Milleniumziele-Selbstlob globaler Hausfrauen?

Globale Armut Die Millenium Ziele der UN und der Weltbank sind vorzeitig erreicht. Stimmt der Pressejubel und die Selbstdarstellung? Wie globale Hausfrauen und Hausmänner Buch führen.

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Millenium Ziele-Wie gut rechnen die globalen Hausfrauen, United Nations und Weltbank?

Ein klassischer ökonomischer Ansatz ist, sich erreichbare Ziele zu setzen und diese dann mit einem Business-Plan anzustreben. Der Erfolg ist bezogen auf den Durchschnitt, immer statistisch darstellbar. So viel Kapitaleinsatz, so viel Personal, so viel Produktion, so viel Verkauf, Strich darunter und Ergebnisfeststellung, einmal vor Steuern und prognostisch, nach Steuern, dann erfolgt die Auszahlung der Überschüsse an die Inhaber, die Aktionäre und ein paar „Boni-Beans“ an die leitenden Mitarbeiter.

Die Vereinten Nationen machen es nicht anders, als gute mittlere Unternehmen die sich auf dem Markt bewegen. Nur sind die Kenngrößen und Ziele der UN, jene Jahrtausendziele, nicht nur eine Frage von Gewinn und Verlust, sondern eine Wiederspiegelung von Leben und Tod, absoluter Armut und relativem Reichtum, in nackten Zahlen.

Die vereinigten Zyniker dieser Erde einmal beiseite gelassen, die bei allen existenziellen Diskussionen immer nur antworten, die Kinderchen mit dem Eiweiß- und Vitaminmangel lachten doch auch einmal und spielten gerade so schön mit ihren staubigen, selbst gebastelten Blechreifen Nachlaufen, seien dabei gar fröhlicher, momentan glücklicher, als so manches Europa und US-Kid vor seiner Play-Station, lohnt es sich trotzdem solche Erfolgsmeldungen, Mutter Erde und ihren Kindern ginge es besser, sehr genau zu lesen.

Millenium-Ziele schon drei Jahre früher erreicht. Ist der Jubel berechtigt?

Nun sollen die Vereinten Nationen den „Business-Plan“ übererfüllt und frühzeitig erreicht haben, schreibt Maritta Tkalec als Leitartiklerin in der Frankfurter Rundschau, „UN-Millenniumsziele: Ein Sieg gegen Armut“ ( www.fr-online.de/meinung/leitartikel-un-millenniumsziele--ein-sieg-gegen-armut,1472602,11855404.html ). „Es gilt, eine gewaltige Leistung der internationalen Gemeinschaft zu feiern.“ Später wird Frau Thalec etwas bescheidener und erwähnt, dass auch mehr als 1,25 $ pro Tag und der Zugang zu sauberem Wasser noch nicht bedeuten, es sei alles zum Besten bestellt. Aber zunächt wird sprachlich gefeiert. Der FR-Leser lehnt sich sanft zurück, streicht sich über den Bauch, lobt seine Zeitung, sein aufgeklärtes Selbst und denkt: Wie gut und schön ist doch das Millenium, es geht aufwärts!

Ich will nicht auf den gesamten Artikel und weitere unkritische Abschreibereien aus den routiniert-regelmäßigen Presseerklärungen Ban Ki Moons und den Verlautbarungen der Weltbank eingehen, aber die Sache mit dem einen Dollar pro Tag, die neue Maßgröße, inflationsbereinigt, heißt nun 1,25 $ , die interessiert mich schon.

Das Millenium- Ziel, Ausgangsjahr 1990, lautete, die Zahl der Menschen die von einem Dollar täglich leben müssen bis 2015 zu halbieren.

Zum Basisjahr sollen es 1.000.000.000 Menschen gewesen sein, die unter dieser Grenze dahin vegetierten. Nun, fast drei Jahre vorher als geplant, schreibt sich die UN in ihrem Milleniumreport 2011 die Planerfüllung selbst auf und die Weltbank assistiert wohlwollend. „Die 1,25-Dollar-pro-Tag-Rate ist im Jahr 2010 unter die Hälfte des Wertes von 1990 gefallen.“ , schreibt unsere Leitartiklerin, die das aus der Presseerklärung der Weltbank zitiert.

