Politik und Medien halten sich für genial-kompetent

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Es gibt noch Überraschungen in Deutschland, das sonst eher durch das Gegenteil, nämlich "nur keine Experimente" zu wagen, berühmt ist. - Der Bundespräsident wagte ein Experiment und trat zurück.

Er, so konstatierten umgehend die lokalen Deutschlandmedien, sowie parteiübergreifend und unisono die gesamte politische Klasse, sei eben nicht aus dem harten Holze des Politischen geschnitzt, sei nur ein Karrierebeamter und schließlich von Anfang an ein Notnagel und zugleich ein Siegelring, ein Beweiszeichen für die lange verabredete Traumpartnerschaft des Politgeschäfts. Kurzum, er sei eine Ausgeburt Angies und Guidos, die ja selbst einst von der medialen Klasse herbeigeschrieben und sehnlichst herbeigewünscht wurden und nun schon fast unten durch sind.

So wird der Rücktritt nur für uns Bürger zur Überraschung, die wir dumm und eben apolitisch glaubten, Horst Köhler hätte seine Sache gar nicht so schlecht gemacht. Die Politik tut einen Tag ebenfalls ganz überrascht. Im Grunde ging ihr aber das höchste Staatsamt höchstens auf die Nerven. Nun soll es daher funktional und politisch beruhigend besetzt werden.

Zuletzt warf man dem abgegangenen hohen Herrn noch vor, er sei nicht hoch genug, er sei linkisch beim Protokoll, linkisch bei der Führung der präsidialen Beamtenschaft und viel zu ungewohnt im Raumschiff Berlin, dazu gar noch bürgernah. Letztlich sei er nur eine zu ehrliche Haut, die, das Augenzwinkern hinter jeder geschriebenen Schmähzeile sieht man im Geiste, noch nicht einmal gekonnt schweigen konnte.

Der Bundespräsident wurde zum "Unpolitischen", zum "Antipolitiker" erklärt , aber nicht zu einem im Sinne Václav Havels oder György Konráds.

Herr Köhler hatte sich beim Radiointerview verplaudert und offen gelegt, was in NATO-Papieren und auf EU-Ebene, aber seit den größenwahnsinnigen Tagen Schröders, Fischers, Strucks und Co., längst gängige Rationale der deutschen Politik ist.

Eine Export- und Handelsnation, dazu ohne eigene Rohstoffe, weil man die Sonne und den Wind, sowie das Wasser nur halberzig nutzt, nur halbherzig nutzen möchte, will im Notfall auch zu- und mitschlagen können, christlich evangelisch und katholisch abgesegnet, ganz im Sinne des Abendlandes von anno 1900. - Deutschland kehrt still, aber merkelsicher, an seinen angestammten Platz an der Sonne, zu seinen Interessen, zurück.

Bestimme demokratische Lernerfahrungen, wie z.B. den Sozialstaat rheinischer Prägung, die Friedfertigkeit als Grundmaxime und Staatsräson, die Betonung von Kultur und Wissen für Alle und für Jeden als allgemeines Ziel, hat man schon während der letzten zwei Dezennien über Bord gehen lassen. - Hauptausreden: Globalisierung und islamistische Terrorismen, die "Fitness" auf dem Welt(finanz)markt und an der Börse.

Köhler wurde als Außenseiter des Politik- und des Medienbetriebes gnadenlos entlarvt und er half unfreiwillig dabei mit. Keine Frage, er durfte und sollte gar nicht mitreden, er durfte und sollte eher still funktionieren, allenfalls im Regierungsviertel sollte er vernetzt sein. Nicht Bürgernähe und klare Politik einfordern sollte er, denn das hält doch die Politik nur von den vielen Hinterzimmern und Empfängen ab, auf denen in Wahrheit ausgehandelt wird was Sache ist.

Heuss und Heinemann, das waren noch Präsidenten, die durchaus politisch wirkten, Gründerfiguren der Republik. Weizäcker war einer der Reden halten konnte und immer eine protokollarisch gute Figur abgab. Den rumpelig- ruckigen Roman Herzog hielt man schon für intellektuell, weil er hoher Richter war und sich als Kenner früher Hochkulturen zu erkennen geben konnte. Rau predigte und schrieb Briefe, und war so, als ein guter Christenmensch, geschätzt. Scheel und Carstens sangen und feierten. Sie gingen auf ausgedehnte in- und ausländische Wanderschaften. - Manche Präsidenten hatten sogar das Glück eine kompetente und komplementäre, staatpolitisch wirksame Gattin an ihrer Seite zu wissen, z.B. Scheel und Heuss, aber auch Johannes Rau.

