Minsk II ist gut. Wer berichtet dazu?

Minsk II Erst einmal, sollten doch Informationen her, was in Minsk II steht und in Minsk I fehlte. Lieber aber, diskutieren Medialisten ihre Meinung, ob es gut oder böse ausgeht.

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Meinung, Meinung über alles

Wofür braucht man eigentlich noch eine deutsche Presse und die Flut der Meinungsjournalisten, wofür noch das Schock ExpertInnen, die sich meist selbst zur Partei machen, wenn bisher kein Presseorgan, keine TV - Anstalt, auch kein Osteuropa- Experte, in der Lage war, die neuen Übereinkünfte von Minsk einmal sachlich und klar darzustellen?

Ausgerechnet die Qualitätsjournalisten und vor allem jene unter ihnen, denen immer eine Woche Zeit gelassen wird, was "Vernünftiges" zu schreiben oder zu senden, entziehen sich konsequent der Recherche und auch allermeist der Prüfpflicht. Sie zitieren mit Vorliebe meinende Kollegen und Statements der Politiker, zu denen sie sehr leicht Zugang haben und zu denen sie meist beieinander ablesen.

Eine Kreiselmaschine sondergleichen, die sich gegenseitig füttert und zunehmend auch nur noch für sich selbst existiert.

Vielleicht ist es so, weil Politiker und Journalisten fest daran glauben, sie verteidigten damit gemeinsam Werte, unter Umständen gar westliche. Unter Umständen jene, die sich mit der freien Presse und der freien Meinung, irgendwie umschreiben lassen. - In Wahrheit aber, deckt ihr Hang zur Meinung allzu oft nur jene Monopole auf, die sich aus der Jahrhunderte alten Herrschaft in der Gutenberg- Galaxie ergeben haben, die uns, dem Publikum, als fast naturrechtliches, professionelles Privilegium verkauft werden.

Den größten Wert jedoch, nämlich durch Recherchearbeit einfach nur Material kritisch zu sichten und vorzustellen und sich mit eigenen, weitreichenden Einschätzungen geflissentlich zurückzuhalten, haben sie leider zu häufig aufgegeben.

Anstelle der Berichterstattung, gibt es derzeit praktisch rund um die Uhr, an sieben Tagen der Woche, das mediale Einschätzmarathon.

BBC: Nüchternheit und der Wille zur Information, erzeugen Glaubwürdigkeit

Wie es auch anders und besser geht, zeigt immer wieder BBC- News. Auf ihrer Europa- Seite findet sich, unter einem längeren Artikel zum Kampf der Konfliktparteien um letzte Siege und letzte Gebietsvorteile, eine gelungene Aufstellung zu den Unterschieden von Minsk I und Minsk II, sowie eine brauchbare Kartenskizze, die zeigt, welche Vorteile die vertragliche "Entflechtung", vor allem der schweren Waffen beider Konfliktparteien, bietet.

Minsk II enthält auch verbindliche Angaben dazu, welche Maßnahmen nun ergriffen werden sollen, um die Ostukraine wenigstens ökonomisch und sozial überleben zu lassen.

Aus der Aufstellung der Verhandlungsergebnisse geht hervor, dass Europäer, Ukrainer (prowestliche, prorussische, neutrale) und Russen aus Minsk I gelernt haben.

Wenn in der Realität geschieht, was nun im zweiten Anlauf festgeschrieben wurde, dann ist das ein gangbarer Weg zurück zum inneren Frieden in der Ukraine.

Minsk II schlägt Minsk I um Längen

Sachliche Information ist also möglich, auch wenn es ganz offensichtlich wenig Nachfrage danach gibt. Lieber balgen sich die Meinungslager. Je weiter vom eigenen Risiko entfernt, umso heftiger und unwilliger.

Aus der BBC Aufstellung ergeben sich folgende, wesentliche Unterschiede zum alten Abkommen:

- Es wird ein genaues Waffenstillstands- Datum genannt.

- Eine 50 - 140 km breite, von schweren Waffen freie Zone soll eingerichtet werden. In Minsk I waren es nur 30 km. Es ist ein Zeitraum von zwei Wochen vorgesehen, mit Beginn am 16.02.2015. Minsk I kannte keine Zeiträume.

- Beide Seiten müssen, neben den schweren Waffen, auch die Truppen von der aktuellen Frontlinie zurückziehen. Die Separatisten auf den Stand vom 19. September 2014.

- Die Ukraine erlangt die volle Kontrolle über die Grenze zu Russland, die derzeit die Separatisten halten, erst nach allgemeinen Wahlen in Donetsk and Luhansk, sowie bei Klarheit über den gesetzlich verankerten Autonomiestatus der separatistischen Osturkraine. Dafür ist eine Zeitspanne bis Ende des Jahres 2015 vereinbart.

- Es kommt zu einem Gefangenenaustausch, spätestens fünf Tage nach dem Beginn des beiderseitigen Truppenrückzugs.

- Die Ukraine muss die volle ökonomische und infrastrukturelle Versorgung der Separatistengebiete wieder herstellen, einschließlich Sozialtransfers, einschließlich Geldverkehr. Der zivile Austausch und Grenzverkehr mit den russischen Nachbarregionen soll wieder hergestellt werden.

Europa und Minsk

Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass Minsk II ein deutlicher Schritt zu mehr Eigenständigkeit Europas in außen- und sicherheitspolitschen Belangen ist. Allerdings betreiben einige EU- Mitglieder, mit Unterstützung der USA, eine klar erkennbare Nebenpolitik, die dazu führt, eher auf Eskalation zu setzen (Polen, baltische Staaten, Großbritannien).- Diese Doppelpolitiken exisitieren aber nicht nur mit Bezug auf den innerukrainischen Konflikt, sondern auch in Wirtschafts- und Finanzfragen, in den Fragen der Steuerangleichung in Europa und für die Entscheidungen zu weitreichenden Handeslabkommen, sowie in den Fragen der inneren Sicherheit.

Derzeit überwachen Freunde und EU- Mitglieder, andere EU- Länder und deren Bewohner mit Geheimdiensten und zeichnen deren Kommunikation auf.

Das Zeitfenster für eine europäische Debatte dazu, ist unter Umständen nur klein, weil zu befürchten ist, dass nach dem Abgang Obamas, der in vielen Fragen nur noch einen Teil seiner Administration und der ehemaligen Weggefährten hinter sich weiß, eine neue Ära der Power politics droht (Selbst die demokratiche Politikerin mit den wahrscheinlich besten Wahlaussichten, Hillary Clinton, denkt so).

Bei den Power politics spielen einige EU- Länder, fast schon traditionell, gerne mit, weil sie glauben es unterstützte ihre Bedeutung in EU-Europa.

Die Strategen und Anhänger solcher Politiken können sich auch die langanhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise in vielen EU- und Eurozonen- Ländern zunutze machen. Ein altes Muster taucht da wieder auf. Je gefährdeter man sich innen- und sozialpolitisch fühlt, desto mehr bevorzugt man klare außenpolitische Gegnerschaften und martialische Lösungen, fern der eigenen Grenzen. Für Russland gilt das genauso.

Allein dieses Faktum müsste doch schon aufweisen, wie unsinnig wirtschafts- und finanzpolitische Sanktionen sind, die Länder in die Isolation und Verhärtung treiben, indem man sie über die Wirtschaft massiv schädigt und damit zu destabilisieren versucht, um sie von einem eingeschlagenen Weg abzubringen.

Christoph Leusch

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