Pop goes Weltliteratur

Bob Dylan Der „song and dance-man“ bekommt den Literatur-Nobelpreis. The times they are a-changin´?

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Was spricht gegen Nobelpreis-Literatur, die auch in der Kneipe gespielt wird?
Was spricht gegen Nobelpreis-Literatur, die auch in der Kneipe gespielt wird?

Bild: Stephen Maturen/AFP/Getty Images

Bob Dylan hat es nicht mehr nötig – aber das Nobelpreis-Komitee ist zu beglückwünschen. Die Entscheidung, den Songpoeten für seine Mitarbeit an der Weltliteratur auszuzeichnen, ist so populär wie originell wie umstritten wie überfällig.

Neu ist die Idee ja nicht. Dylan ist seit vielen Jahren als Kandidat im Gespräch, und im Gegensatz zu anderen Preisgekrönten muss man ihn der (Literatur-)Welt nicht mehr vorstellen. Sein Werk liegt bereits auf sämtlichen Kontinenten in Hütten wie Palästen und wird tatsächlich gelesen – und wer nicht liest, hat doch zumindest Teile davon schon gehört: Vermutlich hat kein Literatur-Nobelpreis-Träger je so viele Menschen erreicht wie Bob Dylan.

Daraus ergibt sich aber auch, was man einwenden könnte: Dass es gewissermaßen unlauterem Wettbewerb entspricht, einen singenden und komponierenden Dichter mit Lorbeeren zu schmücken, die bisher nur die lediglich Schreibenden bekamen. Andererseits: Was spricht gegen Dichtung, die auch gesungen werden kann? Oder auch Nobelpreis-Literatur, die in der Kneipe gespielt wird? Meinerseits gar nichts, im Gegenteil.

Dass allerdings das zuständige Komitee die Auszeichnung ganz ähnlich begründet, finde ich dann wieder erstaunlich. Denn Genre-Bedenken hatte man entweder (schwer vorstellbar) gar nicht, oder man will nun offensiv davon ablenken. Schon bei den antiken Griechen, hieß es gleich, sei Dichtung als Vortragskunst betrieben worden. Da ist was dran. Streng genommen ist bis zur Einführung des Buchdrucks praktisch jede Form der "Literatur" Vortragskunst gewesen - und Texte, lyrische allemal, sind in der Tat elementar mit musikalischen Systemen verbunden. Im Rahmen des Literatur-Nobelpreises aber hat man sich bisher selbstverständlich auf das gedruckte Wort beschränkt. Nun wird einer geehrt, der in einer viel älteren Tradition stehen mag, aber über viel jüngere Medien Verbreitung fand. Das ist ein interessantes Signal, um nicht zu sagen: Eine hoffnungsvolle Zäsur.

Denn: So sehr mir persönlich das Herz aufginge, wenn die weltweite Tradition der Sänger, Dichter und Barden dergestalt Würdigung erführe, dass ein heutiger Walther von der Vogelweide, ein heutiger FrançoisVillon, ein heutiger junger Bob Dylan mit allgemeiner Anerkennung überschüttet und kulturell zu Tisch gebeten würden – so sind doch die Verhältnisse ganz andere, nämlich in praktisch allen Segmenten prekär. Ein kapitalistisch verknappter Markt ist nicht zugänglich für Heerscharen von Dichter*innen und Barden, die auf Poetry- und Song-Slams um ein paar Minuten Aufmerksamkeit buhlen, sich als Selbstverkäufer bis zum Vermarktungsansatz durchbeißen müssen oder offiziell eben gar nicht stattfinden und sich kreative Arbeit als energieraubendes Hobby leisten. Während die großen Medienkanäle mit dem großen Kulturauftrag mit marktförmigen Produkten und formatgerechter Öde befüllt werden. Die Zeiten, in denen ein Bob Dylan massenhaft Gehör fand und der Markt bereit war, das Format Popsong neu zu denken, sind vorbei - the times, they are a-changin´.

So ist es aber auch gerade das kulturschaffende Bettelvolk am Rande des offiziellen Betriebes, das jetzt begrüßt und bejubelt, dass einer der Ihren die höchsten Weihen einer immer noch so genannten und gedachten Hochkultur bekommt.

