Die Rede vom Regenwald

Klima&Biotopschutz Zur Kopenhagener Klimaschutzkonferenz werden wieder mediale Fensterreden gehalten. Derweil bleiben das 2- Grad- Ziel und der Regenwaldschutz utopisch.

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Die gängige Rede vom Regenwald, Kindergeschichten für die Erwachsenenwelt

Von Konferenz zu Konferenz

Die Kopenhagener Klimaschutzkonferenz steht für Dezember an und wieder einmal sammeln Politiker mediale Aufmerksamkeitspunkte, indem sie ein energisches Handeln einfordern und auf den Handlungsdruck in der Sache hinweisen. Man habe sich doch auf eine Klimaerwärmung von nicht mehr als 2 Grad Celsius gegenüber dem Ausgangswert von 1990 geeinigt und müsse nun dieses ehrgeizige Ziel auch ernsthaft erreichen wollen, sprach zuletzt die Kanzlerin. - An den klimatischen Nikolaus- und Vorweihnachtsgeschenken wird derzeit mühsam gearbeitet.

An den Regenwald denken die Strategen dabei aber erst in neuester Zeit. Im Kyoto-Protokoll wurden, trotz des damals schon bekannten Anteils der Entwaldung an der globalen, menschenerzeugten CO-2 Last, Maßnahmenkataloge schlicht vergessen. Zumindest die norwegische Regierung, will das nun systematisch ändern, wie unter anderem, dem knappen Selbstbekenntnis des Premiers Stoltenberg und seiner Staatskanzlei zu entnehmen ist (www.regjeringen.no/en/dep/smk/Whats-new/News/2008/facts-about-the-rain-forest-and-the-amaz.html?id=526497 ).

Hehre Absichten und deprimierende Realitäten

Allerdings verwundert, wie national gehandelt wird, wenn es um die Umsetzung der internationalen Beschlüsse und Absichtserklärungen geht. Brasilien will seine Ethanolwirtschaft und den Sojaanbau ausweiten. - Das kann nur zu Lasten der Regenwälder gelingen.

Deutschlands neue Regierung möchte die Subventionen für die regenerativen Energien deutlich zurück fahren und plädiert für einen freien Wettbewerb der Energieanbieter. -Das bedeutet, in Afrika und Südamerika werden agrarische Energieprodukte hergestellt, die sich in Amerika und Europa, zukünftig auch in China und Indien, absetzen lassen.

Die beiden „BRIC-Staaten“ („BRIC“ = Brasilien, Russland, Indien,China) gehen noch einen Schritt weiter und kaufen sich derzeit in Afrika Agrarland zusammen. - Die „Claimstruktur“ des Kapitalismus fiel ja jüngst sogar Deutschlands erstem Fernsehsessel Philosophen , Peter Sloterdijk, auf. - Der ganze Vorgang wird international unter dem Namen „Land grabbing“ abgehandelt.

Wäre der Regenwald ein Eisbärbaby, seinen Erhalt sicherte allein schon der Verkauf der Fan-Artikel. Aber das bei weitem artenreichste „Biom“ der Erde, - es klingt weniger flauschig oder knuddelig, wir assoziiieren dazu Viren, Krankheiten und Monsterspinnen-, ist für PolitikerInnen, wie der staatstragend, wichtigstens Frau der Welt, ein gerne genutzter Anlass zur Fensterrede. Die fällt, aufgrund der bescheidenen rhetorischen Mittel, nicht gerade aufweckend aus.

Nutzungsdruck

Für die meisten Menschen der betroffenen Länder bleibt der Tropenwald nicht viel mehr, als eine riesige verwertbare, hölzerne Materialmasse und ungenutztes Land, Hindernis und Ärgernis im Überlebenskampf zugleich, Hemmnis auf dem Wege zum Geschäftserfolg. Der Regenwald stört beim Versuch der Brasilianer dem mittleren Westen der USA, materiell und in der Landnutzung etwas ähnlicher zu werden. Vor Ort wird das auch unumwunden zugegeben und nennt sich in der sterilen Fachsprache ökonomischer und sozialer „Nutzungsdruck“.

