb hauptsächlich schöne Landschaften im Fokus stehen. Selbst die ästhetische Wahrnehmung, die zur Begründung der menschlichen Einzigartigkeit herangezogen wird, ist keine rein menschliche Fähigkeit – so können bekanntlich balzende Vogelmännchen mit ästhetischen Nestern überzeugen.

Es ist also offensichtlich, dass rein aus den Fakten der Mensch nur schwer als eine wahre Singularität betrachtet werden kann. Dies ist auch den meisten Menschen bewusst. Trotzdem ändert das kaum etwas an der gesellschaftlichen Behandlung von Tieren.

Dies hat wohl vor allem praktische Gründe. Die Absonderung der Menschen von den restlichen Arten legetimiert unethisches Verhalten gegenüber diesen, da man ihre niedere Wertigkeit als Nicht-Menschen gleichsetzen kann mit einem ethisch nicht-relevanten Objekt. Gleichzeitig befriedigt es auch den bei Freud postulierten natürlichen Narzissmus aufgrund der Höherstufung des Menschen. Ihm kommt eine Würde zu, und nur ihm. Damit hat der Mensch eine Einzigartigkeit, auf die sich sein Selbstwergefühl stützen kann. Zu beachten ist auch die identitätsstiftende Funktion: Indem Menschen sich auf ihre Würde und ihren Verstand beziehen, haben sie etwas, dass sie verbindet und gleichzeitig von allen anderen Lebewesen trennt. Dies kann aber auch dazu genutzt werden, um ein bestimmtes Verhalten zu fordern, wie bei Cicero: indem er fordert, ein Mensch definiere sich über seinen Verstand, ruft er dazu auf, diesen zu benutzen. Ansonsten ist man ja aus der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen.


Ein weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen: Die Fixierung auf die Einzigartigkeit der eigenen Rassen ist womöglich als eine natürliche Notwendigkeit zu sehen. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, muss er Angehörige der eigenen Art, welche ihm prmär freundlich gesinnt sind, von anderen Arten unterscheiden, die er nutzen kann oder denen er ausweichen muss. Die Grenze zwischen ähnlichem und unähnlichem Wesen ist daher zweckmäßig. Dass die eigene Art höhergeschätzt wird, verhindert Kannibalismus, Gewalt und ähnliche Erscheinungen zwar nicht vollständig, aber bis zu einem gewissen Grad.

Aber wie unterscheiden wir nun zwischen unserer und fremden Arten? Genauso, wie wir zwischen Freunden und Unbekannten unterscheiden: über Äußerlichkeiten.

Man stelle sich vor, in einiger Entfernung stehe ein Lebewesen – woher weiß man, ob es ein Mensch ist? Man versucht zu erkennen, ob es aufrecht steht, Arme, Beine und einen Kopf hat, prüft die Proportionen und sobald man nahe genug ist, die Gesichtszüge. Das ist das Bild, dass wir von einem Mensch haben. Selbst wenn er kein Wort sprechen könnte, keinen Verstand zeigen und keinerlei Regung zeigen würde – wir sähen einen Menschen.

Auch wenn der Mensch vielleicht ein Tier wie jedes andere ist – die gesellschaftlichen Schlüsse, die wir aus der vermeintlichen Einzigartigkeit des Menschen ziehen, sind wertvoll und haben die Menschheit vorangebracht. Auch wenn die Würde des Menschen nicht begründet werden kann, ist sie als Prämisse jedes staatlichen und privaten Handelns notwendig, um das Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft zu garantieren.

Autor: Niklas Götz

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