Der Trendsetter

Agrarpolitik und Tierwohl Agrarminister Christian Schmidt (CSU) fordert eine Verbesserung des Tierwohls. Um dies zu erreichen, solllte er seine Ansichten grundlegend überdenken.

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„Deutschland soll ein Trendsetter beim Tierwohl werden“, fordert Agrarminister Christian Schmidt (CSU). Seine Anliegen stehen dieser Zielrichtung indes diametral entgegen. Eine Stellungnahme zu den jüngsten Aussagen Schmidts im Interview mit ZEIT-Online.

1. Der überraschte Agrarminister

Zunächst einmal hält es der Agrarminister für nicht zielführend, dass der Bereich Landwirtschaft eine „politische, ja manchmal eine ideologische Dimension“ gewonnen hat. Sofern er nicht an seiner eigenen Daseinsberechtigung als Minister zweifelt, verwundert diese Aussage doch sehr. Indem er weiter darauf verweist, dass die Ernährung schon fast „religiöse Züge“ angenommen hat, will er wohl sagen, dass sich zu intensiv und emotional mit diesem Thema auseinandergesetzt wird. Wenn man jedoch bedenkt, dass die derzeit vorherrschende Ernährungsform jährlich zum Leid von Milliarden (!) von Tieren weltweit führt und ein maßgeblicher Faktor des Klimawandels ist, so scheint das Thema – verglichen etwa mit der überragenden Bedeutung terroristischer Anschläge, welche im letzten Jahr 23 Opfer in Deutschland forderten – noch immer viel zu wenig Beachtung zu finden.

2. Der vermeintlich liberale CSU-Minister

Weiter führt der Minister fort, dass es eine „höchstpersönliche Entscheidung“ sei, wie man sich ernährt. Lässt man jedoch richtigerweise die Konsequenzen seiner möglichen Handlungsoptionen in die Entscheidung einfließen, etwa ob man sich vegetarisch, vegan oder „herkömmlich“ ernährt, so scheint die Entscheidung ebenso höchstpersönlich zu sein, wie die Entscheidung, den Nachbarn N zu verprügeln. Jeweils ist das Leid anderer, einmal von nichtmenschlichen Tieren und primär zukünftigen Generationen, und ein anderes Mal von Nachbar N die Folge der Handlung.

Schmidt aber lässt nicht locker und verweist darauf, dass die Politik die Menschen nicht „bevormunden“ solle. Insbesondere „Kinder (...) sollten sich so ernähren können, wie sie wollen.“ Der liberale Grundgedanke ist grundsätzlich zu begrüßen. Ob man aber auf die Entscheidungsfreiheit und -fähigkeit von Kindern bei so wichtigen Themen wie Massentierhaltung und Umweltproblemen setzen sollte, scheint mehr als fraglich. Kinder sollten schließlich auch nicht frei entscheiden können, ob sie zum Karneval statt der üblichen (und bereits fraglichen) Spielzeugpistolen im Vorfeld nicht doch einen Waffenschein beantragen.

Der allgemein geäußerte Gedanke der „Bevormundung“ scheint mir kaum als ein Argument durchgehen zu können. Zunächst einmal das Offensichtliche: die Politik bevormundet die Bürgerinnen täglich. Ohne jegliche Bevormundung hätte etwa das Strafrecht jegliche Existenzberechtigung verloren. Die Frage muss daher natürlich lauten, wann ein solche „Bevormundung“ gerechtfertigt oder gar erforderlich ist. Gerade bei den Problemen kollektiven Handelns kann dieses der Fall sein. Das Paradebeispiel ist hier der Umweltschutz, welcher ohne einen staatlichen Eingriff kaum gewährleistet werden kann. Kurzum: Warum sollte sich ein Individuum umweltfreundlich verhalten, wenn der Nutzen für sie doch ebenso hoch bzw. niedrig ist, wie der Nutzen für all die free riders, die ihr Eigeninteresse über das der anderen Gesellschaftsmitglieder, in diesem Fall der gesamten Weltbevölkerung, stellen und weiterhin Fleisch aus der Massentierhaltung konsumieren.

Ob die Lösung dieses Problems in den Mitteln des Strafrechts liegt, kann zwar (noch) bezweifelt werden, ein generelles Verbot der derzeit praktizierten Massentierhaltung kann aber durchaus begründet werden. Insbesondere scheint es auch mit den in Art. 20a GG verfassungsrechtlich garantierten Staatszielen des Umwelt- und Tierschutzes in Einklang zu bringen. Bevor dieser Schritt eingeschlagen wird, könnte man indes zunächst an mildere Mittel denken. Insbesondere die 2015 installierte Nudge-Unit des Bundeskanzleramts sollte seine Bemühungen in dieser Hinsicht erweitern. Etwa kann man erwägen, auf den relevanten Fleischprodukten, als Pendant zur Vorgehensweise bei Zigarettenverpackungen, Warnungen und Bilder der Abschreckung aus der Massentierhaltung anzubringen.

