Christian Wulff bleibt konsequent.-Das ist gut so!

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Christian Wulff bleibt konsequent. - Das ist gut so!

Der Staatsbesuch des Bundespräsidenten in der Türkei und seine medialen Nachspiele.

Christian Wulff hat sein Thema gefunden

Warum soll ich es leugnen, ich applaudiere einem Präsidenten, den ich niemals gewählt hätte, gäbe es denn je eine Gelegenheit dazu.

Bundespräsident Wulff, so sieht es wenigstens aus, hat sich entschieden aus dem starren Reich der diplomatischen und medialen Floskeln, aus der Realpolitik der hohlen Phrase auszubrechen. Er absolvierte in der Türkei einen Staatsbesuch, der an jedem Tag mehr für das politische Ansehen unseres Landes und das der Türkei bewirkte, also wahrlich mutuell (gegenseitig, wechselseitig) hilfreich und nützlich war, als es weitere, integrations- und kulturfeindliche Pamphlete auf den Achsen der so genannt Guten in beiden Ländern, wieder einreißen könnten.

Er setzte in der Türkei fort, was er zu seinem Amtsantritt und in der, inhaltlich schon besseren Rede zum 3. Oktober versprochen hatte. Seine Sätze zum Tag der Einheit waren also keine Eintagsfliege. Unser Präsident meint es ernst. - Wenn das so ist, dann ist mir freilich die schlichte Rhetorik völlig egal. Fehlende Rhetorik und fehlende Inhalte in der Staatsrede, kombiniert, das haben wir doch derzeit genug. Ebenso genug des schönen Scheins, samt Gelfrisur, und genug des ganzen von und zu Gedöns, dem sehr wahrscheinlich nicht einmal das medial so ausgemalte „Heldenpaar“ wirklich etwas abgewinnen kann. - Mediale Prominenz schlägt faktengestützte politische Vision und Perspektive. Beim „der Freitag“ wussten das schon die Altherausgeber vor Jahren und Jahrzehnten.

Die konsequente Anerkennung des Islams, der islamisch gläubigen Bürger, setzt Haltungsänderungen in der Türkei und bei uns in Gang, da bin ich mir sicher. Christen werden dort, seit dem fast wortgleichen Auftritt der beiden Präsidenten Gül und Wulff und der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Ehefrauen, - hier zählen und sprechen die Bilder fast noch mehr-, eine ganz andere Perspektive haben.

Aus Respekt und Anerkenntnis erwächst die freiwillige und gewollte Eigenaktivität und der Wille, die eigenen Lebens- und Kulturverhältnisse mit zu verbessern. Das heißt z.B. für Türken und türkischstämmige Deutsche bei uns, endlich die deutsche Sprache zu lernen und sie auch im Alltag zu nutzen. Das heißt in der Türkei, den Staat bei seiner öffentlichen Selbstverpflichtung zu packen, denn seine obersten Repräsentanten haben sich auf eine bessere Anerkennung und den Schutz für Minderheiten festgelegt. - Wenn das kein Gewinn ist, was gilt dann überhaupt noch in der Politik als Mehrwert?

„Der Islam gehört mittlerweile zu Deutschland und das Christentum gehört zur Türkei.“ Beide Präsidenten nicken sich zu und sprechen es laut in die Mikrofone, Ministerpräsident Erdogan nickt, nickt auch die Kanzlerin in Berlin? - Die Präsidenten sehen sich ohne Vorbehalt auch als Vertreter der jeweiligen Minderheiten in ihren Ländern, einer größeren in Deutschland, einer eher kleineren in der Türkei. Es ist im Kasten und archiviert. Darauf können sich Christen in der Türkei und Muslime in Deutschland berufen.

Dieses Mal die Freiheit der Staatsoberhäupter genutzt zu haben, nicht in protokollarischer und formelhafter Starre gefangen geblieben zu sein, -meist werden Präsidenten von den Regierungen, ihren eigenen bürokratischen Apparaten und einer biederen bis hochnäsigen Öffentlichkeit in ein eher sehr enges Korsett gesperrt-, gereicht beiden, Abdullah Gül und Christian Wulff zur Ehre.

Das Echo auf Wulff in der Heimat

Wulff hat es nicht leicht zu Hause, denn ein beträchtlicher Teil der deutschen Öffentlichkeit, -auch ein Kern der so genannten Intellektuellen-, wehrt sich gegen seine längst überfällige Erkenntnis und Anerkenntnis, und weil die Möglichkeiten heute vielfältiger sind, feiert das „gesunde Volksempfinden“ wieder fröhliche Urstände und macht sich in einer Suada von Beschimpfungen, Flüchen und Drohungen Luft.