Dieser Präsident, Horst Köhler, wollte als Außenseiter und Seiteneinsteiger, politische Anregungen geben. Nicht etwa"Ruckreden" an das Volk halten, die ja in Wahrheit immer schon jene herrschenden Klasse ausnahm von der Aufforderung sich zu bewegen, die sich als "Elite" und als "Leistungsträger" schon für effizient und erfolgreich hielt.

Nein, er beabsichtigte auf das Mißverhältnis aufmerksam zu machen, für wen denn die Politik und ihre mediales Umfeld heute überhaupt noch und hauptsächlich tätig sei.

Köhler entlarvte letztlich den Eigennutz und die begrenzte Sphäre des Politischen in Berlin, die Selbstgenügsamkeit der Meinungsklasse, die mit Sicherheit eloquenter, talkgerechter, vor allem Ego-bezogener agiert, als es der abgetretene Präsident je von seinem Naturell her gekonnt hätte.

So stehen seine Aufforderungen an die Politik, -von der er auch nur in Abspaltung von sich selbst reden wollte-, endlich die Finanzmärkte zu regulieren, ohne wirkliche Resonanz bei den Parteien da. So ist sein Blick auf Afrika allenfalls ein folkloristisches Aperçu geblieben, obwohl uns doch politisch dieser Kontinent und seine Entwicklung viel näher liegen müsste, als die Großnationen Asiens, China und Indien.

Ganz ehrlich, wer außer den Linken, wollte eigentlich staatliche Regulationen der Finanzmärkte? Weder die Fischer-Künast-Kühn-Beck- Schlauch und Fücks- Grünen, noch die SPD in ihrer Mehrheit, noch die CDU/CSU und schon gar nicht die FDP wünschten sich das! - Alles was in dieser Angelegenheit bisher geschah, passierte auf äußeren Druck, in der Not, aus Machtverlustangst und unter großem Zeitverzug, niemals jedoch aus Einsicht oder gar aus Überzeugung!

Köhler hatte das relativ früh schon erkannt und es im Verlauf des letzten Jahres auch häufiger gesagt. Hören wollte es aber keiner der gewählten Verantwortlichen.

Die Politik glaubt sie komme immer noch einmal davon. Und sie ist weiter fest davon überzeugt, es genüge wenn man in einer Wahl von 60% der abgegebenen Stimmen irgendwie eine Mehrheit erhalte. - NRW liefert gerade ein Trauerspiel (FDP hin und her, SPD irgendwie, CDU immer bereit), bei dem unter dem Rubrum, Demokraten müssten mit allen Demokraten können, zum Wohle und Besten des Volkes, das Klüngeln in Hotelhinterzimmern zur politischen Kunst und Notwendigkeit erklärt wird. Die Politik sagt ein ums andere Mal, "Gewählt ist gewählt und sei es mit einer einzigen Stimme". Gibt es keine Mehrheit, dann wenigstens einen überparteilichen, unausgsprochenen Konsens, z.B. in der Frage von Krieg und Frieden, je hinter dicken Türen und geheim ausgehandelt.

Die die Politik in Berlin mittlerweile wie einen Kokon umgebenden Medien und Meinungswelten glauben von sich selbst auch unentbehrlich und politisch führend zu sein. Sie halten sich für öffentlich-rechtlich und privat mitgewählt und treten, so auch medial in Erscheinung.

Das erklärt die tägliche Abfolge der medialen Auftritte von Schauspielern, hagestolzen Politrentnern, Experten für Alles, Medien- und MarketingprofessorInnen und Talk-Gelichtern aller Art. Nur so sind Gestalten wie Olaf Henkel, der unverwüstliche Broder, der immer wiederkehrende Blüm oder sonstige regelmäßige Meckeronkel und Lästertanten verstehbar, die der Republik eine zweite, der Politik analoge, nur buntere Regierung bescheren. Die Anchormen der Nachrichtensender sehen derweil wie Reserveoffiziere aus und sie reden auch so.

Noch lassen sich ein paar Milliarden aus den Bürgerhaushalten vor Ort heraus schnitzen, ohne grundsätzlich etwas an der Art der Verteilung von Vermögen und Besitz zu ändern und die Fassaden der Republik gelten in der Realität und im Geiste noch immer als ganz passabel. Selbst wenn das reale Berlin, wie keine andere Stadt Deutschlands, beständig signalisiert, wo und wie es sozial und kulturell, abseits der TV-Protokollstecken, nicht mehr gut aussieht. Selbst wenn langsam die Überalterung spürbar wird. Selbst wenn die Bevölkerungsentwicklung nun immer schneller negativ wird, und selbst dann, wenn die sozialen Welten immer weiter auseinander driften, ändert das am Spreebogen und um das Brandenburger Tor nicht allzu viel.

