Der interreligiöse Dialog ist keine Option

Dialog. Interreligiöser Dialogkreis Bad Godesberg

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Ein Beitrag von Samy Charchira
zur Podiumsdiskussion des interreligiösen Dialogkreises Bad Godesberg zum Thema „Mehr als Toleranz. Wie die Menschen verschiedener Kulturen und Religionen in unserer Stadt respektvoll zusammenleben“

07. November 2013 in der Aula des Amos-Comenius-Gymnasiums in Bad Godesberg-Pennenfeld

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Deutschland hat sich in der Vergangenheit schwer getan, neue bundesrepublikanische Realitäten anzuerkennen. Lange hat man sich geweigert unser Land als Einwanderungsland zu begreifen. Dadurch wurden viele Chancen vertan und so mancher Weg erschwert.

Doch unsere Gesellschaft hat eine große Gestaltungskraft in sich und ist sich um ihre Zukunft sehr bewusst. Das ist auch der Grund warum wir heute ganz andere Diskurse zum Thema Migration und Integration führen. Deutschland ist heute eine Werteplurale Gesellschaft, in der jeder Mensch aus den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen seinen Platz findet und finden kann. Insbesondere Christen und Muslime waren sich in Deutschland noch nie so nah wie heute. Vieles verbindet uns und nur weniges trennt uns. Gemeinsam erfüllen wir alle Voraussetzungen für ein friedliches und gedeihliches Miteinander. Ein rücksichtsvolles und respektvolles Zusammenleben ist keine Option, sondern längst Realität. Gemeinsam gestalten wir bereits unser Land, unsere Stadt und unsere Kommune.


Schon viel erreicht

In den letzten 10 Jahren ist uns gemeinsam Vieles geglückt. Wir haben mit unseren Integrationsdebatten so ziemlich jeden in unserer Republik erreicht. Heute herrscht ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, dass eine moderne Migrationspolitik und eine innovative Integrationspolitik eine gemeinsame Schlüsselaufgabe ist. Uns ist es auch gelungen den Islam, als zweitgrößte Religionsgemeinschaft unseres Landes ein stückweit zu institutionalisieren. Mit der Schaffung von islamischen Zentren an namhaften deutschen Universitäten haben wir großes Stück Anerkennung des Islams und der Muslime in Deutschland vollbracht. Aber auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Partizipation von Muslimen haben wir einige Meilensteine zu verzeichnen. Muslime bringen sich heute mehr denn je ein … für ihre Stadt, für ihre Kommune und für ihren Stadtteil … oft ehrenamtlich und mit viel Engagement.


Handlungsbedarf

All das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Reihe von Aufgaben vor uns liegt, die für uns alle von grundlegender Bedeutsamkeit ist. Mit großer Sorge verzeichnen wir einen beachtlichen Anstieg der Islamophobie und Migrantenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft. Das konterkariert in einem erheblichen Maße den Partizipationsanspruch vieler Muslime. Wir registrieren auch zugleich einen Anstieg von religiös motivierter Abgrenzung mit verheerenden Auswirklungen auf junge Menschen. Auch die zunehmenden unterschiedlichen Forderungen an muslimische Organisationen für mehr gesellschaftliche Beteiligungen stehen in keinem Zusammenhang mit den dafür angebotenen Möglichkeiten und Ressourcen. Hier gibt es einen erheblichen Handlungsbedarf.

Wir müssen aber auch konstatieren, dass einige Konzepte einer innovativen Integrationspolitik im Ansatz goldrichtig sind, aber in der Praxis doch noch entwicklungsbedürftig sind. Man denke z. b. an das Thema „interkulturelle Öffnung“. Hier gibt es erheblichen Nachholbedarf, nicht nur auf Seiten der Stadt und der Kommunen. Insbesondere auf Seiten der konfessionellen Träger sozialer Arbeit mit ihren vielen Grundschulen, Kindertageseinrichtungen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe muss viel mehr getan und mehr interkulturelle Öffnung herbeigeführt werden. Mit großem Bedauern muss doch festgestellt werden, dass es im Jahre 2013 immer noch kein kommunales Wahlrecht für die vielen Migrantinnen und Migranten, die in manchen Kommunen fast die Hälfte der dortigen Bevölkerung darstellen, gibt. Auch bei der Abschaffung des unsäglichen Optionszwanges bei doppelter Staatsbürgerschaft wird heute noch mit viel Kreativität versucht, das zu verhindern, was mit großer Selbstverständlichkeit zu einem Einwanderungsland und einer globalisierten Welt gehört.


Plädoyer

All diese Aufgaben liegen auch in Zukunft vor uns. Wir alle, als Bürger mit und ohne Migrationshintergrund, sind angehalten - es ist geradezu unsere Pflicht - gemeinsam an Lösungsansätzen mitzuwirken - für uns selbst, unsere Kommune, unsere Stadt und unseren Stadtteil.

Moscheegemeinden müssen endlich ihren MSO-Status aufgeben und sich selbst als Bürger und Akteure dieser Gesellschaft begreifen und auf gleicher Augenhöhe agieren. Die Kommune und die Stadt haben die Pflicht, die muslimischen Organisationen dabei zu unterstützen und sie in städtische Belange auf ganzer Breite einzubinden. Konfessionelle Träger müssen endlich zu einer echten interkulturellen Öffnung kommen und können zugleich ihre vielen Erfahrungen und Kompetenzen an die muslimischen Gemeinden weitergeben.

Der gesellschaftliche und interreligiöse Dialog ist keine Wahl, sondern das Fundament einer Wertepluralen, aufgeklärten und freiheitlichen Gesellschaft, wie Deutschland es heute schon ist. Damit das auch so bleibt, ist es unsere gemeinsame Verantwortung und Pflicht, dafür zu sorgen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Samy Charchira

Sozialpädagoge, Sachverständiger für muslimische Wohlfahrtspflege und Mitglied des Stadtrates der Landeshauptstadt Düsseldorf

Samy Charchira

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