Einigermaßen romantisch mutet die Vorstellung an, die „Indigenas“, -es leben vielleicht noch 100.000, oder auch 350.000 (?) in Amazonien-, schützten in zugeteilten Reservaten den Regenwald. Sie sind hoffnungslos in der Minderheit und hoffnungslos wehrlos, wenn Menschen mit anderen Wirtschaftsinteressen und völlig anderen Lebensmodellen nahen ( www.bundestag.de/dasparlament/2008/03/Thema/19268201.html ).

An Brasiliens Atlantikküste verschwinden derzeit die letzten maritimen Regenwaldgebiete. - Regenwald -Indianer gibt es dort schon lange nicht mehr! - Ursache ist die Bevölkerungsentwicklung. Brasiliens Ballungs-und Wirtschaftszentren liegen bevorzugt an der Küste. Hier herrschen Verkehr, Industrie und Siedlungbau und die Intensivlandwirtschaft, wie in den Vereinigten Staaten oder in Europa. - Fabiana Frayssinet fasst das auf ips-News kurz und bündig zusammen ( ipsnews.net/news.asp?idnews=47030 ) .

Im Landesinneren sind die Regionalstaaten Brasiliens im Südosten und Süden besonders von der Entwaldung betroffen. Hier hat der Wald Kontakt zu großen Offenland und Agrarflächen. Auf Satellitenbildern zur Entwaldung wirkt Amazonien, entsprechend eingefärbt, immer mehr wie ein von Mottenfraß befallener, verschlissener Mantel. In den Regionalstaaten Para, Mato Grosso, Rondonia und Acre schreitet der Regenwaldverlust so unerbittlich voran, wie einst der Sozialismus unter Honecker und heute eben, der real existierende Kapitalismus.

Genaue Daten zu gewinnen, ist wissenschaftlich und technisch keine Kunst mehr. Es fehlen aber der ausdauernde politische Wille, das fest zugesagte Budget und die notwendigen Institutionen mit Fach- und Handlungskompetenz. So bringt es Gregory P. Asner von der Universität Stanford für die Carnegie Stiftung auf den Punkt ( www.edf.org/documents/10333_Measuring_Carbon_Emissions_from_Tropical_Deforestation--An_Overview.pdf ).

Wie steht es um den letzten Ur-Wald der Erde?

Die Regierungen jubeln und halten sich für sehr erfolgreich. Selbst die, für ihre Natur notorisch blinden, Schwellenstaaten Brasilien und Indonesien schaffen in großer Eile Gesetz um Gesetz. Was davon zu halten ist, bekümmert sogar das Wall Street Journal. In Brasilien helfe dem Präsidenten Lula, so schreibt Keith Johnson, nach einigem journalistischen Kopfschütteln über die vom Staatoberhaupt ausgerufene, endgültige Rettung des Regenwaldes, allenfalls noch das Militär im "Umwelteinsatz" ( blogs.wsj.com/environmentalcapital/2008/01/30/the-forest-for-the-trees-ethanol-and-deforestation/ ). - Es geht gewaltsam zu.

Fast schon als Naturgesetz kann gelten, dass ein Biotop sich nicht nachhaltig bewirtschaften lässt, welches an sich schon nachhaltig und notwendig auf dieser Erde existiert. Satellitenbilder und Erdbeobachtungsflüge entlarven die alltäglichen „Märchengeschichten“ und legen offen, wie es wirklich zugeht. - Beim Schwesterblatt des „Der Freitag“ nahmen Tom Phillips und John Vidal kein Blatt vor den Mund (www.guardian.co.uk/world/2008/jan/25/brazil.conservation ): „ The Brazilian Amazon has been decimated by a combination of loggers, farmers and ranchers over the last 40 years. Environmentalists say as much as 20% of the rainforest has already been destroyed, mostly since the 70s. A further 40% could be lost by 2050 if that trend is not reversed, they estimate.“

Was tat sich seit den ersten Hilferufen aus den „Tristes Tropiques“?