Die Botschaft offizieller Pressemeldungen steckt meist nicht in den ersten beiden Absätzen

Was schreibt nun die Weltbank in ihrer Presseerklärung von Ende Februar 2012 (go.worldbank.org/2MU9XBWGX0 )? - In jeder Region der Entwicklungsländer sei der Prozentanteil derjenigen Menschen, die von weniger als 1,25 $ / Tag leben gefallen und die Zahl der absolut Armen gesunken. Dies sei das erste Mal, seit die Weltbank solche Betrachtungen anstelle. 2008 lebten geschätzt 1,29 Millliarden Menschen unter der absoluten Armutsgrenze, was ca. 22% der Bevölkerung in den Entwicklungsländer ausmache. Zum Vergleich, so die Bank, seien es 1981 1,94 Milliarden gewesen, die damit hätten auskommen müssen.

Als Grund für die so positiv wirkenden Zahlen, nennt die Weltbank aber auch, dass Stichprobenuntersuchungen zu den Haushaltseinkommen aus den Mittelklassen der Entwicklungsländer in den letzten Jahren leichter zu gewinnen sind, aber dort, wo die absolute Armut herrscht, jede Erhebung von Daten mühsam und ungenau bleibt. - Kein Wunder, denn mittlerweile hat auch die sogenannte Mittelschicht der Entwicklungsländer ein Mobiltelefon.

Trotzdem feiert die Weltbank das Millenium-Ziel als großen Fortschritt, weil nach jüngeren Hochrechnungen (post-2008), trotz Nahrungs-, Energie- und Finanzkrise, die absolute Armutsrate auf die Hälftes jener des Jahres 1990 gefallen sei. - Dieses Sätzchen, wie bekannt, wanderte nicht nur in den FR-Leitartikel, sondern setzt sich auch in den Gehirnen der klügsten Leser fest.

Die für Leitartikel untauglichen Absätze

Es geht aber noch weiter im Pressetext der Weltbank! Da wird Martin Ravallion, der Direktor der Weltbank Forschung und Leiter des Teams für die Datenauswertung zitiert: „ And at the current rate of progress, around 1 billion people would still live in extreme poverty in 2015.” - Das klingt nach der ominösen Milliarde, die sich doch halbiert haben sollte, die auch 1990 schon absolut arm nach UN- und Weltbank-Definition war. - Gut, die Weltbevölkerung wuchs und statistisch leben nun tatsächlich mehr Menschen über der 1,25-Dollar-pro-Tag-Rate.

In der Presseerklärung geht es aber nochmals ein wenig weiter im Text! Die 1,25 $ - Grenze ist ein Durchnittswert für die 10 bis 20 ärmsten Länder. „Eine höhere Grenze von 2 Dollar pro Tag ( die mediane Armutsgrenze (1) für Entwicklungsländer) deckt geringeren Fortschritt hin auf das 1,25 $ -Ziel auf. Tatsächlich gab es nur eine moderate Absenkung der Zahl der Menschen, die von weniger als 2 Dollar pro Tag leben, zwischen 1981 und 2008, von 2,59 Milliarden auf 2,47 Milliarden, obwohl sich der Abfall seit 1999 beschleunigte.“

Jaime Saavedra, der Direktor der Weltbank-Gruppe zur Armutsbekämpfung erklärt:

“Having 22 percent of people in developing countries still living on less than $1.25 a day and 43 percent with less than $2 a day is intolerable.We need to increase our efforts (Dass 22 % der Menschen in Entwicklungsländern, immer noch von weniger als 1,25 Dollar und 43% von weniger als 2 Dollar leben müssen, ist nicht hinnehmbar. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken).“ - Es folgen noch ein paar regionale „Erfolgsmeldungen“.

Was bedeuten Durchschnitts- und Median-Einkommen, die tatsächlich sehr, sehr moderat gestiegen sind, wenn gleichzeitig auch die Preise der Basisversorgung mit Energie, Wasser und Nahrung deutlich anzogen? - Die höflichen Direktoren von der Weltbank bleiben wenigstens ehrlich und sagen, der Skandal bleibt ein Skandal.

