Hilfe!Europa geht an Spekulanten-Zweitgedicht

Politisches Gedicht Auf Günter Grass und sein jüngstes Prosagedicht "Europas Schande" muss man nicht prosaisch antworten. Auch verdichtet, bleibt die Materie eine trockene Angelegenheit.

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Occupy-Camp, F.a.M., November 2011

Hilfe, Hilfe! Europa geht an Spekulanten

(Ein Zweitgedicht)

Das Chaos der Märkte schluckt täglich, es kennt kein gerecht.

Europas Heimat, auf ewig verschuldet, rentiert so nur schlecht.

Die Wirrniss, der Irrsinn, freizügig gehandelt, sie bleiben gesetzlich,

denn Schuldner, wie Bürgen, halten ihren Zustand für rechtlich.

So lebt das Chaos kosmisch, wie vor dem Beginn undenklicher Zeiten,

vom Nachschub an Material; irdisch, von vertraglich notierten Sicherheiten.

Ein Schwarzloch höherer Gewalten, beugt selbst hell strahlendes Licht,

Europas Menschen, deren Wissen und Kulturen, als seien sie gar nicht.

Der arme Holterling, Antikenführer, Turmbewohner, Ehrenkriegstreiber,

einst Traumgrieche und letzthin noch falscher Helden Songbuchschreiber,

saß er nicht wirr, im Blick das Chaos, zu Alttübingen über dem Neckarufer?

Von Maintürmen ahnungslos, fern staatenloser Tower-Cities ohne Schiefer,

dichtete der Stiftshellene, derweil Erdwälle als Straße bekannt werden sollten.

Dort stehen heute Schulden, nicht Werke, verbrieft auf digitalen Wertstoffkonten.

So aufgeschrieben, kassieren sie Zinsen, wenn jene Griechen längst dahin sind,

und verteilen die eingesammelten Möglichkeiten auf jedes Urgroßenkelkind.

Da glänzt nichts gülden, nichts stapelt sich hoch. Die ökonomischen Speicher,

sie halten Nullen und Einsen, wie unbekannte Namen durchaus einige Banken.

Gläubigerbeute, dein Name: Europa, Amerika schon halb. Ganz ohne Schranken,

nennt Afrika ruhig Schürferlaubnis, das platinenlötende Asien konsumentenreicher.

Taut Russland, taut es ganz auf! Was ihre dort findet, verheizt und verfahrt es bald!

Amazonien pflegeleicht, längst eure Plantage; den Erntedank, vertankt ihn halt!

Warum wurde alles wie es ist? Warum wird alles, -abwartend-, weiter so bleiben?

Ihr glaubt, darin Arnolph Archilochos gleich, ihr könntet auch als Unterbuchhalter

großer Buchmacher gut leben, die Zeitung lesen und Rechnungen an Fremde schicken.

Dabei, gäbe es Europäer selbstverständlich, unser Griechentum fände sich ehrenhalber.

Europa, längst ein einig Griechenland, es müsste sich größer, weiter, schöner, vor allem heiterer, denken,

und unsichtbare Hände nicht an seinem Halse liegen lassen, die es für trockenfallend Flussland halten.

Christoph Leusch

Zum Chaos:

1- Chaos sprachlich: Die Webseite „tess, the English Spelling Society“, Improving English Spelling

www.spellingsociety.org/journals/j17/caos.php

Auf dieser Seite steht die Lang- und Finalform des Gedichtes „The Chaos“ von Gerard Nolst Trenité. Hier eingestellt, um die eher erzwungene Notwendigkeit des sprachlichen Chaos zu demonstrieren, das als einziges Mittel hilft, ein wenig Licht in die dunkelsten Ecken des Verstandes zu schicken und die Welt in ihrer so gerade noch abbildbaren Realität begreiflich zu machen.

2- Irgendwie hat Michael Angele Recht, man müsste reagieren, irgendwie das Unrecht korrigieren.

Aber wie? Es muss uns was ganz Großes, was Griechisches einfallen. Sonst landen wir alle im Himmel ohne Paradies. Da gibt es nämlich weder Griechen, noch ein Europa. Nur ein paar dürftige Reklameengel aus L.A. lassen wir uns noch gewohnheitsmäßig auf Leinwänden zeigen, und das färbte schon zuletzt so stark ab, dass wir nur noch Schubidubidu verstehen:

www.freitag.de/community/blogs/michael-angele/hilfe-grass-hat-ein-neues-gedicht-da-muss-man-doch-reagieren

3- Was Reaktionen auslöste und nicht unbedingt die edelsten und hellenischsten Gedanken lockerte. Ein Grass und schon wieder ein Prosagedicht:

www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-von-guenter-grass-zur-griechenland-krise-europas-schande-1.1366941

4- Warum es kam wie es kommen musste, mit unserer gemeinen Wirtschaft, die keine Gemeinsamkeiten mehr kennen mag, nur unsichtbarer Hände und seien sie des Teufels, für ewig erfolgreich hält.

Alles fängt mit den Griechen an, und wenn wir es wollen, dann endet es auch mit ihnen. Der Unterschied „Oikonomos“ und Ökonomie, er lässt sich grausam falsch in die Jetztzeit verlängern. Einer der selbst noch die Widersprüche seiner eigenen Forschungen und Grübelungen als konsistente Theorie verkaufen möchte, einer der zwar nicht Ayn Rand heißt und nicht mit ihr verwechselt werden möchte, schrieb das Folgende dazu auf:

„It all began, as usual, with the Greeks“, textete der selbsternannte Anarcho-Liberale, Murray N. Rothbard, kurz vor seinem Ableben. Die, -die Anarcho-Liberalen, nicht die Griechen-, feindlicher gesinnt und einfach, Neoliberale genannt, sind des Übels eigentliche Ursache.

Nicht etwa, weil sie immer Unrecht hätten. - Nein, ganz im Gegenteil, viele kluge Gedanken stammen aus ihren Gehirnen und wanderten in die Textbooks der Ökonomen und in die Statements ihrer populären Nachbeter auf dem politischen Parkett.

Schädlich ist ihre übersteigerte Selbsteinschätzung, sie seien die einzig wahren, übrig gebliebenen Schriftgelehrten des Oikos (göttliche Haushälter!). Das führt, unter anderem, zum anarcho-liberalen Wirtschafts- und Gesellschafts- Diktat, zusammenfassend „Österreichische Schule“ oder „Wiener Schule“ genannt: www.mises.org/daily/2054

5- Arnolph Archilochos, die Hauptperson in Dürrenmatts Roman „Grieche sucht Griechin“. Arnolph ist stiller Idealist und zugleich Unterbuchhalter, eine sehr gefährliche Mischung. Er erlebt Glanz und Elend jenes Schimpfs, der derzeit auf die bösen Griechen niederhagelt. Wieder lesenswert, dieser Dürrenmatt und ernsthaft lustig.

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