BRCA 1 und 2

Brustkrebs und Gene Angelina Jolie nutzte Status und Medien, um für Frauen mit einem genetisch erhöhten Risiko für Brust- und Eierstockkrebs stellvertrend den Fatalismus abzulegen.

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BRCA 1 und 2

Foto: Leon Neal/AFP/Getty Images

BRCA 1 und 2

Wenn die Reparaturwerkstatt versagt

Aus Schutz und Schirm wird manches Mal Gefahr. - BRCA 1 und 2 sind recht eigentlich Schutzproteine der DNA (DNS), die verhindern sollen, dass DNA -Strangbrüche zum Desaster, nämlich einem bösartigen Tumor, führen. Dann aber, schlägt des Genschicksal zu und produziert weniger taugliche Mutanten. Wieso? - Das wäre eine Angelegenheit für zehn zukünftige Nobelpreisverleihungen, denn es ist schon reichlich unerklärlich, warum die Natur der Säuger ausgerechnet an den wichtigsten Ort der Zellbiologie eine solche hohe, anfällige Varietät der Reparaturmechanismen zulässt. Bei der langen Lebensdauer und eher niedrigen Generationenabfolge der Spezies Sapiens sapiens, ist das schon eine Herausforderung für jeden wissenschaftlich denkenden Menschen, der an die Evolution glaubt und dafür eine ungläubige Erklärung finden möchte.

Beide Proteine wirken ständig in der zelleigenen Reparaturkolonne mit, die nach Schäden an der DNA oder zur Ergänzung isolierter, einzelner DNA-Stränge, für die Heranführung von passenden Nukleotiden, -das sind die kodierenden Bausteine der Erbinformationsstränge-, mitverantwortlich sind.

Hauptsächlich nur vier unterschiedliche Nukleotid-Typen werden verbaut. -Schulwissen, ich weiß! - Ein kleines Alphabet der Buchstabenfolgen reicht völlig aus und es ist dennoch schon komplexer als jeder Binärcode! Was danach in Säugerzellen abläuft, nämlich eine schier unendliche Actio und Reactio auf Signalmoleküle, Substrate aus dem Zellstoffwechsel, auf Nährstoffe , Hormone und nervale oder hormonelle Einflüsse, ja, sogar auf kleinste Umweltreize, das ist, mit einem Wort, auch heute noch unbeschreiblich komplex.

Während der beständig ablaufenden Reparatur an der zellulären DNA, stetig werden neue Brustdrüsenzellen gebildet, stetig sterben dort Zellen ab, zu fast jedem Moment des Zelllebens geschehen Ablesefehler, müssen die Werkstatt-Teams aus zahlreichen Proteinen und spezielle Reaktionsbeschleuniger- Eiweißen, den so genannten Enzymen, eng zusammen wirken und auch noch die Ersatzteile (Nukleotide) in ausreichender Zahl um den jeweiligen Reparaturort versammeln, denn sonst wäre deren Konzentration im Zellsaft zu gering, die notwendig hohe Geschwindigkeit der Ausbesserung aufrecht zu erhalten. Dafür sorgen schnell auf- und abbaubare Filamentnetze (ebenfalls Proteine) und Proteinkomplexe, die den reparaturbedürftigen DNA-Strang in Position halten, wie sie auch die neu einzubauenden Materialien ausreichend nahe an die Baustelle, das freie Strangende, heran ziehen.

Die ziemlich großen Proteine BRCA 1 und 2 sind wohl so etwas wie Allzweck-Reparaturplattformen für DNA-Stränge (Hier BRCA 2, http://www.nature.com/onc/journal/v22/n37/images/1206678f3.jpg ). Sie haben leider einen kleinen Schönheitsfehler, sie neigen zur Materialermüdung! Dann zerbrechen sie in Fragmente und erleiden damit einen Funktionsverlust. Steht nun überwiegend dysfunktionales BRCA-Protein zur Verfügung, dann entsteht der Krebs, den die BRCA-Riesenmoleküle normalerweise mit verhindern helfen.