Der „dF“ ist wahrlich nicht die Ur-Heimat dieser Art Meinungsäußerungen. Dazu muss man in die Zeitungen schauen, deren breite, viel zahlreichere Leserschaft schon eine eindeutige Erwartungshaltung, eine gewisse „Vorspannung“ haben, wie und was z.B. über diesen Staatsbesuch zu schreiben und zu denken wäre. - Man lese also dort, wo sich so viele Gleichgesinnte unter einem Artikel, nein, unter fast jedem zweiten Artikel zu diesem oder ähnlichen Thema treffen.

Furcht muss man haben. Denn sollte es jemanden geben, der die da ausgesprochenen Ressentiments geschickt bedient und einsammelt, stünde ein Rückfall in dunkle Zeiten ins Haus. - Die Welt-Online titelte, „Wulffs Türkei-Reise ist ein diplomatisches Glanzstück“ (www.welt.de/politik/ausland/article10474405/Wulffs-Tuerkei-Reise-ist-ein-diplomatisches-Glanzstueck.html#writeComment ), und die Journalisten B. Kalnoky und M. Kamann begründeten das Titelstatement klug und einfühlsam.

Die Reaktion kam prompt, und sie tobte sich in bisher über 400 Kommentaren aus, von denen nur ein verschwindend kleiner Teil argumentativ oder gar abwägend ist.

Wie lange konservative Blätter noch solche Artikel drucken werden, wenn das Publikum mit Liebesentzug reagiert, wie viele Schauplätze diese Medien, zum Ausgleich für einen einzigen Artikel dieser Art, mit den Journalisten von der „guten Achse“ besetzen müssen, - Das öffentlich-rechtliche Programm hat sich längst schon für eine Broderisierung entschieden und öffnet seit geraumer Zeit täglich den so genannten Tabubrechern die Sendeplätze, Moderatoren halten sich für Tabubrecher, Talkshows erzielen Quoten mit den üblichen, genau dazu eingeladenen, Aufregern. -, das wird die Zukunft zeigen. Allerdings ist solch´ ein Welt-Kommentarthread auch eine Vergewisserung, solche Sitten und Gebräuche beim „dF“ gar nicht erst weiter einüben zu wollen.

Abdullah Gül auf eigenem Boden

Gül hat es auch nicht leicht. In seinem Land sind es gleich drei Strömungen, vielleicht sind es auch ein paar mehr, die eher widerständig der erfolgreichen AKP-Regierung beim konstanten Handeln zusehen, ohne allerdings realistische Alternativkonzepte vorzuschlagen.

Die großen und bewundernswerten Mühen der türkischen Regierung, das Land Europa anzunähern, um dort endlich ein gleichberechtigtes Mitglied zu sein, werden von einem Teil der türkischen Öffentlichkeit und von den Nationalisten nicht gemocht. Die Chancen für einen Euro-Islam und eine kritische Koranexegese aus der Ankaraer-Schule (www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/618042/ ) werden strikt als Islamisierung ausgelegt. So sehen es jedenfalls die in die Defensive geratenen Säkularen in der Türkei, die sich zu selten fragen, warum sie so in der Defensive sind.

Dann gibt es noch jene, eher schweigsame, aber sehr einflussreiche Gruppe, die sich die Türkei eher als eine militärisch auftretende und vorzüglich militärisch gesicherte, unabhängige Mittelmacht am Bosporus denken. Lange Jahrzehnte hatten sie die Fäden im Hintergrund in der Hand ( www.monde-diplomatique.de/pm/.dossier/tuerkei_artikel.id,20100212a0006 ).

Die drei Gegenpositionen sind derzeit eher hilflose Opponenten. Denn was immer man über die AKP-Regierung sagen möchte, -längere Regierungsverantwortung birgt immer ein hohes Risiko an Korruption und Begünstigung, an bürokratischer Verkrustung und Starre-, sie bleibt die aktive politische Triebfeder einer weiter anhaltenden Modernisierungspolitik und erhält dafür die Unterstützung einer größeren Mehrheit der Bevölkerung.

Christoph Leusch

Startseitenfoto: Bulent Kilic / AFP / Getty Images

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