Der Unterschied zur Popular-Kultur ist (u.a. wegen Bob Dylan) heute eigentlich hinfällig, aber immer noch heikel: Nicht nur, weil er überkommene Kulturbegriffe bedient, sich immer schlechter begründen lässt und schon gar nicht zur Einschätzung kultureller Relevanz gebraucht werden kann, sondern sich auch immer noch massiv in den Vergütungssystemen niederschlägt. Damit steht hinter dem Hochkultur-Begriff mehr als elitäre Nerdigkeit von Leuten, die sich eben lieber mit dem alten Zeug beschäftigen – es geht auch um monetäre Privilegien, die zur Debatte stehen und mittelfristig in handfeste Verteilungskämpfe münden werden.

Die Anerkennung einer literarischen Leistung mit popkulturellem Hintergrund ist der Anfang und ein Zeichen fortschreitender Etablierung – aber auch ein Bekenntnis zu Kultur, die nicht unter intellektuellem Ausschluss der Mehrheit des Publikums stattfindet. Insofern ist die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees ein Politikum.

Es gibt aber auch noch andere, im Werk liegende Gründe dafür, Dylan als Literaten zu ehren. Ein eher kritischer ist die bei nicht-Fans beliebte Behauptung, dass der große Songwriter selbst ein schlechter Musiker sei: Er könne nicht singen noch Gitarre spielen, sei kein besonderer Pianist und auch die Mundharmonika beherrsche er nicht (und das ist, je nach Vergleich und Perspektive, nicht ganz falsch, aber doch daneben gegriffen: In der musikalischen Tradition der Countrymusik ist er ein völlig akzeptabler, handwerklich versierter Gitarrist, und wer meint, Dylan sei kein fähiger Sänger, sollte einmal versuchen, die Melodie von „Valley Below“ oder das zwei Oktaven umfassende „All I Really Wanna Do“ nachzusingen).

Seine Wortgewalt dagegen ist unbestritten, und die Bereitschaft, sich ihr zu stellen, unterscheidet die Fans im Härtegrad und trennt die Musikkonsumenten von den Poesie-Freaks. Letztere werden sich länger mit Dylan befassen, über ein paar wirklich smart komponierte Hits hinaus, und bald das Bedürfnis haben, die Texte nicht nur zu hören, sondern auch mal in Ruhe zu lesen.

Andere, die lieber Musik hören, haben bald genug davon und steigen aus, wenn das Wortwerk über manische 12 Strophen weiterläuft, bis alle Reime abgeklappert und Assoziationen auserzählt sind, während musikalisch über viele Minuten buchstäblich nichts weiter passiert.

Die Dylan-Rezeption bedarf einer gewissen Aufmerksamkeit – je mehr, desto besser. Man kann die Songs auch im Hintergrund hören, aber die Texte sind die größere Dimension, die sich nur mit einer Konzentration erschließen lässt, die dem Lesevorgang entspricht.

Dylan hat nicht nur mehrere Generationen Musiker beeinflusst, sondern mit seiner Arbeit und eigenen Poesie-Affinität auch zur Etablierung popkultureller Grenzgänge wie dem literarischen Performance-Format spoken word beigetragen.

In meiner Rezeptionsbiographie hat sich Dylan zum Dichter qualifiziert mit dem „Subterranean Homesick Blues“: Ein Werk, das so selbstverständlich in Technik und Attitüde den Rap vorwegnimmt (der in meiner Jugend gerade das neueste Ding wurde), wie es seinerzeit als Rock´n Roll daherkam und ein Publikum vor den Kopf stieß, das ausufernde Balladen zur Klampfe erwartet hatte – aber auch ohne die Musik funktioniert es, nämlich als Gedicht: Der Text allein ergibt ein Klanggebilde, das einer lyrischen Logik folgt und nichts als diese braucht, um zu wirken.

Es gibt noch zahllose Indizien für Dylans Dichter-Qualität. Eins meiner liebsten ist ein berühmter Satz aus einer berühmten Pressekonferenz, bei der eine aufgescheuchte Journalistenversammlung das damals 24jährige Jugendidol Dylan zu allen großen Geheimnissen der Welt und ihres Wandels befragte, und irgendwer natürlich damals schon wissen wollte, ob er sich eher als Sänger oder Schreiber sähe.