Diese Brüchigkeit gilt auch für das jeweilige Ausgangsgen der Schutzproteine auf Chromsom 17, beziehungsweise Chromsom 13, aus dem die Krebsschutzfaktoren BRCA-1 und BRCA-2 kodiert werden. Bestimmte Mutationen liefern dabei ein schlechteres Werkzeug mit zu vielen Bruchstellen, obwohl sich auch da die Werkstattteams der Zelle alle erdenkliche Mühe geben, die Montagsproduktion an BRCA 1 und 2 aus dem Verkehr zu ziehen.

Selten ist Vererbung unser Schicksal

Die Weitergabe der nicht so optimalen Gene für BRCA-1 und BRCA-2 ist autosomal dominant erblich. D.h., das Erbmerkmal liegt nicht auf den Geschlechtschromosomen und ein Defektgen reicht, um die Krankheit oder Störung später manifest werden zu lassen. Jeder Mensch erhält von seinen Eltern ein Gen (Allel) dieses Typs. Ist dabei eines dysfunktional, so prägt es seine schlechten Eigenschaften auch aus! Welches gerade aktiviert ist, das funktionierende oder das defekte Gen, und nun auf den ständigen Bedarf an Reparaturprotein reagiert, das ist ein Spiel des Zufalls, bestimmt aber auf die lange Sicht des Lebens über den gutartigen, normalen oder bösartig, karzinogenen Charakter der Zelle.

Schon nach Zufallsprinzip wird also immer irgendwo ein defektes BRCA-Gen bei den Trägerinnen ausgelesen. Es entsteht ein defektes, ein brüchiges, ein nur kurz und unsauber arbeitendes BRCA-Protein. In diesen Zellen sind die restlichen DNA-Reparaturmechanismen chronisch überfordert. Es ensteht, mit einem längeren oder kürzeren Zeitintervall, ein bösartiger Tumor.

Erbt man z.B. von beiden Eltern ein defektes BRCA-2 Gen, das kommt, neben weiteren genetischen Defekten anderer Reparaturproteine, durch die relativ häufigen innerethnischen Heiraten unter bestimmten Communities der Ashkenasim oder bei Südafrikanischen Stämmen vor, leidet der Nachwuchs häufig an Fanconi-Anämie (nicht zu verwechseln mit dem Fanconi-Syndrom). Dabei sind die DNA-Reparaturwerkstätten so sehr beschädigt, dass früh schon Leukämien, eine völlige Knochenmarksdysplasie und weitere maligne Tumoren auftreten. Meist zeigen die kranken Kinder charakteristische Veränderungen der normalen Körperform. Die Lebenserwartung dieser Menschen ist, trotz Hormonbehandlung, Chemotherapie und Stammzelltransplantation, deutlich begrenzt.

BRCA-1 und BRCA – 2 werden also von Vätern und Müttern vererbt. Männer aus Risikofamilien können das Gen tragen und, wesentlich seltener als Frauen, weil weniger Drüsengewebe vorhanden ist, auch einen bösartigen Tumor entwickeln. Mit anderen veränderten, dysfunktionalen Karzinomsuppressoren spielen beide Gene eine bisher nicht gut geklärte Rolle bei der Enstehung von Darmkrebs, das fehlerhafte BRCA-1, bei bestimmten Formen des Prostata-Ca.

Bei einer Frau, die bestimmte BRCA-Varianten im Erbgut trägt, ist der Weg zum Tumor in der Brustdrüse oder in den Eierstöcken gebahnt. - Besser hieße es, deutlich wahrscheinlicher! Denn längst nicht alle Frauen und auch ein paar Männer mit den schlechter funktionierenden Mutationen der Tumor-Unterdrückerproteine, bekommen auch Krebs. Die Wahrscheinlichkeit steigt aber um den Faktor 10- 40, verglichen mit uns vielen Glücklichen, die eine solche erbliche Belastung nicht tragen.

Wer also einen direkten Angehörigen mit einer der bekannten karzinogenen BRCA-1 oder BRCA-2 Varianten hat oder aber, über die Krankengschichten der Vorgenerationen, ein hinreichender Verdacht besteht, der sollte sich nach einer ärztlichen Beratung zumindest testen lassen, denn das Lebenszeit Karzinomrisko für Brust und/oder Eierstockkrebs, liegt bei diesen Mutationen bei 50-80% (15-80%, Ovar), je nach epidemiologischer Studie und ausgewähltem Patientinnenkollektiv.

