Vom Hügel im Meer

Theater Das feministische Kollektiv bite my tongue beantwortet Henrik Ibsens "Die Frau vom Meer". "Was nur mir gehört" stellt die richtigen Fragen – multimedial

Am Anfang war die Gebärmutter. So beginnt „Was nur mir gehört“. In Anlehnung an Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“ wurde das multimediale Theaterstück vom feministischen bite my tongue-Kollektiv umgesetzt. Im wundervollen Kesselhaus Lichtenberg geht die Schauspielerin Anne Sauvageot über 70 Minuten den Gedanken der Protagonistin Ellidas nach. Diese lebt seit bereits 150 Jahren alleine auf einem Erdhügel im Meer und erzählt. Erzählt lebhaft und hysterisch von der Gebärmutter, von ihrer Geschichte, ihren Vorstellungen und ihrer Liebe. Doch vor Allem erzählt sie von ihrer Beziehung zu einem Dr. Wangel, ihrem Ehemann, den sie jedoch schon lange nicht mehr gesehen hat. So als ob sie die Gedanken schon zu oft durchgekaut hätte, erinnert sie sich geradezu nachäffend an den Moment als er sie entdeckte „wie sie da so da stand“. Sie verfiel ihm dennoch hoffnungslos, er bot Sicherheit und Fürsorge – ihr Leben war sorglos. In einem viereinhalb stündigen Akt der Liebe, begleitet von aufgenommenen Walgesängen, zeugten sie ihren Sohn Balthasar.

Mit der Zeit schlich sich bei Ellidas ein immer stärker wachsendes Gefühl von Abhängigkeit ein, sie zog sich zurück und floh immer öfter in ihre Welt, das Meer, die Sehnsucht und die Weite. Nun steht sie auf ihrem Hügel im Meer – körperlich zwar getrennt und trotzdem nicht weit entfernt von diesem toxischen Gefühl gleichzeitiger Zuneigung und Abhängigkeit zu einem Mann. Sie verzweifelt und resigniert. So werden Fragen aufgeworfen: Kann ein Mensch einen anderen Menschen besitzen? Wird der weibliche Körper in heterosexuellen Beziehungen als Kapital eingesetzt? Wird der Frau damit ein Recht auf selbstbestimmte Lust genommen? „Was nur mir gehört“ versteht sich als Antwort auf Ibsens 1888 geschriebenes Schauspiel. Es stellt die Fragen von 2017.

Multimediale Anziehungskraft

Das Thema der medialen Darstellungsformen in der Kunst ist allgegenwärtig, in Museen wird gestritten, ob es noch der Erklärungstexte braucht, im Theater wird der Einsatz von Beamern immer präsenter. Auch das Kollektiv um Stefanie Hauser, Pauline Junginger und Johanna Pigors wählte einen multimedialen Ansatz. So laufen per Projektion zwei Handlungsstränge parallel, die nur einmal – Dr. Wangel ist auf der Leinwand zu sehen – zusammengefügt werden. Zum Einen also besagtes Ibsen-Stück inmitten des Kesselhauses, zum Anderen eine Video-und Klanginstallation auf diversen Leinwänden. Die popkulturellen Videosequenzen zeigen beispielsweise eine Gruppe von hauptsächlich jungen Mädchen, die in einem Mermaid-Kurs erklärt bekommen, wie sich eine richtige Meerjungfrau zu verhalten hat. Oder den sich immer wiederholenden Anfang Heinrich Heines Loreleylieds: Ich weiß nicht was soll es bedeuten...

Die Videosequenzen unterhalten, zumal das repetitive Motiv Wasser in verschiedenen Formen auch humoristisch auftaucht. Der Aufmerksamkeit auf den Monolog der Schauspielerin hilft dies jedoch nicht unbedingt, teilweise lassen sich leicht überforderte Blicke im Publikum ausmachen, wohin man denn nun sehen solle. Denn auch eine Bühne und Theaterstühle vermisst man vergebens. Doch das stört überhaupt nicht: Die Zuschauer reihen sich teils stehend, teils sitzend um die mittig aufgebaute Szene auf. So werden sie regelrecht angezogen, von dieser Frau auf dem Hügel inmitten des Meeres.

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