Pop-Totalkunst aus dem Banlieu de Berlin

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Abendprogramm: Philippe Katerine-Populäre Totalkunst aus der Vorstadt Berlins

(Vorstadt Berlins ist ironisch gemeint, weil mich hier manchmal das Gefühl beschleicht, die halbe Welt rund um den Reichstag, bläst ein bisschen zu oft und zu gewaltig die Backen auf, und im Winter, so kurz vor dem Weihnachtsfest, frieren die Standpunkte ein.)

Mehr als nur drei Akkorde II

Vor ein paar Tagen hatte ich unter dem Blog, „While my guitar gently weeps“ ( www.freitag.de/community/blogs/columbus/while-my-guitar-gently-weeps-oder-mehr-als-nur-drei-akkorde ), auf Philippe Katerine hingewiesen. Da ging es um Frauenbands und den ewigen, ziemlich verdummenden Geschlechterkampf, der eher ein Krampf ist. Um diesen Krampf, ob Frauen auch, und überhaupt, geeignet sind Musik zu machen, ob sie davon etwas verstehen, wenn sie laut ist und nicht mit Harfe, Zitter, Flügel oder Geige gespielt wird, wenn die Sängerin eher nicht durch Anblick und Aufritt animiert, anstatt durch sprachliches und gesangliches Können aufzufallen. - Katerine wusste Antwort, ebenso Jeanne Cherhal.

Damals, vor wenigen Tagen, empfahl ich die „hirnbefreiende Witzperle“ Katerine.

Dank meiner guten Verbindungen hinein in die so qualitätsoffenen, öffentlich-rechtliche Anstalten, gelang es mir, Arte zu einer exklusiven Übertragung eines ganzen, mehrstündigen Auftritts Philippe Katerines, aus dem Casino de Paris, zu überreden. - Das ist zwar ein bisschen geflunkert, aber gelungen ist Arte trotzdem was.

Wer wissen will, wie es um die Populärmusik stehen könnte, wenn sich ein paar Leute endlich vom Schrott verabschiedeten, der lausche diesem Ausnahmekünstler und seiner hervorragenden Band, - Zum Beispiel beherrscht der Schlagzeuger tatsächlich mehr als nur zwei Grundschläge, und Gitarre, wie Bass werden kreativ genutzt. -, die aus dem medialen Unterhaltungsschrott was machen. Katerine hat sich als Lebenswerk vorgenommen, das moderne, das experimentelle Popchanson weiter zu entwickeln. Von der Musik für den Personalcomputer, über die Schicksale der Hühnchen und Mädchen Frankreichs, bis zur tiefrechten Gesinnung über Generationen (Marine Le Pen), bleibt nichts unversehrt und unbesprochen.

Dass dabei der Spaß nie zu kurz kommt und der staubtrockene, ladestocksteife, preußische Geschlechterkampf, der sich mittlerweile sogar beim „dF“ in manchem Thread, rund um eine absurde, angebliche Vergewaltigungsgeschichte einschlich und in fast jede zweite Glaubensdiskussion einwuchert, -nie hätte ich geglaubt so viel rechthaberischen und auf die kleinsten Interpunktionsfehler beharrende, falsche politische Korrektheit unter irgendwie Linken zu stoßen-, ganz fern liegt, bzw., zwischendurch kräftig auf die Schippe genommen wird, versteht sich von selbst.

Die Musiker, wie das Publikum, meinen es trotzdem auch ernst in diesem Casino de Paris und immer politisch. Das kann hier auch besichtigt werden. Dazu braucht es (fast) keiner Sprachkenntnisse.

Bevor sich also Berlin, die ewige Hauptstadt der Gender-Studies und der geschlechtsbezogenen Gleichberechtigung zu sehr abfeiert, mit furztrockenen Erläuterungen was nach Paragraph um Paragraph unten herum heraus kommen muss und soll, zwischen den Männlein und den Weiblein, der Hang zum Straflager ist irgendwie immer noch in uns, der schaue auf das Volk von Paris.

Dank der dreisten Genialität unserer Politiker und der noch größeren, aber berechnenden Schlauheit unserer führenden Verleger, steht zu befürchten, dass dieser Link sich irgendwann selbst auslöscht, weil nach sieben Tagen, - in diesem Falle, welch seltenes Glück, wir verdanken es wohl der französischen Seite und ihrer nationalen Volksmusikförderung, erst nach weiteren 73 Tagen- , das Programm im Kellerarchiv-Server weg gesperrt werden wird. Die Bürger haben es zwar mit Steuern und Gebühren bezahlt, aber die Verwertungskette ist dem Gesetz wichtiger!

Jetzt kommt also auch noch das Leistungsschutzrecht, das schon das Zitat zu einer zustimmungspflichtigen Angelegenheit machen wird und vor allem ausführliche Presse- oder Buchzitate zu einer Angelegenheit, die nur noch mit Geld und juristischem Sachverstand zu bewältigen wären. - Das kleine publizistische Dorf kämpft mit IGEL dagegen. Löblich, aber, angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Deutschen damit medizinische Bezahlleistungen bei dem Kassenarzt ihres Vertrauens verbinden, auch gefährdet, von Anfang an.

Ein Teil der zeitgeistigen Qualitätspresse sehnt sich übrigens neuerdings, prominent vertreten, längst nach dem charismatischen, ruhig nebenbei auch demokratisch gewählten, Führer. Wohl bekomms. Jedoch man ahnte es, der wird, wenn alles gut läuft, nur eine Dynastie zu begründen versuchenb und dafür sorgen, dass noch mehr Telemedien-Menschen am Sonntag, und unter der Woche täglich am fortgeschrittenen Abend, Deutschlands Schicksal diskutieren, auf Jagd nach mutmaßlichen Verbrechern gehen und uns sagen, worauf es ankommt und wofür vor allem sie stehen möchten, wenn man sie lässt. Während hinten dran ein paar Wenige die Wirtschaft lenken und die Gesetze machen. Von wegen Transparenz, das Gegenteil ist in der festen Absicht und schon in Aussicht.

Hier nun das Konzert für die Drôlerie zwischen den Jahren:

liveweb.arte.tv/fr/video/Philippe_Katerine_au_Casino_de_Paris/

Christoph Leusch

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