Dylans Antwort: „I see myself as a song and dance-man.“

Das ergibt zwar auch wörtlich übersetzt einen gewissen Sinn und klingt auch auf deutsch nach einer albernen Antwort auf eine nervige Frage, hat aber im Original einen doppelten Boden, der die große Heiterkeit im Saal besser erklärt: song and dance, weiß das Slang-Lexikon, wird umgangssprachlich gebraucht für „Unecessary complaining or excuses. Long and drawn out in length, with seemingly no end in sight.“ – die Übertragung von „song- and- dance-man“ wäre also etwa: Labertasche- was aber ebenfalls nicht alle Aspekte des Ausdrucks transportiert. Im Englischen dagegen ist es gleichzeitig genervtes Abwinken und bescheidenes Abwiegeln, darüber hinaus aber eine perfekte, zutreffende wie selbstironische Antwort auf die Frage – ein mehrdimensionaler Witz in neun Worten: Dichter geht es kaum.

Was ebenfalls für die eher literarische Substanz von Dylans Werk spricht, ist die Erfahrung, dass seine Lieder sich im Gegensatz zu herkömmlicher Pop- und Rockmusik als Medium für Gemeinschaftserlebnisse eigentlich schlecht eignen. Die Projektionen, die dem Jugendidol diesbezüglich anhingen, waren allesamt Missverständnisse und wurden als solche von ihm persönlich getilgt. Als Sinnstifter einer wie auch immer gearteten Bewegung stand er nie zur Verfügung, beliebten Show-Ritualen hat er sich immer verweigert. Leute, die bei Konzerten gerne mitsingen, haben bei Dylan wenig Freude. Fans, die an irgendeiner „Originalversion“ hängen, sollten zuhause bleiben und die Platte noch mal hören. Wer die Songs selber spielt, tut das in erster Linie für sich, denn wenn es der Welt an einem nicht mangelt, sind es Cover-Versionen von Dylan-Songs.

Persönlich habe ich einige Zeit damit verbracht, Wort-Orgien wie „It`s Allright Ma“, „Slow Train Coming“, „Tombstone Blues“ auswendig zu lernen, wäre aber nie auf die Idee gekommen, sie mit irgendwem inhaltlich zu besprechen - wo soll man da anfangen, und wo soll das hinführen? Bei reduzierteren Stücken ist erst recht kein Bedarf der Erläuterung: Was gibt es nach „Lovesick“ noch groß zu sagen?

Auch das ist ein Merkmal von Literatur: Selbst unter begeisterten Fachkundigen sind Gespräche über den gemeinsamen Fetisch selten ergiebig. Es ist ein bisschen so, als wäre mit den Worten des Dichters bereits alles Wesentliche gesagt. Keine eigene Exegese, keine große Erschütterung, persönliche Erfahrung durch einen Songtext lässt sich wirklich (mit)teilen. Mit Dylan bleibt jede*r allein, und wird einen ganz eigenen Zugang finden, oder keinen.

Dass Dylan ein Dichter von Weltliteratur-Format ist, hat in meiner Gegenwart bisher niemand bestritten. Bis auf Leute, die ihn sowieso hassen und ein paar, die immer aus Prinzip gegen alles sind, was dem Konsens zu nah kommt und die sich aktuell natürlich in Dylan-Bashing ergehen, gönnen es dem Songpoeten und der Weltliteratur offenbar alle.

Es werden wohl auch ein paar Stimmen, die jeden Fortschritt beweinen, dagegen sein, dass der song and dance-man in den literarischen Olymp einzieht. Es sind dies im Prinzip die Gleichen, die Dylan vor 50 Jahren anfeindeten, weil er mit der E-Gitarre ihre folkige Gemütlichkeit zersägte. Solche Leute, ist anzunehmen, hätten es Shakespeare seinerzeit auch nicht gegönnt.

Indes, wie Jan Böhmermann kürzlich fragte: „Goethe und Schiller – wann haben die eigentlich das letzte Mal was Geiles abgeliefert?“ Wie überhaupt die klassisch verstandene Weltliteratur, möchte man hinzufügen, weiter in die faktische Bedeutungslosigkeit rutschen wird, wenn wir nicht auch dieses Format mal neu denken.

For the times they are a-changin´.

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Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

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