Preisanstieg der Grundnahrungsmittel

Um das noch ein wenig zu vertiefen, folgt hier nun, stellvertretend für fast jedes andere Basisprodukt der Welternährung, noch ein kurzer Blick auf die Preise des Weizens und der Sojabohne. Wie bewegten sich diese Preise auf Weltniveau, betrachtet man das Ausgangsjahr der Millenium-Deklaration 1990 und den Ist-Zustand?

Der Weizenpreis lag 1990 zwischen 95-150 Dollar für die metrische Tonne (2), und mit einem scharfen Ausreißer 1996 blieben die Preise bis 2007 relativ stabil. Seither liegen sie aber meist deutlich über der 200 Dollar Marke, mit Spitzen bis zu 450 Dollar für das Jahr 2008. Für die Entwicklungsländern war z.B. das ganze Jahr 2011 ein Horrorjahr, mit Preisen von 280-320 Dollar/t mtr. (25 Jahres Entwicklung von Feb.1987- Feb. 2012, www.indexmundi.com/commodities/?commodity=wheat&;;months=300 )

Der Preis für Soja-Bohnen entwickelte sich sehr ähnlich. 1990 mussten für eine metrische Tonne ca. 220-230 US-Dollar ausgegeben werden. Bis zum Jahr 2007 gab es Preisschwankungen, sogar welche, deutlich nach unten, aber seither liegen die Preise zwischen 300 und gar mehr als 500 Dollar für die metrische Tonne. Das abgelaufene Jahr 2011 war eine einzige Katastrophe. Der Preis bewegte sich lange Zeit knapp unter der 500 Dollar Marke. ( www.indexmundi.com/commodities/?commodity=soybeans&;;months=300 )

(Cave! Nicht Verbraucherpreise, sondern Einkaufspreise auf dem Weltmarkt, an der Börse, werden hier verwendet, die Verbraucherpreise sind noch mehr von Angebot und Nachfrage beeinflusst, weil dann auch noch die Handelsspannen der Zwischenhändler aufgeschlagen werden und kleine Mengen immer mehr kosten. Hier geht es um die Dimension des Preisanstiegs!)

Neokolonialismus ohne reale Kolonisatoren

Fazit: Es wird noch lange dauern und mehr als nur Schönfärbereien, Lippenbekenntnisse und ausgefeilter Statistik bedürfen, damit dereinst die Verdammten dieser Erde in einen Hungerstreik (sic!) überhaupt erst eintreten könnten, um ihre weiterreichende Forderungen durchzusetzen. So, wie es Ngũgĩ wa Thiong'o in seinem Schlüsselroman, „A Grain of Wheat“ von 1967 noch beschreiben und verdichten konnte.

Der kenianische Autor hatte damals schon, zur Zeit einer antikolonialen Euphorie, eine böse Ahnung. Was zählen nationale Einheit und Unabhängigkeit, was eine Partei, die sich ruhig auch sozialistisch oder kommunistisch nennt, was zählen die territorialen Erfolge und die Etablierung einer neuen, schmalen Führungsschicht, wenn die starken ökonomischen Kräfte global operieren und einen kolonisatorenlosen Neokolonialismus aufbauen?

Produktive Agrarzonen und die überreichen Bodenschätze der Entwicklungs- und Schwellenländer verbessern dann nur unzureichend die nationale oder regionale Nahrungs- und Futtermittelsituation, bzw. die eigene industrielle, agarische und wissenschaftliche Infrastruktur, sondern diese weiten Flächen dienen als private Werte auf einem börsenorientierten Markt, dessen finanzstarke Investoren vorrangig ihre Wirtschaftstätigkeit und ihren Profit in den industriellen Effizienzländern und in den Hauptstädten der Neokolonien im Auge haben.

Christoph Leusch

-(1) Die mediane Armutsgrenze gibt den Tages-Einkommenswert an, der von 50% der Bevölkerung überschritten und von 50% unterschritten wird.

-(2)Metrische Tonne: Keine Sorge das ist unser Massen-Zählsystem, also 1000 kg. Es gibt aber auch noch für den Handel das Bushel ein Volumen (Raum)maß, mit dem im Handel gerechnet wird und eben die amerikanische und die britische Tonne.

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