Nur ca. ein Zehntel bis ein Achtel der bisher typisierbaren Brustkrebs-Arten und Eierstocktumoren ist jedoch auf eine bekannte familiäre Veranlagung zurück zu führen. Die meisten bösartigen Tumoren entstehen spontan, völlig ohne bekannte Ursache oder aus einer nicht genetischen Ursache, z.B. durch Fehlernährung, Süchte aller Art, Arbeitsplatz- und Wohngifte und, bitte nicht vergessen, auch durch Infektionen mit Viren!

Verantwortung für mehr als das eigene Sein

Schon sind wir bei der mutigen Angelina Jolie, die sich beide Brustdrüsen, -nicht die Brust, das wäre Medien-Gaga-, herausoperieren ließ, weil sie wohl abweichende und daher nicht mehr voll funktionsfähige Gene für eines der beiden Schutzproteine, nämlich BRCA-1, ererbt hat. Ihre Mutter erkrankte Mitte Vierzig an einem Brustkrebs und erlag dem Tumor nach langem Leiden.

Peinlich, wie da nun in der Süddeutschen Zeitung über die „Lösung à la Hollywood“ geschrieben wird und grundsätzlich alle notwendigen und nicht notwendigen Operationen bezüglich der Folgen in einen Topf geraten. Peinlich auch, den durchaus aufklärerischen Impetus Jolies zu übersehen und ihn abzuwerten, wie das z.B. die ZEIT machen möchte: „Angelina Jolie taugt nicht als Vorbild“.

Die einfache Botschaft der Action-Diva lautet schlicht, sich bei bekannten Krebsfällen in der Familie, insbesondere, wenn sie in frühen oder mittleren Lebensjahren und immer wieder, von Generation zu Generation auftraten, ein wenig mehr Gedanken zu machen und endlich zum Arzt zu gehen, statt das Lebensschicksal fatalistisch zu erwarten. Das ist, auch mit dem Blick auf die Familie oder den jeweiligen Partner, eine gute, eine ethische Strategie.

Dem eigenen, möglichst langen und glücklichen Leben eine wesentlich bessere Chance zu geben, erscheint doch allemal ehrenwerter und sozialer, als wider besseres Wissen auf den Zufall zu setzen und, sofern man Kinder hat, denen die weitere Spekulation über ihr ererbtes Schicksal zu überlassen.

Erbliche Genmutationen als Auslöser bösartiger Erkrankungen betreffen eine kleine, aber nicht unerherbliche Zahl aller möglichen Patientinnen und Patienten. Familiäre Häufungen gibt es auch für einige seltene Fälle von Darmkrebs mit entsprechenden Vorläuferstadien und für bestimmte Lungenkrebsarten. Schon lange spricht man von den „Cancer families“, in denen bösartige Erkrankungen fast jeder Tumorart besonders auffallen, die häufig mehrere genetische Defekte in den so wichtigen Reparaturmechanismen der DNA aufweisen.

Familiäre Häufung deutet auf Erblichkeit! - Das ist bei Körperkrankheiten so simpel, dafür braucht es keine Hochschulbildung. Gegen dieses Schicksal kann, seit den späten 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, zumindest bei den Trägerinnen der dysfunktionalen BRCA-Gene, mit einer beidseitigen OP des Brustdrüsengewebes und mit einer, heute häufig endoskopisch durchgeführten Entfernung der Eierstöcke, erfolgreich etwas getan werden.

Mut zur Beratung

Frauen und Männer, die sich aus begründetem Verdacht zu einer Untersuchung entschließen, sollten sich, in Absprache mit den ÄrztInnen ihres Vertrauens, über die Konsequenzen im klaren sein. Fällt der Test auf eine eventuell karzinogene Version von BRCA-1 oder 2 positiv aus, so gibt es zwei Strategien. Für beide braucht es gehörig Mut.

Die defekten BRCA-Gene von den normal funktioniernden Mustern zu unterscheiden, das ist immer noch eine langwierige Labordiagnostik, die sich über Wochen (6-8) und Monate (3-5) hinziehen kann, bevor ausreichend Analysematerial angereichert werden konnte und die sichere Zurordnung auf einer weltweit geführten Mutantenliste für BRCA-Genvariationen gelungen ist.