In der Wirklichkeit angelangt, lässt sich zwar nachweisen, dass die Ära der ungeminderten Waldvernichtung infolge der Rio Konferenz von 1992 endgültig zu Ende ging. Aber, die seit etwa einem Jahrzehnt deutlich niedrigeren Verlustraten ändern nichts am zwangsläufig fatalen Endzustand, sollte es so weiter gehen! - Es gilt, was Yadvinder Malhi, J. Timmons Roberts, Richard A. Betts, Timothy J. Killeen, Wenhong Li, Carlos A. Nobre für das Wissenschaftsmagazin Science 2008 zusammen trugen ( eebweb.arizona.edu/faculty/saleska/Ecol596L/Readings/Malhi.08_Amazon.Future_Science.pdf ).

Schlicht zusammengefasst, schätzen die Forscher, dass die gegenwärtige, jährliche Vernichtung des Regenwaldes ein knappes Fünftel der anthropogenen, also von Menschen geschaffenen, zusätzlichen CO-2 Last für das Klima stellt. Sie befürchten, es werde zukünftig ein Teufelskreis einsetzen, wenn erst einmal große Flächen Amazoniens gegen die Mitte des Jahrhunderts verschwunden sind. Trotz der erstaunlichen Widerständigkeit der feuchten Tropen nimmt deren „Trockenheit“ durch die globale Klimaerwärmung heute schon zu. Besonders betroffen sind hiervon gerade die artenreichsten, sehr sensiblen und kleinflächigen Hoch-, Nebel- und Bergurwälder entlang der östlichen Andenhänge.

Notorische Zweifler

Aber auch in diesem Falle gibt es „Regenwaldexperten“, die partout nicht einsehen, warum sie an das Paradigma vom Regenwaldverlust überhaupt glauben sollten. Trutzig erklären sie, es sei nichts bewiesen und der Regenwald habe in der Fläche überhaupt nicht abgenommen. Geschickt verweisen sie auf Ungereimtheiten, die auf die mehrfache Änderung in der Zählweise für Regenwaldflächen zurück gehen, die bisher vor allem die Welternährungsorganisation, FAO, durchführte. So klingt, was z.B. der Geograf Alan Grainger von der Universität Leeds (GB) (www.eurekalert.org/pub_releases/2008-01/uol-nce010708.php ) zu sagen hat. -Allerdings steht er unter den Wissenschaftlern ziemlich allein auf weiter Flur.

Weltmeister im Abholzen

Seit Jahrzehnten führen wenige Länder die Liste der Regenwaldvernichter an. Brasilien deshalb, weil das Land den meisten Regenwald der Erde besitzt und ihn nach Kräften nutzt. Zuletzt im großen Stile für Ethanol, für gentechnisch veränderte, weltmarktfähige Futterpflanzen (Soja) und die globale Holzwirtschaft. Indonesien wechselt regelmäßig mit Brasilien den "Spitzenplatz", weil dort Korruption, internationale Wirtschaftsverflechtung und pure Not am Anfang der Wertschöpfungsketten jede Nachhaltigkeit zerstören.

Nigeria arbeitet derweil unsytematisch, dafür aber unaufhaltsam an der Zerstörung seiner Regenwälder. Wer dort ein Geschäft machen will, macht es mit dem korrupten Staat oder ebenso gut, von Söldnern bewacht,an ihm vorbei. Im Kongo ist die Lage ähnlich, jedoch weiß kaum noch einer, wie man an verläßliche Daten aus diesem schon „gestörten“, schwarzen Herzen Afrikas kommen soll.

Die Rosenzucht in Kenia wird gar von der „Focus- Schule“, dem Faktenblatt (!) für Schüler und ihre Lehrer, zum Klimaretter hochgeschrieben ( www.focus.de/schule/dossiers/nachhaltigkeit/wirtschaft/tid-12901/gute-globalisierung-warum-6000-flugkilometer-oeko-sind_aid_356277.html ).

Die Waldzerstörungsraten Afrikas folgen keiner internen Logik oder wesentlich geänderten nationalen Rahmenbedingungen. Sie spiegeln, jeweils mit kleiner Verzögerung, als „biologische Lackmusstreifen“ den Fortgang der Weltwirtschaft. Bei Konjunktur wird „geholzt“.

Einen sehr guten Überblick verschaffen die Seiten von „mongabay.com“ ( news.mongabay.com/2005/1115-forests.html ). "Mongabay" zeigt aber auch drastisch das Dilemma. Ein Werbe-„Flasher“ lädt zum Investment in brasilianische Eukalyptus-Plantagen. In der Werbung eingebaut, der entscheidende Spruch für Investoren aus der Financial Times: „Money doesn´t grow on trees, unless you are in the timber business“. Prognostizierte Gewinn-Spanne 8-14%. - In einem Update taucht die Werbung nicht mehr auf ( news.mongabay.com/2007/0313-forests.html ).