Damit der schöne Blick nicht getrübt und verstellt wird, nicht einmal die Chance dazu aufkommen kann, wird nun von der eigentlichen politischen Klasse eine PräsidentIn gesucht und gefunden, die aus dem neuen bundesrepublikanischen Adel stammt und möglichst treu abbildet, was niemals Kopfschmerzen, Kopfschütteln und Widerspruch auslösen kann. Die Parallelaktion wird zwar gelingen, davon bin ich überzeugt, aber die Politik selbst, parteiübergreifend, wird das nicht mehr retten.

Woran liegt das? - Eine feine Art der Beschimpfung des Bürgers hat sich in allen politischen Lagern eingebürgert. Die Wähler wählten zu uneindeutig, sie seien volatil, fast wie die Papiere an der Börse. Sie seien aber gleichzeitig auch vereinzelt und individuell, immer nur privat und egozentriert. - So entsteht natürlich kein wirklich wirksamer öffentlicher Druck, der nicht aus den Begleitmedien um das Regierungsviertel oder von Lobbyisten kommt.

Die Bürger seien auch nicht mehr in der Lage die Komplexität der bürokratischen und staatlichen Sphären zu verstehen. Das gelte im Grunde sogar für die politischen Institutionen selbst, deren Verordnungen nur noch über komplizierte Instanzenwege bei Verwaltungsgerichten, grundlegende Gesetze fast regelmäßig über das Verfassungsgericht und die anderen höchsten Bundesgerichte, "adjustiert" werden müssen.

Die rechtlichen Institutionen sind damit überfordert und neigen nun selbst dazu, -ein Gebot der Absicherung- , einen Wust an Grundsatzentscheidungen zu verabschieden, der sich wie ein Mehltau an Auslegungen und Begründungen vom Bau- und Planungrecht, bis zur beständigen Abgrenzung welche Behörde auf welcher Ebene etwas zu sagen und zu entscheiden hat, über alle Sachbereiche der Gesellschaft ausdehnt.

Mittlerweile kalkuliert die Politik Widersprüche auf verschiedenen Verwaltungsebenen, z.B. bei der EU oder bei den Ländern, sogar ein. Das ist praktisch und entlastet ungemein von persönlicher Verantwortung. Am Ende trifft man sich, ist das nicht typisch germanisch, vor höchsten Gerichten und in Begleitung von himmlichen Anwaltsheerscharen in wallenden Talaren.

Auch das hat Köhler geahnt und angesprochen. Zuletzt noch bei der Einführung des neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes und Vorsitzenden des zweiten Senates, Herrn Voßkuhle.

Einziges Korrektiv bleiben also die Medien, die aber derzeit überhaupt nicht daran interessiert sein können, die Gestaltungs- und Mitsprachemacht auf eine breitere und kleinteiligere Beteiligungsbasis zu stellen. Es regiert sich mit der Politik viel besser, als sich als Vertretung einer allgemeinen Öffentlichkeit und als Kontrollinstanz zu verstehen.

Die scheinrationalen Argumente gegen die Beteiligung der Bürger sind seit Jahrzehnten immer wieder gleich lautend. Dem Bürger könne man nicht trauen, er schwanke zu sehr. Nur das Vertrauen der politischen Klassen untereinander beschere die nötige Sicherheit und Kontinuität. Solches Denken eint Joschka Fischer und Helmut Kohl, es nähert Gerhard Schröder und Angela Merkel einander an, -Man kann ihr Denken übereinander legen, nur beim Handeln gibt es Unterschiede!-, und es erlaubt unserer Regierungschefin, ganz ungestraft innerhalb von vierzehn Tagen zu wichtigen Fragen der Finanzverfassung zwei diametral entgegen gesetzte Meinungen zu vertreten und jeweils zu behaupten, es sei ihre feste Überzeugung.

Obwohl sich derzeit alles für den Bürger ändert, bleibt in Berlins Spreebogen, alles wie es ist. - Wer hätte gedacht, dass die bundesrepublikanischen Generationen mit den meisten "i-Geräten", dem vierundzwanzigstündigen Web 2.0 online, dem Großfernseher in der Wohnstube, der größten Klappe und dem dicksten "Lena-Raab, wer sonst Ego", die Generationen mit den meisten It-Girls, Golden Retrievern, Pitbulls und Hosenträger- Journalisten, politisch so starr, so markenfetischistisch und so erzkonservativ daher kommen, als hätten sie sich geistig auf das Niveau der grauen 50er Jahre zurück gebeamt? Einzige Unterschiede zum miefigen Damals: Heute gibt es mehr Werbung, mehr Autos, mehr Incentives, dafür weniger Rauchkringel bei den Jüngeren und allgmein weniger Kirche. Amen.

Christoph Leusch

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