Staatstragend durchnässt, nicht aufgeweicht

Hollande im Amt Hollandes Rede zur Amtseinführung zeigt, unser Nachbar muss eine Vielzahl an ungelösten Problemen gleichzeitig angehen. Dazu tritt ein programmatischer Präsident an.

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François Hollande staatstragend durchnässt, aber nicht aufgeweicht

Die Amtseinführung

Frankreichs neuer Präsident hielt nach seiner Amtseinführung eine diplomatische, aber auch entschiedene, erste Staatsrede. Seine wichtigste Amtshandlung, nach der Übernahme der Schlüsselgewalt für die Force des Frappe, bestand darin, sich Jean-Marc Ayrault als seinen zukünftigen Premierminister an die Seite zu holen. - Danach verlangte die Tradition eine Fahrt zum Grabmal des unbekannten Soldaten, ohne Regenschutz, stehend, im offenen Wagen.

Der neue Premierminister

Mit Ayrault hat Hollande nicht nur einen gut Deutsch sprechenden, ehemaligen Lehrer ins Hôtel de Matignon berufen, sondern einen sehr erfahrenen Politiker, der mit der parlamentarischen Arbeit bestens vertraut ist. Er beriet auch schon Ségolène Royal und anderen PS-Politiker, diente als deren Organisator und gilt als Netzwerker in der Partei. Ayrault war bisher der Sprecher der Linken in der Nationalversammlung und ist daher einer der wichtigen Brückenbauer für das, was Hollands Präsidentschaft erst den nötigen Spielraum sichern wird, wenn sich wirklich etwas ändern soll, im Nachbarland. Eine stabile parlamentarische Mehrheit, links von der Mitte muss errungen und abgesichert werden.

Zugleich ist Ayrault einer der am häufigsten wiedergewählten Kommunalpolitiker des Landes. Der langjährige Bürgermeister von Nantes hat ein ausgeprägtes Verständnis für städtische Probleme und für das Bedürfnis nach einer Wiederbelebung der Region und Landschaften unseres immer noch sehr zentral verwalteten Nachbarn.

Über die Kultur- und Bildungspolitik, den Universitätsausbau und die regionale Wirtschaftsförderung, sowie die vernetzte Infrastruktur (z.B. TGV-Anschluss und ÖPNV) hat er da in seiner Stadt Nantes und deren Umland schon viel erreicht.

Dieses politische Denken, das in Deutschland schon lange die Stärke der Regionen und Räume ausmacht und nun Nantes, die einst eher spröde und vom Niedergang der Schiffbauindustrie schwer getroffenen Stadt zu einem beachteten Zentrum im Westen Frankreichs machte, müsste uns sehr sympathisch sein. Heute ist Ayraults politische Heimat, fast wie ihr westlicher Gegenpart Strasbourg, eine aufstrebende und auch wieder ansehnliche Großstadt.

Ein Präsident mit festen Plänen, nicht mit Allüren

Die Rede Hollands, nun schon mit der nötigen präsidialen Aura versehen, fasste noch einmal zusammen, um was es diesem Präsidenten gehen wird. Nur ein paar zusätzliche EU-Gelder für Konjunkturprogramme auszuhandeln, werden nicht sein alleiniges Hauptziel sein. Das wäre viel zu wenig! Ihm geht es um den Primat der Politik und dafür wird er viel entschiedener kämpfen als sein Vorgänger, auch wenn ihm aus den Medien des eigenen Landes und hier fast unisono aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Angebot, entgegen hallt, gegen die „Märkte“ habe sich bisher noch kein Politiker mit ersnthaften Programmen behauptet.

Klar ist seine Botschaft, sich gegen jeglichen Rassismus, gegen Dikriminierungen, insbesondere der Frauen, in der Gesellschaft zu stemmen und sein Versprechen, sich für die Jugend einzusetzen, sie mit ihren Anliegen gar in die „erste Reihe zu stellen“.

Mehrfach betonte er die Gerechtigkeit, die nicht nur bei der der Verteilung der Lasten, sondern auch bei der Verteilung des gerechten Lohns zukünftig wieder eine Rolle spielen werde. Sehr deutlich und das in Abgrenzung zu seinem Vorgänger, definierte Hollande seine Rolle als Präsident. Er werde nicht aus dem Élysée regieren, sondern mit dem Kabinett und mit der Nationalversammlung zusammen wirken. Nicht selbstverständlich, waren seine Bemerkungen zur Energiewende, zur Erneuerung der Regionalisierungspolitik, zur Beteiligung der freiwilligen und ehrenamtlichen Organisationen. Das sind in Frankreich immer noch Themen, die im Staatszentralismus der Republik nicht unbedingt als besonders wichtig gelten.

Deutschland und Europa

Wir dürfen zudem viel optimistischer sein, dass mit diesem Sozialisten im höchsten Staatsamt des Nachbarn, ein gutes, ein vor allem sich erweiterndes und vertiefendes Kapitel deutsch-französischer Partnerschaft und Freundschaft anbricht.

Die vielen Bedenkenträger schauen fast ausschließlich auf mögliche Spannungen um die Finanzierung des Fiskalpaktes und seine Ergänzungen. Die wirklichen, die eigentlichen politischen Themen, zum Beispiel eine Strukturförderung, dort, wo sich Schwächen tatsächlich auftun, die Begrenzung der Macht der Spekulation, sie gehen über kurzfristige Abstimmungen mit den EU-Nachbarn weit hinaus.

Mit dem neuen Präsidenten kommt auch eine neue Ära der Europapolitik, die sich wieder an die Prinzipien erinnert, die Europa gegenüber allen anderen Weltregionen stark machten. Noch nie hatte ein französischer Präsident in seiner engsten Umgebung so viele Experten für europäische Politik und Kenner des EU-Parlaments. - Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit müssen neu zusammen gedacht werden, anstatt den Verfechtern der Freiheit der ökonomisch starken Marktteilnehmer den ersten Platz kampflos zu überlassen.

Heute Abend landet ein Präsident des Nachbarlandes in Berlin, der nicht das Laissez-allez und Laissez- faire auskosten möchte, um ein paar Fêtes galantes mit der Bling-Bling-Gesellschaft zu feiern,sondern einer, der seine durch Wahlen verliehene Macht einsetzen will, um den demokratischen Entscheidungen zu mehr Respekt zu verhelfen. Die Märkte sind François Hollande sicher nicht egal, aber er wird ihren Erpressungsversuchen mehr und systematischeren Widerstand entgegen setzen. Wir dürfen auf einen programmatischen Präsidenten bei unseren Freunden hoffen!

Christoph Leusch

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