Wer danach nichts tun möchte, der sollte sich zumindest auf ein ziemlich engmaschiges Routineprogramm zur Untersuchung der Brustdrüsen: Tasten, Mammografie als Goldstandard, Sonografie und im Zweifel MRT, auf die Selbstinspektion und genau so, auf regelmäßige Untersuchungen des Eierstockgewebes mittels Utraschall, sowie auf Blutuntersuchungen nach Tumormarkern einlassen können und im jahrelangen „gedankenvollen Zuwarten“ keine allzu starke seelische Belastung sehen. Ansonsten quält Frau sich und andere, Jahre- und Jahrzehnte lang.

Hinzu kommt, dass, wenn dann tatsächlich einmal ein bösartiger Tumor auftritt und heute auch meist früh entdeckt wird, die unbedingt erforderliche Behandlung um einige Grade radikaler ausfällt, als die geplante Risikoreduktion. Bei den dann notwendigen Eingriffen muss mehr Gewebe entfernt, ein Sicherheitsabstand eingehalten und die Nachbehandlung mit Strahlen- und/oder Chemotherapie erwogen werden. Es geht dann nicht mehr um ein einziges Drüsengewebe, sondern um die Systemkrankheit Krebs.

Der zweite Weg ist die radikale Entfernung des Brustdrüsengewebes. Auch dazu braucht es Mut und unbedingt eine gute gynäkologisch-chirurgische Klinik. Einerseits muss das Gewebe vollständig entfernt werden, andererseits, sollte eine gute Chirurgin in der Lage sein, vom Bindegewebe und von den Lymphabflüssen Strukturen zu erhalten. Das hilft später und mit den Jahren, die Form der Brust über den Implantaten oder den Rekonstruktionen aus eigenem Muskelgewebe zu erhalten und Gewebeflüssigkeit sicher abzuleiten, und es unterscheidet diese OP von einer solchen im Falle eines schon vorhandenen, bösartigen Tumors, bei dem meist auch die Lymphabflüsse und Lymphknotenstationen mit wegoperiert werden müssen.

Noch mehr Mut, die Ovarektomie

So wenig spektakulär es klingen mag, die Mastektomie, nun kurzeitig eingegangen in den Alltagssprachgebrauch und das Wissen von Millionen, vielleicht sogar Millarden Menschen, durch ein paar kluge Sätze einer Hollywood-Schauspielerin in der New York Times, ist nicht der eigentlich entscheidende Eingriff in das Selbstbewusstsein der Patientinnen. Die operativ rekonstruierten Brüste, mit Implantaten oder aus eigenem Gewebe, sehen zumeist sehr gut aus und ändern nichts am Stoffwechsel.

Das ändert sich, wenn auch eine Ovarektomie (Eierstockentfernung) durchgeführt werden muss, denn nun geht es auch um einen massiven Eingriff in den Hormonhaushalt, der das Frausein deutlich verändern kann. Östrogene, Androgen und Progesteron lassen sich zwar substituieren, aber die medikamentöse Therapie ahmt nur mühsam nach, was fein abgestimmt im Körper geschieht. Aufgrund der komplexen biochemischen und pharmakologischen Gegebenheiten bleibt die notwendige Hormontherapie eine grobe, mit unerwünschten Wirkungen und auch Risiken behaftete, Behandlungsstrategie.

Bei allen diesen körpermedizinschen Überlegungen, braucht es verlässliche soziale Beziehungen, die Sicherheit, auch mit den psychischen Problemen die auftreten können, offene GesprächspartnerInnen zu finden und schon wieder viel Mut, sich offen von der eigenen Allmacht, selbst in der Ohnmacht, zu verabschieden. Letzteres ist vielleicht den freiheitlichsten Menschen am schwersten, weil sie glauben, daran hänge ihre Persönlichkeit und sie wissen, wie die öffentliche Erregung es derzeit auch zeigt, die Zuschauer des Schicksals, das Publikum, glaubt das häufig genau so. - Ein Teufelskreis.

Christoph Leusch

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