Kleine Nachdenklichkeit zum Begriff des Voyeurs

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Kleine Nachdenklichkeit zum Begriff des Voyeurs

Ursrünglich einmal, lag in dem Begriff, dass der Betrachter einer Diskretion, sei sie sexueller Natur oder auch nur intimer oder sonstwie privater Beschaffenheit, -selbst die Privatheit war ja nicht Voraussetzung-, selbst stumm und still blieb und dies unbedingt wünschte.

Seine geheimen, ihn selbst erregenden Beobachtungen, wollte er nicht mit anderen teilen. Der Voyeurismus war also zunächst eine mehr oder weniger perverse Neigung, je nachdem, wie weit Neugierde und Lustempfindungen die befallene Person trieben und moralische Überlegungen sie wiederum bremsten, andere, die sich privat oder unbeobachtet fühlten, doch irgendwie zu beäugen und zu belauschen, daran Gefallen, manchmal sogar Erregung, mehr oder weniger sogar ein süchtiges Verlangen auszubilden.

Tatsächlich setzt dann ein, dass die Perversion nur dann eine lässliche Persönlichkeitseigenschaft blieb, wenn man sie doch mit einer ausreichenden Zahl anderer Menschen teilte.

Gucken drei oder vier, am Ende gar ganze Nationen, über die Medien durch echte und gefälschte Schlüssellöcher, z.B. auf sexuelle Intimitäten, geht der Gehalt der Zuschreibung verloren. - Was kann pervers genannt werden, wenn alle Welt sich dem Voyeurismus hin gibt?

So steht es. Die Entlastung des Voyeuers, sittlich-moralisch, aber auch bezogen auf die Selbsterkenntnis des eigenen Verhaltens und Fühlens, erfolgt aus der Bestätigung der Vielen, die wissend, stumm nicken, ja, ja, mit der krauchenden Pfeife im Mund, dem Kaugummi zwischen den Zähnen und dem großen medialen Schlüsselloch vor dem Gesicht. - So geht es zu und wir sind nicht allein, nicht einmal selten, sondern begleitet von den Vielen, die ihren eingestandenen und uneingestandenen, aber vorbewussten Leidenschaften ebenso folgen. - Auf dieses Prinzip aufbauend, funktioniert, vom Goldenen Blatt bis zu Harald Schmidt, ein beträchtlicher, vielleicht sogar der größte Teil der medialen Aufmerksamkeitsindustrie.

Seltsam und bemerkenswert ist aber, dass heute die Voyeure mit Vorliebe einen anderen Typus der Mediengsellschaft suchen, den Exibitionisten.

Das hätten frühere Voyeure, schon um die Bewahrung ihrer kleinen indiskreten Geheimnisse, die die Lust ja vermitteln und steigern, keinesfalls getan. Schließlich drohte Strafe und vor allem, ein vorläufiges Ende des Lustgewinns aus dem beobachteten Geheimnis.

Einem Exibitionisten voyeuristisch zuzuschauen, ist im Grund genommen das Ende des Voyeurs als Begriff und selbstverständlich sein Ende in der Realität. - Hat es der Voyeur nicht schwer, bleibt das Beobachtete nicht sein Geheimnis, sein persönliches Vergnügen, dann verwandelt er sich im selben Moment in ein anderes Wesen: „Ich bin ja gar kein Voyeur, nein, Gott oder Mensch bewahre, ich zeige auf Exibitionisten!“

Leider hat der mediale Voyeur die fatale Umkehrung der Verhältnissse nicht verstanden.

Klassisch hüpfte der im Buschwerk verborgene Exibitionist, als „Flasher“ oder sonstwie, aus seiner Tarnung, vor das nichts ahnende, von ihm selbst ausgewählte, Publikum, -von Einem bis zu Vielen ist alles möglich-, und entblößte sich. -Auch hier ist, von der Beschreibung des Denkens und des Fühlens, bis zum ganz realen Körper, alles möglich.- „Huch“, schreckte das Publikum auf und das öffentliche Ärgernis wurde belächelt oder gar juristisch verurteilt.

Heute springen aber die Voyeure dem Publikum dauernd ins Gesicht und rufen laut: „Schaut, schaut, was ich schon wieder für einen ausgemachten Exibitionisten entdeckt habe. Den müsst ihr euch erst einmal ansehen! -Wer hat noch mehr zu bieten?“ - Das gibt zu denken.

Christoph Leusch

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