Etwas eingriffsintensiver – und weniger liberal ist die vom Bundesamt für Umwelt (zurecht!) geforderte und von Schmidt vehement kritisierte Steuererhöhung auf den regulären Mehrwertsteuersatz in Höhe von 19 Prozent für tierische Produkte. Die geforderte Steuererhöhung scheint in Anbetracht des extremen Tierleidens und der katastrophalen Umweltauswirkungen zwar nicht einmal ansatzweise ausreichend, Schmidt findet jedoch dennoch eine dubiose Argumentationslinie, um gegen das Vorhaben zu argumentieren. Konkret stellt er fest: „Künstliche Preiserhöhungen durch eine Steuererhöhung – in die Staatskasse – nützen weder der Umwelt noch den Verbrauchern.“ Sparen wir uns den Kommentar zu dem populistisch angehauchten Verweis, dass Steuergelder in die Staatskasse fließen und konzentrieren uns sogleich auf den von Schmidt verkannten folgenden Kausalzusammenhang: Tierische, insbesondere klimafeindliche, Produkte werden durch die erhöhte Steuer teurer. Verbraucherinnen kaufen bevorzugt klimafreundliche(re) Produkte. Die Produktion klimafeindlicher(er) Produkte nimmt aufgrund sinkender Nachfrage ab, die Produktion klimafreundlicher(er) Produkte aufgrund erhöhter Nachfrage zu. Umwelt und Tiere profitieren. Übrigens auch die Verbraucherin, welche ein großes (Eigen-)Interesse an der Bekämpfung des Klimawandels und/oder dem Tierwohl hat. Der Vorteil einer gesünderen Ernährung, die nicht nur die Freunde des Paternalismus’, sondern insbesondere auch die Bilanzen der öffentlichen Ausgaben für Gesundheit begeistern dürfte, wurde hierbei noch gar nicht beachtet.

Im Verlaufe des Interviews werden dann die tatsächlichen Interessen des Ministers entlarvt. Er ist kein Verfechter liberaler Politik, denn die liberale Politik im konkreten Fall ist lediglich ein Nebeneffekt seines eigentlichen Ziels: der Schutz der Bauern, oder anders formuliert: Wählerfang.

Deutlich wird dieses als Schmidt auf eine Nachfrage in Hinblick auf sein Vorhaben, Fleischbezeichnungen für vegetarische oder vegane Produkte zu verbieten, dieses unter dem Vorwand rechtfertigt, die „Verbraucher zu informieren“. Bereits zuvor hatte Schmidt gefordert, niemand dürfe „bei diesen Pseudo-Fleischgerichten so tun, als ob es Fleisch wäre". Herauszuheben ist, wie weitreichend der Vorschlag geht. Begriffe wie "vegetarisches Schnitzel" oder "vegane Currywurst" seien laut Schmidt "komplett irreführend und verunsichern die Verbraucher". Es ist nachvollziehbar, dass den Bürgerinnen und Bürgern in den Zeiten von Trump und Brexit nicht allzu viel zugetraut wird. Ob man jedoch aufgrund der Bezeichnung „vegetarisches Schnitzel“ in die Irre geführt und völlig verunsichert vor dem Tiefkühlregal Edekas verzweifelt, scheint mir so weit von der Realität entfernt wie die CSU von einer liberalen Familien- oder Flüchtlingspolitik.

3. Der EU-rechtskundige CSU-Minister

Schmidt möchte ein Tierwohllabel. Vorab: prinzipiell ist ein solches Label begrüßenswert. Anknüpfend an seine vermeintlich liberale Ausrichtung, soll dieses jedoch lediglich auf freiwilliger Basis eingeführt werden. Schmidt begibt sich bei seinen Ausführungen zur Freiwilligkeit auf rechtliches Glatteis, indem er die Notwendigkeit dessen damit begründet, dass „die Einführung eines verpflichtenden Tierwohllabels (...) nur über die EU möglich“ sei. Dies ist mindestens fraglich. Viel eher ist zu vermuten, dass die EU ein solches Label sogar befürworten würde, wird die Bedeutung des Tierwohls doch nicht nur in Art. 13 AEUV verdeutlicht. Die EU-Kommission wird nicht müde zu betonen, dass es sich bei den EU-rechtlichen Anforderungen des Tierschutzes lediglich um Mindeststandards handelt. Als Faustregel könnte darüber hinaus gelten: Wem es auf Umwegen wohl gelingen wird, eine offensichtlich EU-rechtswidrige, weil diskriminierende, Maut einzuführen, der wird im Zweifel auch ein verpflichtendes Tierwohllabel durchboxen können.

Zuletzt stellt Schmidt klar: „In den Bereichen, in denen ethisch nicht vertretbar gehandelt wird und der Gesetzgeber gefordert ist, werden wir natürlich aktiv.“ Im Umkehrschluss muss Schmidt die derzeit praktizierten Formen der Massentierhaltung also für ethisch vertretbar halten. Eine Haltung, die derjenigen eines Agrarministers in einem Staat, in dem man ohne größere Probleme auf eine andere Tierhaltung und/oder Ernährungsform zugreifen kann, nicht würdig erscheint. Möchte Schmidt wirklich die von ihm angestrebte Position des „Trendsetters“ einnehmen, sollte er seine Positionen grundsätzlich überdenken.

Antonia Jülich (Mitautorin)
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christoph Winter

Christoph Winter forscht an der philosophischen Fakultät der Princeton University.

Christoph Winter

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