Waldheimat und Waldromantik

Wir Deutsche haben eine romantische Waldneigung. Von Mittenwald bis Rügenwald, von Waldbrol bis Waldaschaff, rufen uns schon die passenden Landkartennamen an. Den europäischen Nachbarn geht es ähnlich. Denn auch in Frankreich oder Spanien liegt Vieles vor, hinter, unter und in den Wäldern, nennt sich jedenfalls so, selbst wenn der Wald schon hunderte Jahre verschwunden ist. Der Wald ist unsere Gemütsausgleichs- und Freizeitlandschaft und Krimimorde werden erst durch den „Mörderwald“ (1) richtig schön.

Genügt die Liebe zum Wald, gepaart mit der wissenschaftlichen Rationalität der in Deutschland mit erfundenen, "nachhaltigen Waldwirtschaft“ als rettende Maßnahme in den Tropen? Genügen die Prinzipien des „Nürnberger Tannensäers“ Peter Stromer? Hilft die Nachhaltigkeit, das forstliche Reinheitsgebot seit 1368 ( www.waldwissen.net/themen/wald_gesellschaft/leitbilder_leitkriterien/lwf_nachhaltigkeit_mittelalter_2003_DE )?

Was die Fortswirtschaft, die Fortsbiologie und das ganze agrarwirtschaftliche Denken nicht leisten, ist die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der Tropen mit zu bedenken und an zu erkennen.

Es gibt keine großen Ähnlichkeiten in den klimatischen und geologischen Bedingungen, keine Chance eines Vegleichs von Floren und Faunen, keine Böden, die irgendwie mit dem „Fruchtbarkeitswissen“ aus Europa gerettet werden könnten. Regenwald lässt sich nicht integriert waldbäuerisch bewirtschaften. Selbst eine flächeneckende, biologische oder ökologische Export-Landwirtschaft, wie sie sich derzeit gerade zum Schlager in Drittweltländern mausert, verschafft nur einen zeitlichen Aufschub, keinen prinzipiellen und absolut notwendigen Stopp der Waldvernichtung! - Diese Zusammenhänge sind bekannt, Konsequenzen werden jedoch keine gezogen. Christoph Leusch

Anmerkung:

1) „Mörderwald“ ("El interior del bosque") deutscher Titel eines lesenswerten Kriminalromans des Spaniers Eugenio Fuentes. Die Handlung spielt teilweise in einem Nationalpark.

Empfehlungen:

1. Für ein Wochenende ohne Disco und Kino, für die Konkurrenzbeschäftigung am Feierabend. Margarete Payers, „Materialien zur Forstwissenschaft“, hier das Kapitel zu den tropischen Regenwäldern, www.payer.de/cifor/cif0203.htm#3. Wer diese Seiten gelesen hat, der redet beim Modethema weniger Quatsch und lässt sich nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen.

2. Bunt und bilderreich, trotzdem nicht platt, was Frau Dr. Lehmann vom Bundesamt für den Naturschutz für einen Vortrag zusammenstellte. Sie informiert zu „REED- Opportunities and Challenges for Biodiversity Conservation and Poverty Reduction“ ( www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/ina/vortraege/Poverty-2008-8_Susanne_Lehmann.pdf ).

3. Mit Google Earth lassen sich folgende dynamische Grafiken zu den "Disappearing forrests" anschauen. Beim Einzoomen offenbaren sich weitere Details ( www.gearthblog.com/blog/archives/2008/06/disappearing_forests_google_earth_v.html ).

4. Wer eine literarische Anregung braucht, wie die Tropen auf Europäer wirken und wie sie ihren "Schock" durch gewalttätiges "Vereinfachen" der Realität zu heilen suchen. Alfred Döblins Spätwerk, die Romantrilogie: „Das Land ohne Tod“, „Der blaue Tiger“, „Der neue Urwald“. Gebraucht kaufen, über Stockflecken und Bereibungen hinweg sehen. Es lohnt


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