Laudatio für Gesine Imhof

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Fünf Jahre ist es her, dass ich zuletzt bei einer Vernissage Gelegenheit hatte, Gesine Imhof in einer – seinerzeit von fremder Hand verfassten - Laudatio vorzustellen. Damals war sie eine relativ unbekannte Künstlerin, die es gerade aus Darmstadt in die mecklenburgische Provinz zurückverschlagen hatte. Inzwischen ist sie Mitglied bei den Montmartrois de Berlin, stellt gerade in mehreren Städten gleichzeitig aus, und wird demnächst sogar im Ausland zu sehen sein.

In ihrer ersten Ausstellung in Berlin, der in diesem Sommer noch weitere folgen sollen, zeigt sie ab heute Bilder aus der Zeit von 2004 bis 2006. Inzwischen hat sich ihr Malstil noch einmal verändert. Ihre malerisches Schaffen folgt heute der Maxime: Weniger ist mehr. „Es kommt mir vor, als hätte ich jahrelang gute Bilder übermalt, um daraus schlechte zu machen“, sagt sie selbstkritisch rückblickend. Doch diese Veränderung betrifft nur den angewandten Pinselstrich und die Details der Ausarbeitung. Die drastische Expressivität ihrer Bilder war von Anfang an da und ist bis heute dieselbe geblieben.

Begonnen hat die 1966 in Aschersleben geborene Künstlerin ihr Schaffen bereits vor 25 Jahren, als sie in Greifswald Germanistik und Kunst an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität studierte. Mit Berlin verbinden seit dieser Zeit ihre Konsultationen an der Kunsthochschule Weißensee bei Prof. Dieter Gantz. Nach der Jahrtausendwende zog sie von Mecklenburg nach Darmstadt, um dort als freischaffende Künstlerin zu leben.

Aus dieser Zeit stammen die Bilder von Gebäuden rund um den Bremer Schlachthof und die Flamenco-Tänzerinnen und –Tänzer, die hier im Brauhaus am Südstern zu sehen sind.

Über die Herkunft und Entstehung des Flamenco gibt es viele Theorien, die sehr gegensätzlich sind und eigentlich nur eines gemeinsam haben: Dass sie allesamt nicht beweisbar sind.

Sicher weiß man, dass der Begriff für den Tanz und die Musik seit dem 19. Jahrhundert belegt ist, die Wurzeln der Musik aber bis ins Mittelalter zurückreichen, als die Mauren noch in Andalusien herrschten. Gesichert ist ebenso, dass die Tanzform sogar bis in die Antike zurückverfolgt werden kann, in die Zeit des sagenumwobenen biblischen Tarsis, das von Israel aus gesehen am Ende der damals bekannten Welt lag und, wenn man den jüngsten Entdeckungen eines Forscherteams des Greenberg-Centers der Universität Hartford glauben darf, sogar mit dem bei Platon erwähnten ebenso reichen und mächten Atlantis identisch war, das aus griechischer Sicht „jenseits der Säulen des Herakles“ lag, also westlich der Meerenge von Gibraltar am „atlantischen Meer“. Römische Quellen wissen aus dieser Zeit von Tänzerinnen zu berichten, die aus jener Gegend stammten und einen sinnlichen, rhytmischen Tanz mit zuckenden Bewegungen aufführten, bei dem sie sich mit Klappern selbst begleitetet haben sollen.

Sicher weiß man auch, dass die wichtigsten Tradenten und Interpreten des Flamenco zu einer Volksgruppe der Roma gehören, die seit dem Mittelalter in Andalusien lebte und zeitweise eine Brücke zwischen Mauren und Spaniern bildete. Die von den Spanieren Calé (Schwarze) oder Gitanos (Zigeuner) genannten Roma verstecken die verfolgten Mauren während und nach der Reconquista, als die Araber Zug um Zug außer Landes vertrieben werden sollten und vermischten sich schließlich mit ihnen. Die Stunde dieser lange diskriminierten Bevölkerungsgruppe kam am Anfang des 19 Jh. in der Zeit der dezentral organisierten Befreiungskriege gegen Napoleon, als der Gitano zum Idealtyp des Majismo wurde, einer kulturellen Strömung, die dem Typus des aufgeklärten Franzosen den Archetyp eines erdverbundenen, archaisch bodenständigen Individuums mit unbeugsamem Willen zur Selbstbehauptung entgegensetzte.

Sicher ist auch, dass der Flamenco kein Paartanz, sondern ein Ausdruckstanz ist, den der Mann und die Frau nach festen Regeln je für sich allein tanzen, und dass dieser Tanz in vielen Spielarten existiert. Eine dieser Spielarten, der Fandango, war schon im 18. Jahrhundert weit über Andalusien hinaus so populär, dass klassische Komponisten wie Boccherini, Gluck oder Mozart sich davon zu Cover-Versionen inspirieren ließen.

In dieser Zeit lernte auch – wenn man seinen Memoiren glauben darf – Giaccomo Girolamo Casanova diesen Ausdruckstanz in Spanien kennen, durch eine seiner Liebschaften, die Ignazia hieß.

Doña Ignazias Temperament war eine Mischung von Wollust und Frömmigkeit – eine Mischung, die in Spanien sehr oft vorkommt. Sie tanzte den Fandango mit soviel Hingebung und mit solchem Feuer, daß kein Wort mir hätte verheißen können, was ihre wollüstigen Stellungen mir versprachen. Was für ein Tanz ist der Fandango! Er reißt die Tänzer mit sich fort, versetzt sie in Glut. Trotzdem hat man mir versichern wollen, daß die meisten Tänzer und Tänzerinnen sich gar nichts Schlimmes dabei dächten. Ich habe getan, wie wenn ich das glaubte.

(Dona Ignazia, mélange de volupté et de dévotion, chose commune en Espagne, dansa le fandango avec tant d'abandon et de feu, qu'aucune parole n'aurait pu me promettre ce que me promettaient ses attitudes voluptueuses. Quelle danse que le fandango! Elle enlève, elle brûle et cependant on a voulu m'assurer que la majeure partie de ceux et de celles qui la dansent n'y entendent aucunement malice. J'ai fait semblant de le croir.)

Ob wir diesem Autor alles glauben dürfen, was er in seinen Memoiren beschreibt, ist Ansichtssache. Die bildendende Kunst ist da gegenüber der Literatur im Vorteil: Hier kann man sehen und entdecken.

Gesine Imhof zeigt in ihren Bildern, was sie selbst im Flamenco sieht und was sie an der Kultur dieses Tanzes fasziniert. Wer genau hinsieht, findet dort etwas von dem, was schon Casanova gesehen und beschrieben hat als „Mischung aus Wollust und Frömmigkeit“, melange de volupté et de devotion. Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

[Anmerkung des Verfassers: Diese Laudatio soll ich in ca. einer Stunde im Brauhaus Südstern halten, wo gerade die Grünen Berlins sich bis zum 17. Juli die Frauen-WM ansehen - wenn auch ab heute vielleicht mit weniger Begeisterung :( Wer will, kann gern zur Vernissage kommen - also evtl. bis gleich!]

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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